Es ist bekannt, dass Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter geheimnisvolle Dinge tun, wenn alle Mitbewohner morgens aus dem Haus gegangen sind und die verlassenen Liegenschaften für Stunden allein den Heimarbeiterinnen und Heimarbeitern gehören. Zu deren Heimlichkeiten rechnen nicht etwa nur skrupellose Gänge zum Kühlschrank oder ausgiebiges Baden mitten am hellichten Werktag, auch nicht allein die nervenzerreißenden Kämpfe um Sale-Gegenstände von Online-Shops. Wirklich grauenvoll wird es, wenn alle Hemmungen schwinden, der Wohnzimmerteppich eingerollt und die DVD eingelegt wird: Fitness, Tibetisches Heil-Yoga, Pilates, Zumba, oder dieses Accro-Dingsda, bei dem Ballett mit Fitness-Rezepten gemischt wird, so eine Art Zitronen-Basilikum-Eis, bäh, und alles – YEAH!!!! – ZUM MITMACHEN! Irgendwie macht nicht die außer Kondition geratene einzelne Käuferin dieser Produkte für Verzweifelte eine schlechte Figur, sondern die Fitness-Branche einen etwas heruntergekommenen und zynischen Eindruck. Durch billige Mischungen suggerieren Produzenten und Gym-Studios alle naselang, etwas noch Effektiveres als je zuvor entwickelt zu haben, 100 % Prozent Spaß und 150 % Prozent knackiger Po und rasant fallende Kilogramm-Angaben auf der Waage. Sind wir eine Gesellschaft von Lauflern-Kleinsportlern, hätte „Die Zeit“ gefragt, wenn Kulturpessimismus noch schick wäre, ist er aber nicht, woran man wieder sehen kann, dass kulturpessimistische Anflüge in der Vergangenheit gar keinen Grund hatten, wenn doch heute so etwas Langweiliges wie der Kulturpessimimus sozusagen vom westeuropäischen Zeitungsmarkt verschwunden ist. Trotzdem ist der Gedanke, dass das Erlernen von Sportarten, welches bekanntermaßen Zeit braucht, Talent, gute Trainer, etc., offensichtlich verdrängt wird von der Meinung, mit DVD’s, Apps, und Besuchen in Fitnesstempeln, an deren Fensterscheiben der Spruch steht: „Zwanzig Minuten sind genug!“ sei für den Körper das Beste getan. Man gibt die Verantwortung, selber für seine physische Kondition, seine geistige Entspannung und seelische Erholung zu sorgen, an einen virtuellen oder ominös ausgebildeten Gelegenheits-Trainer ab, der verspricht, möglichst wenig zu verlangen und dafür viel zu bieten. Discounter-Fitness. Wer auf Youtube Zumba googelt, sieht, was ich meine. Noch deprimierender als die Vorstellung, allein zuhaus vor dem Fernseher Vorturnerinnen in neon-farbenen engen Turnschuhen und Stirnbändern zu beobachten, wie sie Gestalten wie mich dazu zu bringen versuchen, kreischend von einem Bein aufs andere zu springen, dabei die Arme zu schwenken und die Hüften nach links und rechts zu schleudern zu Musik von DJ Earshot, ist nur, sich das Ganze in echt abzuholen. Ich habe den Realitätstest gemacht. Ich bin in meinem Urlaub zum „Energy Dance“ gegangen und habe eine Stunde Schüttel deinen Speck gespielt. In meinem Urlaubsort findet das auch noch an einem besonders exklusiven Ort, den man Location nennen möchte, statt. Hinter der Discothek, die ich in meinem letzten Urlaub besucht und hier beschrieben habe, biegt man rechts um die Ecke und bevor man ins Hafenbecken fährt, was hier hinter jeder Ecke liegt, biegt man noch schnell rechts ab auf den Parkplatz der Halle, in der nicht etwa der Discounter zuhause ist, sondern der Spaß: „FUN PARK“. Man darf tagsüber wenn man mit Kindern kommt keine eigenen Getränke oder Süßigkeiten mitbringen, denn, na klar, die möchte einem ja der FUN PARK-Betreiber zu überteuerten Preisen verkaufen, nur dann akzeptiert er es, dass seine hallendeckenhohen Spielgerüste damit bekleckert werden. So riesige Schlümpfe habe ich noch nie an einer Betonwand gesehen. Wenn man reinkommt, rauscht der Händetrockner von der Damentoilette und der Küchen-PVC quietscht unter den Turnschuhen. Am Rand stehen Spielautomaten und Tischfußball. Auf der unverkleideten Sperrholzboden-Bühne mit Aluminium-Unterbau tritt die Trainerin auf und bittet Michi, den DJ zu machen. Oh, sagt sie, es kommt noch eine Gruppe aus der Inselmitte und die Kassiererin vom nebenan gelegenen Supermarkt ist noch nicht da. Ok. Es geht los. Außer ein paar Reggaes liegt über Fred Astaire und Donna Summer oder so derselbe Ich-hau-dich-Beat, und dazu links, rechts, Wechselschritt, schwenk die Arme, mach das Peace-Zeichen, aber LÄCHELE. Komisch, aber der Mund ist wahrscheinlich der Körperteil der Trainerin, der am wenigsten korrekt nachgemacht wird. Sie zeigt ein Dauergrinsen, auch wenn sie Boxen mimt. Sie kreischt wie ein Girl unter einer Bühne, auf der Justin Bieber heult, und JA!, die Mutigen kreischen mit. Das muß einfacher sein als lächeln, ich schaffe keines von beiden. Performen ist aber Pflicht, das ist Teil der Energy von Energy Dance. Die Lehrerin sagt, demnächst macht sie ein Wochenende mit, bei dem der Mann, der das erfunden hat, ich glaube, der hat keinen Namen, nennen wir ihn Energy Eric, oben vor-energy-ed, wobei er das ganz toll – „Er hat da jetzt seins gefunden!“ strahlt die Trainerin – mit Kickboxen verbindet. Darauf freut sie sich. Sie sagt, die Musik ist bei ihr jede Woche anders und man darf sich auch Stücke wünschen. Energy Dance im FUN PARK dauert sechzig schweißtreibende Minuten und kostet dreizehn Euro. Hinterher weißt du auch, warum du unterschreiben mußtest, krankenversichert zu sein. Denn unter deinen noch so teuren Turnschuhen mit neonfarbenen Schuhbändern und maßgeschmolzenen Einlagen liegt Zement, so tief, dass die nordfriesische Mafia hier gottweißwieviele unliebsame Mitglieder hätte einbetonieren können. Und darauf liegt, siehe oben, Küchen-PVC. Nun haut jede von der Trainerin auf ihrem anheimeld federnden Sperrholz vorgeturnte Vierteldrehung mit dem Standbein voll in das Knie, dessen zugehöriger Fuß aufgrund der phantastischen Sohlen auf dem Boden nicht ein Zentimeterchen rutschen will, sondern klebt. Bappt. Bitte, Krankenkassen, unterstützt Energy Dance nicht durch Zuschüsse. Es ist so intelligent und so gesund wie Energy Drinks. Zucker für’s Knie. Irgendwie wirken die grinsenden Schlümpfe an den Wänden hämisch. Wirklich, es gibt weniger deprimierende Methoden, seine Knie zu ruinieren.
Energy Dance im Fun Park
25. Juli 2013 | 2 Lesermeinungen
Danksagung einer Physiotherapeutin
Bessere Recherche als den Selbstversuch gibt es wohl nicht. Wie gut, wenn bei all dem Spaß an der Bewegung einer mal auf die Risiken und Nebenwirkungen aufmerksam macht!
Nicht so ganz
Manches, was hier so bitterböse zu neuen Fitnesstrends geschrieben wird, könnte ich jederzeit unterschreiben.
Leider ist gerade Energy Dance weder neu noch ein kommerzieller Trend dieser Art. Es wird nicht mit Beats per Minute gearbeitet, sondern mit vielfältiger Musik mit unterschiedlichen Tempi. Bislang bin ich noch keiner TrainerIn begegnet, die so penetrant grinste, sondern eher Menschen, die – jede(r) auf ihre/seine Weise – echten Spaß an der Bewegung zeigten. Ich gehe seit vielen Jahren zum Energy Dance, bin keine Elfe und meine Knie sind ganz in Ordnung. Energy-Dance-Präventionskurse sind übrigens längst von vielen Kassen anerkannt.
Was sagt uns das? Witziger Blogartikel, aber leider falsches Objekt erwischt. Manchmal ist ein bisschen Recherche auch beim Schreiben für den Blog nicht ganz unangebracht.