Aufforderung zum Tanz

Aufforderung zum Tanz

Was sie schon immer über Tanz hätten wissen wollen können und bisher nicht auf die Idee kamen zu fragen.

Das war 2012/13, so wird die Tanzsaison 2013/14

| 5 Lesermeinungen

Was war das beste Ballett der zuendegegangenen Saison? Was darf man in der nächsten nicht versäumen? Wo steht der Tanz? Muß man das sehen? Ja natürlich.....

Die Compagnie des Jahres ist das „Ballett am Rhein“ der Deutschen Oper in Düsseldorf/Duisburg, falls sich das jemand gefragt hat. Es steht außer Zweifel, dass aus Martin Schläpfers Choreographien nicht nur die stärkste Konzentration und ästhetische Entschlußkraft sprechen, sondern auch eine große künstlerische Freiheit. Vollkommen mit ihm übereinstimmend entwickelt sich seine Compagnie selbstbewußt, atmend, fließend im Unisono, von großer Präsenz und Individualität. Wundervoll, dass in Düsseldorf und dann auch in München Werke Merce Cunninghams ins Repertoire Eingang fanden und mit „Pond Way“ und „Biped“ zwei seiner schönsten Choreographien in Deutschland ein neues perfektes Instrument gefunden haben. Das „Ballett am Rhein“ bringt in der neuen Spielzeit „Scenario“, das ist das Stück mit den herrlich karierten und ausgepolsterten Kostümen der japanischen Designerin Rei Kawakubo.

Rückblick, ansonsten nicht so erfrischend in dieser Saison: Mats Eks voller Freude erwartete „Romeo und Julia“- Premiere hatte bewundernswerte Szenen und Darsteller – entwickelte aber weder jenes Tempo und jenen tänzerischen Sog, noch die dramaturgisch schlüssigen Gegenwartsbezüge, die man von Ek als Shakespeare-Interpreten erhofft hatte. Er ist einer der klügsten, bedächtigsten, konsequentesten und sympathischsten Männer der Tanzwelt, aber mit „Julia och Romeo“ ist es ihm nicht, – wie man ihm gewünscht hätte, – gelungen, aus sich selbst herauszutreten und zu machen, dass der Tanzwelt der Atem stockt.

William Forsythe hat sich in seiner in Hellerau im Mai herausgekommenen neuen Arbeit wiederum ganz auf die Quatsch-Kompetenz seiner fabelhaft eingespielten Komödianten-Truppe verlassen. Spürt man da ein Quentchen zu selbstsichere Gesellschaftskritik, einen etwas müden Zynismus? Im Publikum schwingt Traurigkeit im matten Applaus mit.

Bevor die Pariser Oper in eine nicht weiter bemerkenswerte Saison 2013/14 geht – wie überall! Es ist zum Aus-der-Publikumshaut-Fahren! – landete Brigitte Lefevre noch einen Super-Coup mit einem “Boléro”, den Givenchy-Designer Riccardo Tisci ausstattete, Marina Abramovic mit Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet konzipierte und der einen Knochenmännertanz der hinreißendsten Art darstellte, schwebende, drehende, schwindelnde Schemen, eine Verwirbelung von Leben und Tod im tänzerischen Ritual. Jalet bespielte außerdem mit seinem groß angelegten Museums-Parcours „Les Méduses“ beeindruckend den Louvre. Und Cherkaoui choreographierte Keira Knightley in der Titelrolle der Neuverfilmung von “Anna Karenina” ganz phantastisch; nicht nur die Tanzszenen, der körperliche Habitus der Figuren und die gestische erzählweise des Films von Joe Wright sind maßgeblich durch seinen Einfluß geprägt. Das Ergebnis ist außergewöhnlich und sehr interessant.

In Stuttgart und München scheiterten Demis Volpi an Ottfried Preußlers „Krabat“ und Terence Kohler am Thema „Helden“.

Vladimir Malakhov wurde gegangen aber wer kommt, ab Sommer 2014? Der spanische Choreograph und ewige Berliner Wunschkandidat Nacho Duato. Langeweile und kein Ende. Neunzig Tänzer und nichts Gescheites zu tun. Deprimierend.

Ebenfalls in dieser Saison wurde Benjamin Millepieds, Hollywoods neuer Tanzdarling, zum Ballettdirektor der Pariser Oper ernannt. In der neuen Spielzeit feiert dann sein neben Laurent Hilaire gefährlichster Rivale um diesen Posten, der großartige Nicolas LeRiche, seinen Abschied als Tänzer, und das in einer sensationellen Verfassung.

Peter Spuhler hat Birgit Keils Vertrag in Karlsruhe verlängert, sodass sie gleichzeitig mit Ivan Liska in München aufhört. Stuttgart hat logistische, organisatorische und finanzielle Sorgen und lockt in der nächsten Spielzeit mit nichts so richtig. Es gibt schon interessante Kontsruktionen in diesem Land, deren Fortleben auf entscheidungsunlustige Politiker, zuviel Staatsknete oder wasimmer zurückzuführen ist, künstlerisch jedenfalls katastrophal gegen Nullergebnis knallt. Die Rede ist von Stuttgart. Stuttgart, sagte ich das? Gibt es mal Aufzeichnungen der Cranko-Ballette auf DVD? Werden mal die Ballette Crankos durch filmische Aufzeichnungen von Wiedereinstudierungen von Rekonstruktionen gerettet, bevor die Beteiligten sich nicht mehr erinnern oder nicht mehr arbeiten können?

In Lyon zeigte die südafrikanische, in Berlin lebende, aber nicht dort (sic!) sondern in Frankreich geliebte Robyn Orlin ein weiteres ihrer veritabel sinnvoll politischen und rasend komischen und superintelligenten Tanztheaterkracherstücke. Und Jérôme Bel legte mit „Disabled Theatre“ ein weiteres Stück vor, das beweist, dass Konzept nur er kann und darf und dass es unglaublich ist, dass in dieser gerade nicht in Hochform befindlichen Tanzwelt eine derart hintergründige und komplexe Arbeit auch so gefeiert wird. Charme!

Und ab morgen? Spielt in Leipzig auch in der neuen Saison ein Choreograph Mario Schröder das Haus leer. Das englische Magazin Dance Europe klammert sich in seiner Vorschau daran, dass Nationaldichter Shakespeare, dessen 450. Geburtstag am 26. April 2014 begangen wird, mit vielen seiner Werke auf den Ballettspielplänen vertreten ist und ein anderer geliebter britischer Künstler, Sir Fred Ashton, wieder mit vielen Choreographien auf den englischen und internationalen Bühnen repräsentiert ist. Aus Londoner Sicht betrachtet, ist das Königreich des Tanzes damit schon mal nicht unmittelbar im Untergang begriffen. Wir Mitteleuropäer und speziell Deutsche aber fragen uns, ob die Rekonstruktion von Mary Wigmans „Frühlingsopfer“ das Ruder wirklich schon herumreißt. Goethe-Ballette? Fehlanzeige. Schillertänze? Schön wär’s. Alles liegt in tiefem, tanztechnisch perfektem Routineschlaf, und wie die Schäfchen durch die Träume ziehen die ewig gleichen Ballette von den ewig gleichen Duatos, Wheeldons, McGregors, Bigonzettis, e tutti quanti über unsere Bühnen. Aber halt, das ist vielleicht jetzt nur so ein Alptraum von mir. Bald fängt die neue Saison an und bestimmt geschehen in ihr endlich Wunder. Und in der Literatur, im Kino, in der Kunst auch. Bestimmt.

 


5 Lesermeinungen

  1. Mamarin sagt:

    Das ist schon Richtig so............
    Liebe ( die Stuttgarter Leser werden mich Steinigen ) Frau Huester,

    die Kritik an Ihnen mit dem vielbeschriebenen Murmeltiersyndrom sollte Sie nicht bremsen. Sie sind inzwischen die Einzige, die noch mehr sieht als volle Vorstellungen und tosenden Beifall in Stuttgart.

    Wahr ist…..die kommende Saison wird Altes vom letzten Jahr, vom vorletzten Jahr, vom….bringen. Ich denke dabei immer an das Nachtprogramm von RTL 2. Natuerlich liebe ich Crankos Ballette ( Zaehmung, Romeo etc…. ) aber ist die Saettigung irgendwann nicht zuviel? Kennt man in Stuttgart nix Anderes?
    Es wird ein neues Handlungsballett vom Hauschoreographen gebracht….aber wo ist das Ballett darin…eine New York City Dance School, ok, dritte Klasse haette das auch gemeistert, obwohl war nett erzaehlt….aber Handlungsballett?

    wahr ist….DVDs werden wir wohl nie sehen. Die Verwaltung der Cranko Rechte ist eine Fiskale…..Jeder darfs Tanzen der genug zahlt. Na gut. gewisse Eitelkeiten mit Brueskierung der Stars der Companien gehoert dazu…wobei hierfuer nicht einmal Herr Anderson zustaendig ist,sondern der rechtmaessige Erbe….aber Hut ab nach Moskau……..Madame Ballerina hat etwas in der Hose…

    Ansonsten Kritik an der Politik im Landle bringt nix……..Hauptsache die Kasse klingelt, Ahnung vom Thema hat sowieso Keiner….schon die Bemerkung des Intendanten Stuttgart waere ein bequemer Pullover vor Jahren haette in der Wirtschaft Folgen gehabt. Aber so isses nun mal.

    Machen Sie weiter so….ich lese es gerne….sonst haelt man ausserhalb von Stuttgart die Kompanie wirklich noch fuer Weltklasse…………

    Es gibt 2 – 3 Taenzer~innen von Weltklasse……….aber sonst……..

  2. Anlaesslich sagt:

    Necropolis
    Liebe Frau Hüster,
    was sind die besonderen Probleme von Stuttgart? – Als weniger für ein “Erbe” (was wäre das praktisch ausser den Rechten an den Cranko-Choreographien?) Verantwortlicher könnte man als bloßer Ballettinteressierter von anderswo an dem kleinen Haus mit der kleinen Bühne wohl vorbeigehen, wenn es nicht Friedemann Vogel gäbe. Gleichwohl hat m.E. das Ballett Stuttgart eine übergreifende Funktion, die jedem Ballettomanen hierzulande wichtig sein muss: es etabliert – warum und wie auch immer – das Ballett als Kunstform mitten in der Bevölkerung. Das Ballett in Stuttgart ist von den Bürgern getragen. Und das ist etwas wert und nicht überall so. Beispiel: Frankfurt, wo das Ballett weitgehend verschwunden ist.

  3. huester sagt:

    @Christine Arnold
    Liebe Frau Arnold,
    bei weitem nicht in jedem Beitrag, dazu ist die Tanzwelt denn doch zu reich an anderen Themen. Nun liegt das daran, dass Stuttgart zwar einige seiner Probleme mit anderen Häusern teilt – woher etwa neue Choreographen und nicht klonen? – andere Probleme hingegen sind situationsspezifisch. Gäbe es kein Erbe dort, für das Verantwortung zu empfinden kein Tanzkritiker vermeiden kann, dann könnte man dem Haus einfach den Rücken zukehren wie anderen Ballettbühnen, und nur hingehen, wenn eine Premiere interessant zu werden verspricht. Da Stuttgart aber nun einmal Stuttgart ist und die Probleme wirklich gelöst werden müssen, werde ich, so oft es mir passend erscheint, daran erinnern.

  4. Kitri sagt:

    "Und täglich grüßt das Murmeltier"....
    Frau Hüster,

    Sie können es einfach nicht lassen und müssen in jedem Beitrag das Stuttgarter Ballett kritisieren, oder? Sie sind aber zum Glück wohl fast die einzige, die das Stuttgarter Ballett ohne Ausnahme kritisiert. Woran dies wohl liegt?

  5. WOELPHCHEN sagt:

    Ballet...
    Nachempfindung der “Schöpfungsthemen-Kunstmelodien” in Form von “Menschen-Tanz”.
    Nicht für jeden ersichtlich, “geistig, emotional erschließbar”…aber eben doch auch eine Kunst.

    Das Wunderbarste an den Wundern ist, dass sie manchmal wirklich geschehen.
    Gilbert Keith Chesterton

    :-)

    MfG
    W.D.H.

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