In der kommenden Woche, am 31. Oktober, kommt ein Film in die deutschen Kinos, eine Dokumentation, die sehr schön ist und sehr traurig macht. „Tanja – Life in Movement“ heißt der mehrfach preisgekrönte Film von Sophie Hyde und Bryan Mason, der 2011 in Australien seine Premiere erlebte und seitdem auf mehreren bedeutenden Filmfestivals gezeigt wurde.

Tanja Liedtke, die Tänzerin und Choreographin, an die der Film erinnert, war gerade neunundzwanzig Jahre alt und stand kurz davor, zum ersten Mal die Leitung eines großen, renommierten Tanzensembles zu übernehmen, als sie starb.
Sie und ihr Freund Solon Ulbrich, der, wie er im Film berichtet, bei ihren Eltern um ihre Hand angehalten hatte, besuchten am Abend des 17. August 2007 eine Tanzvorstellung in Sydney, tranken noch etwas mit Freunden in einer Bar und gingen dann nach Hause. Tanja aber konnte nicht schlafen, zu viele Dinge gingen ihr im Kopf herum und so zog sie sich mitten in der Nacht wieder an und verließ das Haus, um alleine spazieren zu gehen und nachzudenken. Gegen vier Uhr morgens klingelten Polizisten an der Tür der gemeinsamen Wohnung und fragten den schlaftrunken öffnenden Ulbrich, ob Tanja Liedtke hier wohne. Ulbrich, der zur Tür gegangen war in der Annahme, Tanja sei von ihrem Spaziergang zurückgekehrt, habe aber ihren Schlüssel vergessen, sah sich konfrontiert mit der schrecklichen Nachricht, seine geliebte Freundin sei Opfer eines Verkehrsunfalls geworden. Der Film erspart seinen Zuschauern nicht den Kummer von Solon Ulbrich, nicht die Tränen ihrer Tänzer noch anderthalb Jahre nach ihrem Tod, nicht den Bericht eines Bruders, er habe noch gehofft, sie sei nicht auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben, sondern liege noch im Koma und werde vielleicht wieder aufwachen.
So ist der Film nicht nur ein Zeugnis des Leben der jungen Künstlerin, sondern auch der unmittelbaren Zeit nach ihrem Tod und der Empfindungen ihrer Hinterbliebenen. Der Film dokumentiert eine Tournee, zu der ihre Tänzer sich anderthalb Jahre nach Liedtkes Tod zusammenfanden. Zwei Stücke der Choreographin, das Trio „Construct“, in dem sie selbst mittanzte und „Twelfth Floor“, das von Erfahrungen des Eingeschlossenseins handelte, werden in Ausschnitten gezeigt. Nach ihnen zu urteilen, war Tanja Liedtke eine vom Tanztheater beeinflusste, aber zugleich sehr an tänzerischer Bewegung interessierte Regisseurin, die ihre surrealen und zugleich sehr ernsten Ideen mit einem ungeheuer exakten Sinn für Timing und einem untrüglichen Gespür für sarkastischen Witz umzusetzen wußte.
Freunde, ihre Tänzer, berichten, sie sei sich der großen Verantwortung bewußt gewesen, die mit ihrem neuen Job auf sie zukam. Im Mai 2007, drei Monate vor ihrem Tod, war die Tänzerin und Choreographin zur designierten Direktorin des berühmtesten australischen Ensembles für zeitgenössischen Tanz ernannt worden. Vier Tage vor ihrem dreißigsten Geburtstag hätte sie die Leitung der „Sydney Dance Company“ übernehmen sollen.
Was für ein sinnloser, erschütternder Tod.
Tanja Liedtke, am 6. Oktober 1976 in Stuttgart geboren, begann in Spanien, wohin ihre Eltern mit ihr und ihren zwei Brüdern gezogen waren, Ballettunterricht zu nehmen. Als die Familie nach London ging, besuchte Tanja die Elmhurst Dance School. Nach ihrem Abschluß an der Rambert School tanzte sie für das Australian Dance Theatre und den australischen, aber in London ansässigen Choreographen Lloyd Newson und sein weltberühmtes Ensemble „DV 8“.
Bei der Voraufführung des Film im Berliner Radialsystem am Sonntag, den 27. Oktober, wird der australische Tänzer und Choreograph Paul White anwesend sein, der in Tanja Liedtkes Company tanzte und heute beim Tanztheater Wuppertal engagiert ist. Bei der Frankfurter Premiere im Kino „Orfeos Erben“ am 31. Oktober werden Tanjas Eltern anwesend sein.
Alle Vorführtermine des Films stehen hier: www.tanjalifeinmovement.de
Mehr über Tanjas Leben und ihr Werk und wie die nach ihr benannte Stiftung Tanz fördert, ist hier zu erfahren: www.tanja-liedtke-stiftung.org