adrian nichols
gedichte im einvernehmen mit john cage in seiner vorgehensweise, teil drei, tänzer auf der bühne
xi
0’00” tanz
0’05” ist unter anderem
0’10”
0’15” die sprache in der nichts
0’20”
0’25” am besten
0’30”
0’35”
0’40”
0’45” ausgedrückt werden kann
0’50” verlangen nicht
0’55”
1’00” ferne nicht
1’05” befreiung nicht
1’10”
1’15”
1’20” begrenzung nicht
1’25”
1’30”
1’35”
1’40”
1’45” ja alles
1’50”
1’55”
2’00” beinhaltet ohne verstanden zu sein
Ins Deutsche übertragen von Monika Rinck
Adrian Nichols ist das Pseudonym, unter dem der amerikanische Anwalt Darrell Wilkins seine literarischen Werke veröffentlicht. 2001 verließ Wilkins die New Yorker Kanzlei, in der er arbeitete und zog nach Berlin. Seine Gedichte und Übersetzungen wurden in Basalt (Vol. 7, No. 1 2012), in No Man’s Land, und vom privaten Kunstverlag deJulie Pers in den Niederlanden veröffentlicht. Seine Lesung im Februar 2011 kann man unter www.npr.org und www.litradio.de herunterladen. Zusammen mit dem Bildhauer Tilman Wendland entwickelte er die Landschaftsinstallation “Real Landscape with Interludes (Homage to John Cage)” für das UM Festival 2012, und mit Tondesigner Oliver Brod kreierte er 2013 zwei Toninstallationen für das “Hear Now Festival” und das “SoundScene 2013,” die in Washington, D.C. stattgefunden haben. 2012 las er John Cages “Lecture on Something” sowie eigene Gedichte in einer privaten Aufführung mit dem Pianisten Cristian Niculescu in der Sammlung Hoffmann. Ein Aufenthaltsstipendium in der Casa Zia Lina, Elba als Gast der Schweizer Stiftung Thyll-Dürr hatte Nichols 2009 erhalten. Wilkins entstammt einer amerikanischen Tänzerfamilie. Nach wie vor verfaßt er, der vor seinem Jura-Studium eine klassische Tanzausbildung an der School of American Ballet absolvierte, Kritiken und Essays für die in New York herausgegebene „Ballet Review“.
MONIKA RINCK
AUFBRAUCHEN DURCH DUPLIZIEREN
Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle, sie verhöhnen deine Sorge.
“Ich sorge mich so.” Sie verhöhnen deine Sehne. “Ich sehne mich so.”
Sie betrachten die Knöchel, durch deine Schuhe. Du bist gut versorgt,
keinesfalls bist du zerdehnt. Doch Sucht ist dieses Kippen vorneüber –
nachhaltige Verängstigung. Begriffsgeschacher. Dichtungsmasse.
Der Mann am Geländer will wissen: Was stimmt und was nicht?
Ein Kippen. Retten. Oder eher Selberretten. Zumindest die Schuhe.
Du stehst nicht sehr gut. Es sind die Knöchel. Spann auf die Sehne
die Sorge und lass sie schnerren. Hab einen sehr guten Stand.
Dann warte. Erwarte die Rückkunft der Sorge. Bewege dich dazu
nicht von der Stelle. Weise stete Anzeichen von Verwahrlosung auf.
Lasse dich bewegungslos gehen, versande. Lass Parasiten heran.
Nimm schließlich den Hohn und wasche. Wasche deine Hemden.
Wasche auch deine Hosen und Haare im Hohn. Sehne später
sauber weiter. Stehe inmitten der Sorge. Sei dein eigener Hohn.
Monika Rinck wohnt in Berlin. Ihr erstes Buch, Begriffsstudio 1996 – 2001, erschien 2001 bei Sutstein. Ein Lyrikband,Verzückte Distanzen, folgte 2004 (zu Klampen! Verlag). Kookbooks veröffentlichte 2006 eine Essaysammlung, Ah, das Love-Ding!, und 2007 einen weiteren Lyrikband, zum fernbleiben der umarmung (2007). Helle Verwirrung, brachte 2009 neue Zeichnungen und Gedichte der Lyrikerin zusammen. Mit Max Marek brachte sie im selben Jahr Elf Kleine Dressuren bei Sutstein heraus. Eine Auswahl von Rincks Gedichten, ins Englische übertragen von Alistair Noon, erschien ebenfalls 2009 bei Barque Press. Zusammen mit Orsolya Kalász hat die Dichterin und Übersetzerin mehrere Lyriker aus dem Ungarischen übertragen, darunter István Kemény (Gutleut Verlag 2007), János Térey (Akademie Schloss Solitude, 2007), Bálint Harcos (Akademie Schloss Solitude, 2008) und István László (Akademie Schloss Solitude, 2009). Sie hat Lieder u.a. für die Konponisten Bruno Franceschini, Franz Tröger und Bo Wiget verfasst. 2012 erschien bei Kookbooks Ich bin der Wind. Geschwinde Lieder für Kinder, mit Liedern von Wilhelm Taubert und Zwischentexten der Lyrikerin. Ausgezeichnet wurde sie u.a. mit dem Georg-K.-Glaser-Förderpreis 2004, dem Hans-Erich-Nossack Förderpreis 2006, dem Förderpreis zum Kunstpreis Rheinland-Pfalz 2006, dem Heimrad-Becker Förderpreis 2008, dem Alfred-Gruber Preis 2008, dem Ernst-Meister-Preis für Lyrik 2008, dem Arno-Reinfrank-Literaturpreis 2009, dem Georg-K.-Glaser Preis 2010, dem Kunstpreis Berlin (Literatur) 2012 und dem Rainer-Malkowski-Stipendium. Ihr neuester Lyrikband, Honigprotokolle (Kookbooks, 2012, mit dem hier veröffentlichten Gedicht) erhielt den Peter-Huchel-Preis 2013.
Nachtrag zu den Gedichten
von Wiebke Hüster
Künstler suchen sich Bezugssysteme außerhalb ihrer ganz eigenen Arbeit. Architekten lesen Romane, Schriftsteller hören Musik, Dichter versenken sich in Naturstudien, in Tanz, in Bildhauerei… Stefan Zweig hat unnachahmlich schön und genau ein Bild entworfen, das Rilke auf Rodin zuschreiten läßt: „Jene Schickung, die man Zufall nennt, hatte ihn (…) nach Paris getrieben, dort war er Sekretär Rodins geworden und lebte in jenem weiten hallenden Saal draußen in Meudon, wo weiß und rein die Werke standen, ein steinerner Wald und doch eines abgesondert von dem andern durch die Leere des Raums und die innere Endgültigkeit ihrer Konturen. Dort sah er den Meister, den alten, mit seiner abteilenden Kraft und es reizte ihn mächtig, wie er zu sein und seinerseits im lyrischen Material ebenso streng und abschließend wie jener im Plastischen irdische Bildnisse zu formen, im gläsern gewichtlosen Element des Verses die Härte des Umrisses zu erzwingen wie jener in marmorn wuchtender Materie des erdgebundenen Steins.“
Rainer Maria Rilke notierte häufig, was der Bildhauer Auguste Rodin über die eigene Arbeit und künstlerisches Schaffen im allgemeinen in seiner Gegenwart äußerte, etwa: „On doit trouver le bonheur dans son art“, „Man muß das Glück in seiner Kunst finden“. Das ist auch ein guter Hinweis für den Betrachter, den Leser von Kunstwerken. Denn in allen wirklich bedeutenden Werken findet sich eine Welt, eröffnet sich ein Kosmos, und finden sich Spuren des Glücks, das der Künstler – die Künstlerin empfanden, als sie diesen Raum ausschritten, ausmalten, beschrieben, erschufen.
In den beiden oben wiedergegebenen Gedichten sind es Bilder des Körpers, die das Wort zeichnet. Adrian Nichols bezieht sich auf abstrakte Körper, die sich im System Tanz zueinander verhalten, und es geht um die Frage, wie sich wiederum dieses System Tanz zu unserer Welt verhält, welche Bedeutung dem Tanz zu geben ist, wie sein Wirklichkeitsbezug einzuschätzen ist. Monika Rincks Gedicht ist dagegen nahezu unerträglich konkret körperlich, wie es auffordert zu einer langen, unwahrscheinlichen Unbeweglichkeit: „versande“…..Das ist unheimlich. Und wenn sich der so angesprochene Leser wieder bewegen darf, hat er dann ein neues Verhältnis gefunden von Sorge, Sehnen und Hohn? Hat er ein Vorgefühl des Todes („Lass Parasiten heran“) empfunden? Vielleicht hat das Ich danach wirklich einen besseren Stand, vielleicht sogar einen „sehr guten Stand“. Aufbrauchen durch Duplizieren, das heißt hier womöglich, dass man sich mit doppelter Kraft in etwas Schlimmes hineinwirft, um es auszulöschen: Ich verdoppele meinen Schmerz, in der Hoffnung, dass er von dieser heftigen Annahme vergeht. „Honigprotokolle“ sind Nachrichten aus der Natur, aus der nichtsprachlich organisierten Welt, Zeichen aus etwas, das Insekten herstellen und Menschen Nahrung, Medizin, Süssigkeit ist. Es entsteht als Produkt einer strengen Organsiation, die nicht entlohnt wird: Ausgebeutete Natur. Und zu Natur wird wieder das Individuum, das zur Bewegungslosigkeit bestimmte, mithin das sterbende. Natürlich erinnert ästhetisch hier nichts an Rodin, an Rilke, an Zweig: Aber der Schock angesichts erstarrter Körper, angesichts eingefrorener, steinerner, versandeter Bewegung, der ist der gleiche. Und ich kann nicht umhin, die Silben, wenn in Rincks Gedicht immer wieder vom Hohn die Rede ist und man ein Ich vor sich sieht, gesprochen zu trennen Honig in Hohn und Ich.
Dank an Monika Rinck und Adrian Nichols und natürlich Kookbooks.