Am vergangenen Sonntag wurde dem britischen Tänzer und Choreographen Michael Clark im Ludwig Forum für Internationale Kunst in Aachen der Aachener Innovationspreis Kunst der Peter und Irene Ludwig Stiftung verliehen. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis wurde zum 11. Mal vergeben, zu den früheren Preisträgern zählten Laurie Anderson, Peter Greenaway und Abdullah Ibrahim.
Bei der Preisverleihung tanzte Clark ein Duett mit Julie Cunningham, einer Tänzerin seines in London arbeitenden und im Barbican Centre auftretenden Ensembles. Filmausschnitte aus weiteren Werken und ein Podiumsgespräch machten das Publikum vertraut mit dem außergewöhnlichen Werk des in Schottland geborenen und aufgewachsenen Künstlers, der als jugendlicher ausgebildeter klassischer Tänzer in die Punkszene Londons eintauchte und ihre Impulse in zeitgenössischen Tanz einfließen ließ. Zuletzt erregte Clark Aufsehen mit großen Arbeiten, die in der Tate Modern präsentiert wurden sowie auf der Whitney Biennale in New York.
Hier ist die Rede, die ich aus diesem Anlaß auf Michael Clark halten durfte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Ich freue mich und fühle mich geehrt, heute aus Anlaß der Verleihung des 11. Innovationspreises der Stadt Aachen zu Ihnen sprechen zu dürfen und gemeinsam mit Ihnen Mr. Michael Clark auszeichnen zu können.
Dear Michael. I am honored to stand here and welcome you and praise you, since you have been a long time favourite among dancers and choreographers and you and your work have always been worshipped by me.
Meine Damen und Herren, warum und inwiefern Sie von nun an mit mir gemeinsam Michael Clark für einen der begabtesten, klügsten, erfindungsreichsten und charmantesten Künstler unserer Zeit halten werden, möchte ich in den nächsten Minuten erklären.
Bevor ich Ihnen in einer atemlosen Aufzählung all die Gründe nenne, aus denen ein Lob auf diesen Mann keinen Widerspruch duldet, shortly something private.
Michael, in case you should wonder. If I set the many reasons for loving what you do aside, it is quite clear, you and I have two things in common, which inevitably led to suggesting you: In the late Eighties, we did have the same haircut – well I didn’t stick to it, I compromised – and much more serious, we both keep a loving memory of Merce Cunningham and his work – and I do see you as his legitimate heir in the field of postmodern dance and the Gesamtkunstwerk.
Verehrte Anwesende, bitte folgen Sie mir nun in einen Kosmos, der Ihnen vielleicht vorkommen mag wie das Wunderland um Alice, nachdem sie dem Kaninchen hinterher ins Loch gefallen ist. Lassen Sie sich ruhig mitfallen. In diesem Land ragen riesenhafte goldene Fäuste auf der Bühne auf. Tänzer wirken in ihrer weißen Herren-Unterwäsche neben und unter Sarah Lucas’ größeren und kleinen Skulpturen seltsam schutzlos und zart. Sie tragen gruselige Masken und nonnenhafte Habits, barocke funkelnde Anzüge, die eines Herzogs würdig wären, und Stoffstacheln am Hinterteil, goldene Ganztrikots, Helme, Schnurrbärte und Perücken. Sie haben Fußbälle, Strickhauben oder Gitarren an sich und bei sich. Es gibt nichts, was es in diesem phantastischen Kosmos nicht gibt.
Immer handelt es sich dabei um ästhetische Orte, die eigens geschaffen wurden, um choreographische Erfahrung besonders aufregend und aussagekräftig wirken zu lassen. In den achtziger Jahren setzte Michael Clark seine Instrumente gleich an mehreren reparaturbedürftigen Aspekten des Tanzes an. Die größte Baustelle war die gepflegte Langeweile, die sich in der klassischen Welt des Tanzes breitgemacht hatte, einer Welt, in der Michael Clarks professionelle Bildung stattgefunden hatte.
Bereits seine Stücktitel lassen ahnen, was ihm damals auf die Nerven ging an seinem Metier:
„Mission Accomplished. Tutu invisible“, „Mission erfüllt, Tutu unsichtbar“ von 1983, oder noch vier Jahre früher „Overground“, eine ironische Replik auf den unersättlichen Hunger der bürgerlichen Kunstwelten, alle subversiven Strömungen dem Markt einzuverleiben.
„Underground“? Den gibt es hier nicht. Ähnlich Andy Warhol verpflichtet klingt der herrliche Titel „Surface Values“, Oberflächenwerte.
„nevertheless, caviar“, „Nichtsdestotrotz, Kaviar“ hieß das brillante Duo, das Clark für sich selbst und Mikhail Baryshnikov schrieb. Baryshnikov, lebensmittel-metaphorisch betrachtet als Kaviar unter den Tänzern.
Das Ballett und der Tanz sind Welten, in denen es ständig heißt: So geht das. So macht man das. So hat das zu sein. Jedes Stück von Michael Clark sagt: Es geht auch anders.
Das Establishment hatte es darum nicht leicht mit Michael Clark. „Wir sagten oft, dass einiges von dem, was wir taten, in einem Film nichts Schockierendes gehabt hätte, es schockierte nur, weil es in einem Tanz vorkam. Wir wussten, gegen welche Mentalität im Tanz-Establishment wir antraten.“
Ohrenbetäubende Rockmusik quoll von seinen Bühnen, als wären seine Stücke reine Konzerte, zum Austicken gemacht. Sexuelle Fetische flogen über die Szene, als wären es Fehdehandschuhe ans Publikum. „Sex and dance were made for each other“, wie der Choreograph fand. Das war fast sogar eine Replik auf Merce Cunnighams berühmte Definition “Dance is the Art not to bump each other”.
Aber die aggressiven Anteile überwogen nicht. Es ging Clark vielmehr darum, aus dem Kunst zu machen, was im Leben der Tänzer eine große Rolle spielte – das nächtliche Treiben in den Londoner Clubs, die Bands, der Punk, der ostentative Umgang damit, dass Menschen sexuelle Wesen sind. Es mußte auch mal Schluß sein mit dem romantischen Quatsch der Vergangenheit des Balletts, all diesem Sehnen und Werben nach unerlösten Schwänchen und schlafenden Prinzessinnen, nach untoten Bräuten.
Michael Clark, der seinen ersten Ballettunterricht im Alter von vier Jahren erhielt, holte das englische Ballett, bevor er Mitte zwanzig war, so radikal aus dem Elfenbeinturm akademischen Tanzens heraus, dass es nie wieder in ihn zurückgefunden hat. Aber er führte es nicht ins Tanztheater. London ist nicht Wuppertal.
Stattdessen führte er dem Ballett aus den Clubs, in denen der bildschöne Jüngling mit dem sicherheitsnadel-durchbohrten Ohr in den frühen achtziger Jahren jede Nacht auf der Tanzfläche erschien, ein ganz neues Publikum zu. Zu seinen ersten Auftritten in eigenen Stücken kamen Zuschauer, denen Clark Flyer in die Hand gedrückt hatte. Sie alle hörten David Bowie, Iggy Pop und Lou Reed, The Fall, die Clark später zu sich auf die Tanzbühne holte, und „Velvet Underground“.
Getanzt wurde der „Velvet Overground“ auf fünfundzwanzig Zentimeter hohen Plateauabsätzen, mit Kettensägen,in Kostümen, die nackte Hinterteile herzeigten oder aus gestrickten Tea-Cosys bestanden, die manche allerdings an Woll-Kondome erinnerten.
Aber das war nicht vulgär auf eine kommerzielle, billige Art und Weise, es strahlte einen ästhetischen Zauber aus, eine Magie, die sich mit der tänzerischen Virtuosität von Clark und seinem Ensemble und mit der rauhen, zeitgenössischen Punk, – Rock-, Popmusik zu einem ungeheuer anziehenden Ganzen vermischte.
Zuallererst bemerkte jeder, der mit Clark in Berührung kam, dessen außergewöhnliche Präsenz, seinen Charme, seine Sensibilität. Auf der Bühne fielen sein kahler Schädel mit dem ebenmäßigen Gesicht, die vollkommenen Linien seines Körpers in Bewegung sofort auf, gleichgültig, welche Glitzeranzüge oder spritzen-bestückten Trikots er jeweils überstreifte.
Wie einst die Ballets Russes, so integrierte er die seiner Ansicht nach wichtigsten Künstler der Gegenwart in seine Tanzvorstellungen, weil es seinem Lebensgefühl, seinem Weltempfinden entsprach. Clarks Zusammenarbeiten sind so legendär wie seine Originalität. Neben der schon erwähnten Sarah Lucas, muss hier an den großartigen Modedesigner Leigh Bowery erinnert werden.
„Sometimes“, hat Michael Clark einmal gesagt, „Sometimes I think that choreography is like creating an ideal world on stage, but there isn’t one, it’s a kind of ordering. I can’t really do that because that would be dishonest. But it can be a wonderful thing to see. I am not saying that work has to reflect reality, but you have to acknowledge that things aren’t all perfection and harmony.“
Manchmal denke ich, Choreographieren ist, als erschaffe man eine ideale Welt auf der Bühne, aber es gibt sie nicht, es ist nur eine Art Ordnen. Das kann ich nicht wirklich tun, es wäre unaufrichtig. Aber es kann wunderbar anzuschauen sein. Ich sage nicht, eine Arbeit muss die Wirklichkeit reflektieren, aber Sie müssen schon zugeben, dass nicht alles da draußen Perfektion und Harmonie ist.“
Schock oder Provokation sind bei Michael Clark also nie Effekthaschereien, sondern Zeichen für den Widerstand gegen leere Konventionalität, gegen das Abnicken von Kunstvorführungen, die wie bedeutungslos gewordene Rituale empfunden werden. Es sei sehr leicht, im Ballett einzuschlafen, hat Clark einmal gesagt. Nun, in seinen Balletten sicher nicht.