AzT: Wayne McGregor, daran, wie gefragt Sie sind, am Set großer Spielfilmproduktionen oder während Schauspielinszenierungen als „Movement Director“ mit den Schauspielern zu arbeiten, kann man ablesen, welche Bedeutung Physikalität, körperlicher Ausdruck heute besitzen. Die attraktive und kompetente Physis, aber auch die stimmige, den Charakter authentisch repräsentierende Erscheinung nimmt Hollywood sehr ernst. Mehr als jede Zeit zuvor beurteilt die Gegenwart Menschen nach ihrer äußeren Erscheinung, aber nicht wie früher nach Statussymbolen, teuren Uhren oder stilsicherer Kleidung allein, sondern nach Muskeln, Fitness; gesunder und energiegeladener Ausstrahlung…Hat das auch gute Seiten? Oder werden Menschen nur noch nach ihren Botox-Optionen beurteilt?
Wayne McGregor: Ich denke, es ist kein Zufall, dass in einer Zeit, in der Technologien eine derart große Rolle spielen, eine solche Macht gewinnen, auch das Interesse an Homöopathie und alternativer Medizin wächst, dass Leute Yoga machen und herauszufinden versuchen, was die Natur ihres eigenen Körpers wirklich ist. Das wächst beides, und das bekämpft sich nicht gegenseitig. Je häufiger sich Menschen in einer medialisierten Umwelt aufhalten, in der sie etwa skypen, eine Umgebung, die sie von einigen der physischen Aspekte des Körpers trennt, desto mehr interessieren sie sich für Fitness, und sie benutzen Technologien um zu analysieren, wieviele Schritte sie geschafft haben und wieviele Kalorien sie verbrannt haben. Für mich besteht eine enge Verbindung zwischen dem Siegeszug der Technologien und dem gestiegenen Bedürfnis danach, sich zu sammeln, sich zu zentrieren, bewußter zu werden, geerdeter zu sein, mehr in der wirklichen Welt verankert zu sein. Wir sollten da nicht überrascht sein, denn die Art und Weise, wie wir mit Technologie in Interaktion treten, ist ja eine körperliche, es geht immer über den Körper. Wenn ich am Mobiltelefon bin, denke ich mit diesem Objekt, mit meinem Körper. Technologie ist nicht etwas, das uns widerfährt, wir sind Teil davon und benutzen Technologien ununterbrochen. Und nun kommt der nächste Schritt, wenn diese Technologien Teil unserer Körper werden. Wie wäre es, wenn wir Monitore an uns tragen würden. Wie wäre es, wenn wir das Gefühl eines Bildschirms hier spüren würden und den würden wir mit Gestenerkennung lenken? Die fundamentalen Erkenntnisse darüber, wie unsere Körper funktionieren, verändern unsere Vorstellung davon, wie Technologie überall erscheint und eingreift. Deswegen denke ich, in jeder Diskussion darüber, wie wir Technologien nutzen wollen, ist der Begriff des Körpers zentral. Wie wollen wir Technologien haben? Dass ist doch nicht etwas, das uns geschieht, sondern es geht um die Frage, wie wollen wir Technologie?
AzT: Sie ziehen es vor, der aktive Teil der Kommunikation zu sein?
Wayne McGregor: Ja, wir dürfen nicht passiv abwarten. Es sind übrigens die Technologiekonzerne, die sich am stärksten für den Körper interessieren. Sie interessieren sich brennend dafür, wie sich der Körper bewegt, wieviel und auf welche der Körper kommuniziert, für „Physical thinking“. Sie haben dieses Armband auf den Markt gebracht, „Fitbit“, es mißt Fitnessaktivitäten, verbrauchte Energie und Schlafqualität. Nun fragen sich die Hersteller, wie kann man den Pegel des Adrenalins im Körper messen, oder verschiedene Erregungszustände, wie können intime Daten aus dem Körperinneren sich an der Außenseite manifestieren, sichtbar und überprüfbar gemacht werden in Echtzeit.
AzT: Ist das nicht schrecklich?
Wayne McGregor: Es wird passieren, sowieso. Wir sollten darüber reden. Wenn das alles kommt, ohne dass wir darüber reden, das wäre schrecklich. Es gibt auch sehr positive Anwendungsmöglichkeiten solcher Technologien. Ein Arzt hatte sich selbst für mehrere Jahre an eine solche medizinische Datenüberwachung angeschlossen, und nach einiger Zeit beobachtete er Anomalien. Er stellte weitere Untersuchungen an und diagnostizierte Morbus Crohn. Wenn er nicht dieses biometrische Band getragen und diese Daten visualisiert hätte, hätte er diese Information nie erhalten. Er konnte nun einige Aspekte dieser Erkrankung in ihrem frühen Stadium beobachten und etwas dagegen unternehmen. Sonst hätte er der Krankheit nicht so früh gegensteuern können. Und diese Fitbit-Armbänder verbessern den Gesundheitszustand wirklich. Leute treten in einen Wettbewerb gegen sich selbst ein, es kann sehr hilfreich sein, täglich zehntausend Schritte zu tun, besonders, wenn du vorher täglich nur zwei Schritte getan hast.
AzT: Was ich daran nicht mag, ist, dass man sich einem Ding ausliefert, dass irgendetwas von einem verlangt, anstatt einfach nur die Vernunft einzuschalten.
Wayne McGregor: Den gesunden Menschverstand, ja….
AzT: Die Ballettlehrerin meiner Tochter hat mich gefragt, “Hast Du von diesem phantastischen neuen Sieben-Minuten-Workout gehört, es ist fabelhaft!“ Und stimmt das?
Wayne McGregor: Ja, diese Hoch-Intensitäts-Trainings sind schon sehr effektiv, für Leute die wenig Zeit haben….Es hängt immer davon ab, was Sie von Ihrem Körper wollen? Manche Leute denken über das Training für ihren Körper genauso nach: Sie wollen es einfach hinter sich bringen. Sie wissen es ist gut für sie, aber sie empfinden keinerlei Vergnügen dabei. Da gibt es einen Unterschied zu jenen Leuten, die Tango tanzen, um ihre Herz-Kreislauf-Fitness zu verbessern. Die Extras, die Sie aus dem Tango-Training beziehen, entspringen der Freude am Tanzen, der sozialen Interaktion, dem Verständnis, komplizierte Bewegungen auszuführen und koordinierter zu werden. Im Tango gibt es eine ganze Reihe anderer, über Fitness hinausgehender Werte, die es zu einem echten Vergnügen machen. Und das ist etwas ganz anderes als etwas rein Zielorientiertes zu tun.
Wenn ich Tänze choreographiere, liegt das Vergnügen im Prozess des Schaffens, nicht darin, den Tanz fertigzustellen. Wo engagiere ich mich hier, darin liegt das Vergnügen. Das heißt, damit ein Fitness-Programm richtig funktioniert, muß ich mich anstrengen, mich engagieren, und das wird nur geschehen, wenn ich von dem Training überzeugt bin. Habe ich zum Beispiel die Wahl zwischen dem Sieben-Minuten-Workout und einer neunzig-minütigen Pilates-Klasse, nehme ich diese. Oder wenn ich einen Shiatsu-Practitioner haben kann, der neunzig Minuten mit mir arbeitet und meinen Körper geradezu mit Energie füttert, dann wäre das für mich besser als Drei-Minuten-High-Intensity-Cycling….Wir haben die Wahl! Viele Menschen wissen noch nicht, wie viele Möglichkeiten ihnen da offenstehen…