Es gibt Leute, denen sich schon die Nackenhaare sträuben, wenn sie nur das Wort „Tanzfonds Erbe“ hören und auf ihrem Premierenkalender das nächste „Re-Enactment“ nahen sehen. Eines der langweiligsten Projekte vom Typ „Ich hab mir dieses alte Stück angesehen und drücke jetzt in Tanzbewegungen meine Gedanken darüber aus“ war gerade bei der Biennale in Venedig erneut zu betrachten, Laurent Chétouanes „Sacré Sacre du Printemps“, ein Stück, das einem gleichsam zwischen den Fingern hindurchrinnt, ein Stück, das die wenigsten venezianischen Zuschauer durchstanden, ohne mit dem Theaterschlaf zu kämpfen, ein Stück, das Steve Paxton Bewunderung abnötigte dafür, „dass die Tänzer das so durchhielten“. Damals Skandal, größtmöglicher, heute Ennui, maximaler.
Es gibt, sagen die, die sich auskennen, so maximale Versionen von „Sacre“, warum, Chetouane, pourquoi dieses intellektuelle Verzaudern und Gesichtzucken? Eine Frage, die der Regisseur-“Choreograph“ keinem Interviewer beantworten würde. Skrupel sind doch per se gut.
William Forsythe beantwortet auch nicht gerne Fragen, jedenfalls nicht jener Öffentlichkeit jenes Landes, das ihm seit dreißig Jahren ein regelmäßiges Einkommen beschert. Wer wissen möchte, welches Schicksal „The Forsythe Company“ bevorsteht, muß die „New York Times“ lesen, deren quantitativ ehrfurchtgebietende Tanzkritik sich in einem Ballettsaal einfinden durfte, um Mr. Forsythe zu beobachten, wie er dem „Boston Ballet“ sein 1991 erdachtes Werk „The Second Detail“ einstudierte. Ganz am Tanzfonds Erbe vorbei gibt Forsythe wie selbstverständlich Auskunft, wie er sich den Umgang mit seinem Oeuvre in Zukunft vorstellt. Währenddessen gibt er Tänzern, die etwa eine Arabeske auszuführen gehalten sind, so sexy Sätze mit wie „Make it a discussion about kinds of arabesque“ – das darf man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, denn es ist noch mal eine Steigerung gegenüber seinem früheren „Die Arabeske gibt es nicht“. Doch zur Zukunft: Alle in Frankfurt, Dresden, Hessen und Sachsen, alle die also „The Forsythe Company“ bezahlen, glauben doch wahrscheinlich, dass wenn im nächsten Jahr Ex-Forsythe-Tänzer Jacopo Godani das Ensemble übernimmt, und Forsythe künstlerischer Berater bleibt, dass dann das Tanzerbe Forsythe auch gepflegt wird, d.i.weiter gespielt wird. Haha, good joke.
Die NYTimes schreibt: „Der extensive Corpus an Arbeiten, den er in der letzten Dekade geschaffen hat, wird nicht mehr aufgeführt werden.“ Es folgt ein Zitat Forsythes: „Dieses Repertoire war an die Menschen gebunden, die diese Rollen geschaffen haben, die Fähigkeiten dieser Performer. Ich bin traurig, diesen Werk-Abschnitt hinter mir zu lassen und diese wundervollen Künstlerfreunde, die ich liebe, zugleich bin ich glücklich, mehr Zeit zu haben, um mich um mein neoklassisches Werk zu kümmern.“ Jacopo Godani, ein Mitglied des „Ballett Frankfurt“ und jetzt ein freier Choreograph, wird die Company übernehmen, fährt der Artikel fort, und Mr. Forsythe habe gesagt, er erwarte, dass Godani sich ausschließlich auf sein, Godanis, eigenes Werk konzentrieren werde, seine eigenen Künstler auswählen und das Ensemble umbenennen werde.
Tja, da sind wir Deutschen baff, New York Times, nun haben wir kein Ballett Frankfurt mehr und demnächst auch gar keinen William Forsythe mehr.
baff
Der Zustand erfaßt in FFM nur sehr wenige. Die Finanzmetropole des Landes ist terra quasi incognita für Ballett.