Spielzeitferien – nun, da sind sie, jetzt haben sie begonnen, diese schrecklichen, unerträglichen langen theaterlosen Wochen. Da kann natürlich die Samtsesselallergie gut ausheilen, aber dann? Que faire alors? Na, hemmungslos fernsehen, natürlich! Dafür wurde „Got to Dance“ schließlich gemacht. Für Abonnenten! Danke, Pro7. Die Bemerkung über die schönen Choreographien bei der Fußball-WM, – Tanz mit dem Ball und so – denken Sie sich dazu, ich kann das nicht hinschreiben. Ehrlich gesagt finde ich theaterlose Wochen auch gar nicht schlimm. Sogar Festivals lassen sich meistens ganz gut vermeiden indem man in den Urlaub fährt, während diese stattfinden. Andere schwitzen gerne in ungenügend klimatisierten Theatern und sehen im Lichtstrahl Fliegen summen, ich übe Abstinenz. Wochenlang. Kein kritisches Wort kommt über meine Lippen. Ich sage nix, zu gar nichts. Ich kommentiere nicht, ich urteile nicht. Ich schaue nicht genau hin, ich bereite mich auf nichts vor, organisiere null. Ich besteige keinen Zug, ich buche kein Hotel, ich stelle niemandem Fragen. Ich lese nur Bücher, die vorher durch die Ballettmetapherngehalts-Prüfstelle negativ getestet wurden. Menschen, die meine Aufmerksamkeit erregen möchten, sollten keine großen Gesten machen und ihre Füße beim Gehen parallel aufsetzen (anstatt wie Uhrzeiger auf zehn vor zwei). Im Umgang mit mir sind bitte Wörter wie „Premiere“ zu vermeiden – umgangssprachlich gottseidank weitestgehend durch Launch oder Relaunch ersetzt. Ach ja, Menschen, die mit mir essen möchten, sollten keinen Salat bestellen und nicht über Kohlehydrate reden. Je weniger Körperspannung sie besitzen, desto besser. ProSieben sagt „We dance to entertain you“. Ha, wenn das mal immer stimmen würde! Tut es nicht, denn die machen ja auch Filme über Doubles von Diktatorsöhnen und wiederholen gefühlte dreihundertdreiunddreißig Mal Werbung von kleinen Jungs die ihr Sweatshirt bekleckern und erst wieder glücklich sind, wenn Mama die Flecken rausgekriegt hat. Das sind existentielle Schwierigkeiten, von denen der harmlose Theaterbesucher keinen blassen Dunst hat, bis Spielzeitferien kommen und der Fernseher abgestaubt und eingeschaltet wird. Sprachlich ist das auch ein Move. „Geh raus die Bühne anzünden“ sagt die “Got-to-dance”-Assistentin Johanna zu einem weiblichen Act. Das meint sie nicht wörtlich, sondern sie findet bloß die Frau so heiß, dass sie glaubt, das müsse sich auf alle Zuschauer übertragen und denen würde dann auch so heiß, na, als ob eben die Bühne brennte. Metapher! Die Jury macht immerzu schnell mal mit, man tanzt so eine Art Zugaben und sagt, wie gerührt man sei. In einem Fall fetter Rührung hatten Bente und Mauro sich beim Tanzen tief in die Augen geschaut („Ja, wir sind ein Pärchen“), davor hatte sich ein Junge in einem Einkaufswagen verbogen. So phantasielose Theatertypen checken natürlich überhaupt nicht, wie bewegend so ein Einkaufswagen sein kann. Wenn das mit “Got to dance” so weitergeht, kann man das nicht Ferien nennen, sondern als Bildungsurlaub von der Steuer absetzen. Tanztheater, HipHop für alle Generationen, Paare voller Gefühle für den Tanz, Mann, Mann, Mann, Mann, Mann. „Du bist eine kleine Rrrrampensau“ sagt die Jury zu aufgeweckten Performern, oder anderen wird anerkennend bestätigt, sie seien „….sexy. Sexy!“ Das bekamen ausgerechnet die Jungs zu hören, die in Pumps, Jogginghosen und Schlabber-T-Shirts ein Duett tanzten, mit Tüchern um den Kopf. Und bei dem Duett ging eine Hebung krass schief. Kleiner bärtiger Mann sollte auf der Schulter von großem bärtigem Mann zum Sitzen kommen, fand aber nicht heim. Und während andere nach Hause gehen durften, weil sie nicht zickezacke akkurat synchron waren, durften diese High-Heels sich jetzt „Sexy“ fühlen, obwohl sie es voll vermasselt hatten. Jury-Palina immerhin verblieb ein Restgefühl von Gerechtigkeit, was sie die Wiederholung des verpatzten Gimmicks verlangen ließ. Hat geklappt. Die Klumisierung des Fernsehens ist weitgehend abgeschlossen. Schöne gebotoxte Frauen mit charakterlichen Mängeln quatschen in die Kameras über andere, die gerade achtzehn (Arianna, zehn Jahre alt) „Pirouetten“ gedreht haben. Das waren “Tours à la seconde”, mais tant pis. Wie geil ist der Begriff denn, würde die Jury zu mir sagen. Und ich würde entgegnen, Mann, Mann, Mann, Mann, Ihr flippt hier wegen achtzehn angeblichen Pirouetten aus und darüber, dass Leute, die Eure Nachbarn sein könnten, eine Minute dreißig Sekunden einen Zinnober vorführen können. Hallo? Im Theater geht das anderthalb Stunden Minimum und die Tricks heißen Fouettés und davon werden zweiunddreißig präsentiert. Kommt mal vorbei, wenn Ihr keine Samtsesselallergie habt, und fragt euch dann, wie geil das denn war.
We dance to entertain you oder: Das total verheidiklumisierte Fernsehen
25. Juli 2014