Karlsruher Karriere könnte man nennen, was die Brasilianerin Bruna Andrade in den letzten Jahren absolvierte. 2003 verließ sie ihren Kontinent, um eine zutiefst europäische Kunst an einer ihrer Wiegen zu studieren, in der vergangenen Spielzeit wurde sie von Ballettdirektorin Birgit Keil in den Rang der Ersten Solistin erhoben. Aus Rio de Janeiro, wo ihre Tanzausbildung begonnen hatte, war sie damals nach Mannheim gekommen , um noch einmal zwei Jahre ohne jedes Zeichen von Erschöpfung an ihrer Technik zu arbeiten, Repertoire zu erlernen, Rollenstudium zu betreiben. Professor Keil hatte eines der Stipendien ihrer Tanzstiftung an sie vergeben, um sie weiter fördern zu können, und nahm sie an der Akademie des Tanzes unter ihre Ballettmeisterinnen-Fittiche. Bilderbuchartig ging es weiter. Während des Aufbaustudiums „Tanz/Bühnenpraxis“ wurde sie 2005 für das Ballettstudio des Staatstheaters Karlsruhe ausgewählt. Das ist eine Art Übergangsjahr, ein sanftes Hinübergleiten aus dem Studentenstatus in das Profi-Leben. 2006 trat sie aus diesem Eleven-Status über in die Vollmitgliedschaft im Corps de ballet. So sieht der Idealfall aus, wenn die verschiedenen Stationen der Talentsuche, Talentförderung und Entfaltung, die Birgit Keil anbietet, mit Bravour und Temperament durchlaufen werden. Andrade machte während ihres Karlsruher Aufstiegs Erfahrungen mit Choreographen, um die sie manche Tänzerin prominenterer Häuser ehrlich beneiden würden. So arbeitete sie mit einem der Darlings der gegenwärtigen Ballettwelt, dem bereits als Direktor des Londoner Royal Ballet gehandelten Christopher Wheeldon, der ihr die Rolle der „Ballerina“ in seinen witzigen „Variations sérieuses“ gab. Die europäische Erstaufführung seiner Version von „Schwanensee“ fand auch in Karlsruhe statt, und Bruna Andrade war unter den Ballerinen, die Odette/Odile verkörpern durften. Ray Barra, Stuttgarter Kollege von Keil, kam um seine wundervolle „Carmen“-Inszenierung zu machen. Andrade tanzte auch diese anspruchsvolle Titelrolle mit Verve. Peter Wright, Schlüsselfigur der englischen Ballettwelt, studierte seine Fassung von „Giselle“ in Karlsruhe ein und sah Andrade sowohl als Myrtha wie auch in der Titelrolle. Neben diesen vielen großen Partien bewährte sie sich noch in zahlreichen anderen Choreographien.
Der Ballettabend „Mythos“ zeigte sie in diesem Frühling gleich in zwei Uraufführungen. Sie tanzte gut in dem eher abstrakten und auch nicht sehr erinnerlichen Ballett „Spiegelgleichnis“ von Jörg Mannes. Stecknadel-Fall-still wurde es bei ihrer anderen Rollenkreation. Mit ihrer ernsten, schlichten, absolut faszinierenden Verkörperung der Medea in Reginaldo Oliveiras Ballett „Der Fall M“ verlieh sie dem Stück Schwere. Ihr Spiel ließ die Grausamkeit der Ereignisse hervortreten und fast schien es, als entströme dieser zarten Person das ganze Grauen, das von der Bühne ausging. Oliveira erwies sich nicht nur als begabter Choreograph, sondern auch als interessanter Regisseur. An Andrades Seite tanzte Flavio Salamanka. Für diese beiden Auftritte erhielt Bruna Andrade jetzt in Hamburg den „Deutschen Theaterpreis Der Faust“ als „Beste Darstellerin Tanz“. Demnächst fügt sie ihrem Repertoire eine weitere wichtige Rolle hinzu – die der Katharina in John Crankos „Der Widerspenstigen Zähmung“ – Weltballettliteratur. Auf eine lange Karlsruher Karriere für Bruna Andrade.