Es geht ums Ganze. Das zeigt sich schon im Tonfall: Im Mobilfunkmarkt warten die Kontrahenten zumindest verbal mit deutlich härteren Bandagen auf als früher. Ob Nokia oder Microsoft, ob Google oder Apple: Alle balgen sich um ihren Anteil am Mobilfunkmarkt der Zukunft. Der soll künftig den heimischen Computer, das Handy und die Internetdienste zu einer Welt verschmelzen. Der Kunde – so lautet das Credo der Branche – soll überall, immer und egal mit welchem Gerät Zugriff auf seine Daten haben. Der Vorteil dieser Idee: Die eigene Musik, die E-Mails oder Fotos sind immer verfügbar und werden zum Teil auch im Netz, in der als Cloud bezeichneten Datenwolke, gespeichert. Der Nachteil des Konzeptes: Der Kunde bindet sich mit seiner Wahl sehr fest an einen Anbieter. „The winner takes it all“ lautet die grundlegende Spielregel in diesem Geschäft.
Das macht selbst die sonst eher zurückhaltenden Nokia-Manager leicht aggressiv: „Wir brauchen keine Middleware, wir brauchen keinen Blackberry“, erklärte Kai Öistämö, der beim Handyhersteller Nokia für die Geräte zuständig ist, den verdutzten Analysten und Journalisten am Montag während der Mobilfunkmesse Mobile World Congress in Barcelona. Nokia setzt stark auf die mobile E-Mail, ein Feld, dass vom Wettbewerber Rim mit seinem Blackberry zumindest im Geschäftskundensegment schon lange besetzt ist.
Nokias Häme für Blackberry
Für den Blackberry braucht der Kunde allerdings einen speziellen Server, die Middleware. Diesen Umstand nutzt Nokia zur Häme und will jetzt mobile E-Mail für alle bieten. Startpunkt: das Nokia-Portal Ovi. Dabei setzt der Konzern vor allem auf die Vielzahl der Nokia-Handys, die schon im Markt sind, und zusätzlich auf die, die jedes Jahr verkauft werden. Rund eine Milliarde Mobiltelefone mit dem Nokia-Schriftzug sind derzeit im Markt; jedes Jahr verkauft der Konzern rund 300 Millionen neuer Geräte. Kein Wunder also, dass auch die in Barcelona vorgestellten neuen Flaggschiffe des Nokia-Portfolios fertig ausgestattet mit dem Dienst Ovi-Mail auf den Markt kommen werden.
Es sind überall die gleichen Zutaten, die den Kunden ködern sollen. Abgeschaut hat die Branche das Konzept in Teilen von Apple und dessen iPhone. Am Anfang steht das eigene Betriebssystem. Das bringen neben Apple derzeit sowohl Nokia (Symbian) als auch Google (Android) und Microsoft (Windows mobile) mit. Mit von der Partie sind als kleinere Anbieter noch Rim (Blackberry) und Palm mit seinem neuen Web OS.
Ein Application-Store für jeden
Die zweite Zutat für den Mobilfunk der Zukunft ist das eigene Online-Kaufhaus, in dem die Kunden weitere Applikationen für ihr Handy erwerben können. Genau diese Verkaufsplattform fehlte sowohl Nokia als auch Microsoft bisher. Dieses Manko haben beide in Barcelona beseitigt. Diese Verkaufsplattformen haben für ihre Betreiber zwei Vorteile: Erstens binden sie die Kunden, da diese nicht lange nach Software suchen müssen. Auf der anderen Seite verdienen sie kräftig an der verkauften Software mit. Und um genau diese neuen Umsatzströme geht es den Unternehmen. „Rund 70 Prozent des Erlöses aus dem Ovi Store geht an den Verkäufer, 30 Prozent bekommt Nokia“, erklärte Öistämö in Barcelona. Als Zusatznutzen für den Kunden fördert die Verkaufsplattform von Nokia nicht nur die Softwareangebote, sondern bringt auch auf den Standort des Nutzers zugeschnittene Angebote auf den Handybildschirm.
Nicht ganz so präzise äußert sich Andy Lees, der für den Softwareriesen Microsoft das Mobilfunkgeschäft betreut, über den Umsatzanteil, den der Konzern künftig einbehalten will. „Microsoft erhält einen kleinen Anteil der Umsätze, die in dem künftigen Software-Kaufhaus für Windows mobile entstehen“, sagte er in Barcelona. Auch Microsoft lässt keinen Zweifel daran, dass es der Konzern mit seinem Engagement im Mobilfunk sehr ernst meint. „Die nächsten drei Jahre entscheiden in diesem Markt darüber, was in den kommenden zehn Jahren passiert“, sagt Lees. Das Ziel auch für Microsoft: eine durchgehende Software- und Diensteplattform vom Computer auf dem Schreibtisch über das Mobiltelefon bis hin zur Speicherkapazität im Internet.
Microsoft macht Druck
Während Microsoft aber in den vergangenen Jahren eher langsam vorankam, scheint jetzt die Zeit zu drängen: So hat der Konzern neben seinem Application Store gleich auch eine neue Version des Betriebssystems Windows Mobile mit nach Barcelona gebracht. Zusätzlich kopiert Microsoft den Apple-Dienst Mobile Me, mit dem der Kunde seine Adressen und Termine direkt im Netz speichern kann und so, unabhängig vom Endgerät, einen Zugang zu diesen Daten hat. Microsoft nennt es mit „My Phone“ nur etwas anders. Lees deutet allerdings an, dass dies noch lange nicht das Ende der Bemühungen ist. „Das Jahr 2009 ist für Microsoft extrem wichtig und es werden auf jeden Fall weitere Dienste folgen“, sagt er. Dabei verschmilzt das klassische Windows immer stärker mit der mobilen Variante. „Wir entwickeln heute schon einen großen Teil des Codes gemeinsam. Es ist außerdem kein Zufall, dass die mobile Version jetzt bei der Bezeichnung 6.5 angekommen ist – und bald auch Windows 7 auf den Markt kommt.“ Zusätzlich setzt Microsoft auf Kooperationen: „Der Handyhersteller LG zum Beispiel wird künftig vor allem unser Betriebssystem für seine Multimediahandys verwenden“, erklärte Lees in Barcelona.
Mobile Datendienste setzen sich durch
Der Grund für die Nervosität, die die Hersteller allesamt erfasst zu haben scheint, liegt in dem geänderten Nutzungsverhalten der Mobilfunkkunden. Das Jahr 2008 gilt inzwischen als der Zeitpunkt des Durchbruchs für die mobilen Datendienste. Aktuelle Untersuchungen gehen von sehr hohen Wachstumsraten in den kommenden Jahren aus. So ergab eine Befragung des Markforschungsinstituts Nielsen, dass rund 71 Prozent der Handykunden in den Industrieländern künftig mobile Datendienste täglich nutzen werden. Schon im kommenden Jahr rechnet die Studie mit einem kräftigen Anstieg der Nutzung. Dabei stehen der mobile E-Mail-Verkehr, der Kontakt zu den sozialen Netzwerken und der normale Zugang zum Internet ganz oben auf der Liste der Verbraucher.
Während Nokia und Microsoft ihre Anstrengungen im Mobilfunkmarkt in Barcelona auf den Höhepunkt treiben, bleibt die im Vorfeld erwartete Welle von Telefonen mit dem Android-Betriebssystem offenbar aus. Weder Samsung noch Sony-Ericsson können während der Messe mit einem entsprechenden Gerät aufwarten. Am Dienstag wird erwartet, dass Vodafone mit einem von HTC produzierten Gerät auf den Markt kommen wird. HTC hatte schon das G1 produziert, das in Deutschland derzeit von T-Mobile angeboten wird.
Mehr zum Mobile World Congress 2009 unter https://twitter.com/winkelhage