Tierleben

Landbewohner gegen Mastställe: Der Bundestag stimmt über "Beschränkung der Massentierhaltung" ab

Die Deutsche Bahn hält Lachs für eine Pflanze. Eilig hat sie in der Februar-März-Speisekarte des Bordrestaurants das Gericht “Grüne und weiße Bandnudeln mit Lachsrahmsoße und kleinem Salat” als “vegetarisch” deklariert. Verlässt man den Zug, springt einem am Bahnhof als erstes die neue, knallgrüne McDonalds-Reklame für den Veggieburger ins Auge, der ab sofort zentraler Werbeträger ist und in der Mitte aller Plakate prangt; an den Rand gedrängt verblassen der Cheeseburger und die anderen Klassiker. In der Bahnhofsbuchhandlung dann das Bestsellerlisten-Regal: Drei Bücher (Duve, Foer, Bode) über Bauernhoflügen und Ernährungsschwindel finden sich dort. Abends im Supermarkt sind immer noch die Bio-Eier ausverkauft. Amazon schickt eine Empfehlung: Ab Mai könne man das Buch “Fleisch essen, Tiere lieben” bekommen, das Argumente für Leute liefert, die trotz allem weiter Fleisch essen wollen. Die Agenturen melden: Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner bereitet ein Tierschutz-Paket vor. Ferkel dürfen nur noch unter Einfluss von Schmerzmitteln kastriert werden und Hühnerkäfige werden verboten. Der Bauernverband protestiert, doch ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums entgegnet nur kühl: “Wir wollen eine gesellschaftliche Debatte.”

Ist das noch ein Hype? Oder schon die Agrarwende?

Reinhild Benning und Jochen Fritz jedenfalls glauben, dass letztere nicht mehr fern ist. Die staatliche geprüfte Landwirtin und der Agraringenieur haben es geschafft, 22.000 Demonstranten für einen Marsch gegen Massentierhaltung zu motivieren. Die Berliner Demo “Wir haben es satt” hat Ende Januar alle Erwartungen übertroffen. Plötzlich kam alles zusammen: Dioxin-Skandal und Karen Duves Erfolgsbuch “Anständig essen”, Talkshows, in denen Sarah Wiener und Christian Rach, Barbara Rütting und Karl-Heinz Funke über Einstreu für Ferkel und die Bolzenschussmethode auf dem Schlachthof stritten. Die “Zeit” gab zwei Tage vor der Demo auf ihrer Titelseite den Treffpunkt bekannt, den Berliner Hauptbahnhof, und nannte die Kundgebung den “Aufstand der Anständigen”.

Eine Spontandemo war “Wir haben es satt” trotz allem nicht – auch wenn aktuelle Debatten ihr wohl zu besonders großem Zulauf verholfen haben. Die Kundgebung war vielmehr von langer Hand geplant. Monatelang hatte ein kleines, hochprofessionelles Team sie in einem verfallenen Zwischennutzungshaus im Berliner Osten vorbereitet. Hinter den zwei Hauptakteuren Reinhild Benning und Jochen Fritz steht der traditionsreiche BUND, jener große Umweltverband, der in den siebziger Jahren unter anderem von Hubert Weinzierl, Horst Stern und Enoch zu Guttenberg gegründet worden ist. Der BUND hat das Demo-Projekt im August 2010 angestoßen, neunzehn Verbände sprangen sofort auf. Man mietete einen neonbeleuchteten Raum unweit des Ostbahnhofs, stellte Telefone und Laptops auf und eine Website online, auf der die Themen Massentierhaltung, Gentechnik und Agrarsubventionen diskutiert wurden.

Reinhild Benning glaubte von Anfang an, dass die Demonstration ein großer Erfolg werden würde. Die Leiterin des Bereichs Agrarpolitik beim BUND hatte schon zuvor mehrere Jahre lang mit Menschen zusammengearbeitet, die sich offen gegen Massentierhaltung positionierten. Benning berät und vernetzt Bürgerinitiativen, die in ländlichen Gegenden gegen den Bau großer Nutztierställe oder gewaltiger Schlachtanlagen protestieren. Sie sind die Basis, auf die sich das Projekt des BUND von Anfang an stützte. Die Initiativen gründeten sich über ganz Deutschland verstreut, in Orten wie Dedensen, Billerbeck, Haßleben oder Wietze, kleinen Gemeinden in tiefster Provinz, etwa im Münsterland, in der Uckermark oder in der Lüneburger Heide. Die Landbewohner haben sich zusammengeschlossen, um den Bau von großen Schweine- und Hühnermastanlagen in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihren Wohnsiedlungen zu verhindern. Reinhild Benning sagt, wenn man die neue gesellschaftliche Stimmung deuten wolle, die sich gegen Massentierhaltung richtet, dann komme man nicht an den Bürgerinitiativen gegen Mastställe vorbei.

Benning sitzt in dem spärlich möblierten Raum an der Köpenicker Straße, der sich “Demo-Orga-Büro” nennt. Wenn die Fenster nicht bis über die Hälfte mit graffittibedeckten Stahlplatten verbarrikadiert wären, könnte man von hier die Spree sehen. Es gibt fair gehandelten Kaffee, Biomilch und vegane Kekse. In einer Ecke steht ein Flipchart, darauf steht “Pig Business”. Der Film aus dem Jahr 2009, der sich kritisch mit der Schweinefleischindustrie befasst, ist auf einem der Mobilisierungstreffen gezeigt worden, mit denen man die Berliner auf die Demo aufmerksam machen wollte.

An den Wänden hängen Poster, auf einem steht: “Keine Gentechnik auf unseren Feldern”. Eine Deutschlandkarte ist mit Reißzwecken gespickt, jede steht für eine Bürgerinitiative. Besonders viele Reißzwecken finden sich im Osten. Das habe damit zu tun, dass die Menschen in den neuen Bundesländern sich noch gut an die riesigen Viehbestände der DDR mit mehreren zehntausend bis mehr als hunderttausend Schweinen erinnern, sagt Benning. Viele Mitglieder der Bürgerinitiativen seien Rentner. Sie wissen, wogegen sie sich wehren.

Die Bürgerinitiativen gegen große Mastställe formierten sich erst in den vergangenen zehn Jahren. “Die ländlichen Bürgerinitiativen sind ein Phänomen der jüngsten Vergangenheit”, sagt Reinhild Benning. In Billerbeck im Münsterland etwa gründeten Anwohner im Jahr 2008 eine Initiative gegen acht neue Hähnchenställe, in denen jeweils bis zu 126.000 Tiere gemästet werden. In Wietze bei Celle schlossen sich Anwohner erst vor einem Jahr zusammen, um den größten Geflügelschlachthof Europas zu verhindern, in dem pro Stunde 27.000 Hühner geschlachtet werden sollen. Im brandenburgischen Haßleben wehrt man sich seit 2004 gegen eine Schweinemastanlage mit 68.000 Tieren, die ein niederländischer Investor plant. Die Anwohner befürchten Geruchsbelästigung, gesundheitliche Beeinträchtigungen durch die Emissionen und eine Zerstörung der Landschaft, natürlich auch eine Wertminderung von Häusern und Wohnumfeld.

„Die Anwohnerproteste kamen auf, nachdem die Landwirte ihr Investitionsverhalten veränderten”, sagt Reinhild Benning. Früher seien Bestände verhalten aufgestockt worden – etwa von 150 auf 200 Schweine. „Heute haben wir das Phänomen, dass Bestandsgrößen verdoppelt werden oder sogar aus dem Nichts Bestände von 60.000 Tieren entstehen, häufig durch ausländische Investoren. Das sind Ausmaße, die in der Bevölkerung auf Akzeptanzgrößen stoßen.” Verschiedene Gesetzesänderungen hätten dem Bauboom den Weg bereitet, sagt Benning. Ende 2007 wurde etwa im Bundes-Immissionsschutzgesetz die Schwelle heraufgesetzt, ab der ein förmliches Genehmigungsverfahren für den Bau eines Stalles erforderlich ist – bei Puten etwa stieg sie von 15.000 auf 40.000 Tiere.

Auf den Homepages der Bürgerinitiativen geht es viel um Mustereinwendungen und Hauptwindrichtungen, um Bodenbelastung und Brandschutz. Doch ein Thema steht inzwischen im Vordergrund: Die Frage, ob die industrielle Tiermast überhaupt ethisch vertretbar ist. Die meisten Websites zitieren Forschungsgutachten, in denen geschildert wird, welches Leid Tiere in großen Beständen erdulden müssen. Dazu gehören Krankheiten, aber auch Verstümmelungen wie das Schnabelabkneifen bei Masthühnern oder das Schwänzekürzen bei Ferkeln, Maßnahmen, die Halter ergreifen, weil es in riesigen Beständen keine Ausweichmöglichkeiten und keine Sozialstruktur mehr gibt.

Am Donnerstag, dem 24. Februar, will nun der Bundestag sich dem Streit auf dem Land widmen. Um zu einer Beschränkung der Massentierhaltung in Außenbereichen von Wohngegenden zu gelangen, hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzentwurf vorgelegt, über den der Bundestag namentlich abstimmen wird. In dem Entwurf fordern die Grünen, durch eine Änderung des Baugesetzbuches dafür zu sorgen, dass “industrielle Massentierhaltung nicht mehr zu den im Außenbereich privilegierten Vorhaben gehört”.

Doch die gesellschaftlcihe Diskussion über industrielle Tierhaltung, riesige Bestände und Lebensmittel aus Massentierhaltung ist längst ausgelöst und wohl nicht mehr rückgängig zu machen. „Erst durch die großen Ställe in der Nachbarschaft von Wohnsiedlungen wurde vielen Leuten klar, was Lebensmittelproduktion heute bedeutet”, sagt der Agraringenieur Jochen Fritz, der das Projekt „Wir haben es satt” leitete. „Wenn man die Ausmaße der Ställe kennt und die Transporter fahren sieht, kann man sich das, was vorher abstrakt war, viel besser vorstellen.” Zuerst seien die Anwohner einfach nur gegen den Stall vor ihrer Haustür. “Dann beschäftigt man sich damit und erkennt, dass das eigene Einkaufsverhalten dahinter steht.” Viele Bürgerinitiativen bemängeln mit der modernen Landwirtschaft vor Augen, dass der Verbraucher in die Irre geführt werde: “Auf den Verpackungen steht ‘Wiesenhof’ oder ‘Bauernglück’, obwohl die Tiere niemals ein Stück Grünfläche gesehen haben”, sagt Reinhild Benning. 

Inzwischen wollen viele Anwohner nicht nur den Stall vor ihrer Haustür verhindern, sondern sie suchen auch einen Gegenentwurf: kleinere Herden, den Bauern, der eigenes Futter produziert und jedes Tier beim Namen nennt. “Bauernhöfe statt Agrarfabriken” heißt ein bundesweites Aktionsbündnis, in dem sich vor zwei Jahren sechzig Bürgerinitiativen zusammengeschlossen haben.

Allein die Bürgerinitiative Wietze kam mit einem eigenen Bus zur Demo nach Berlin. In der kleinen Gemeinde im Landkreis Celle trifft man sich jeden Montag zur Mahnwache vor dem Bauplatz, wo eigentlich im Frühjahr 2010 der größte Geflügelschlachthof Europas seine Arbeit aufnehmen wollte. 2,6 Millionen Hähnchen in der Woche sollten hier geschlachtet werden. Im Moment scheint das Vorhaben eingefroren zu sein.

(Fotos ddp (2), dapd)

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