Tierleben

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Christina Hucklenbroich bloggt über unser Zusammenleben mit Tieren: über Alltägliches und neu Erforschtes und lange Verborgenes

"Sonst muss man Vegetarier werden": Jan Lenzke, der Tierarzt aus Karen Duves Erfolgsbuch „Anständig essen“, im Gespräch

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Dr. Jan Lenzke, geboren 1970 in Berlin, arbeitet als Tierarzt in Brandenburg. Karen Duve lässt ihn in ihrem zum Bestseller gewordenen autobiographischen Buch...

Dr. Jan Lenzke, geboren 1970 in Berlin, arbeitet als Tierarzt in Brandenburg. Karen Duve lässt ihn in ihrem zum Bestseller gewordenen autobiographischen Buch „Anständig essen” auftreten. Der Veterinär behandelt über mehrere Kapitel hinweg Duves an Krebs erkrankte Bulldogge. Lenzke besuchte in den achtziger Jahren die  Kinder- und Jugendsportschule in Ost-Berlin und feierte als 400-Meter-Läufer internationale Erfolge. Heute ist er Fachtierarzt für Kleintiere und arbeitet in der Tierärztlichen Praxis Dr. Matzke in Fürstenwalde als fachlicher Leiter im Bereich der bildgebenden Diagnostik und der Chirurgie.

Herr Lenzke, Sie sind der Tierarzt in Karen Duves Erfolgsbuch „Anständig essen”. Wie ist es, wenn man plötzlich eine literarische Figur ist?

Ich habe mit all dem nicht gerechnet. Für mich war Karen Duve immer eine Kundin wie jede andere. Ich wusste gar nicht, dass sie eine erfolgreiche Romanschriftstellerin ist. Wissen Sie, ich mache keine Unterschiede zwischen meinen Kunden. Für mich steht der Patient im Vordergrund. Im vergangenen Jahr hat Frau Duve mich dann gefragt, ob sie mich in ihrem Buch mit Namen nennen darf. Ich war einverstanden. Mit dieser ganzen medialen Geschichte, die dann kam, hatte ich nicht gerechnet und war völlig überrascht, dass dann aus ganz vielen Ecken kam: „Mensch, du kommst ja in dem Buch vor.” Dass das Buch so ein Erfolg werden würde, dass man plötzlich bekannt war – das hatte ich nicht geahnt.

Hat Ihnen das Buch gefallen?

Ich habe es bis jetzt zur Hälfte gelesen. Ich fand es sehr amüsant am Anfang. Dann wurde es schwer – also innerlich schwer, für mich, weil es den eigenen Lebensstil in Frage stellt. Man muss sich dann mit diesen Fragen auseinandersetzen, gerade wenn man, wie ich, einen Teil der Ausbildung in der Landwirtschaft gemacht hat.

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Dr. Jan Lenzke, Tierarzt in Fürstenwalde (Foto: privat)

Hinterfragen Sie denn jetzt Themen wie Massentierhaltung und Fleischverzehr?

Ich hinterfrage das nicht so sehr wie Frau Duve in ihrem Buch, aber einen Zwiespalt empfinde ich auch. Da geht es mir wie Tausenden anderen, die das Buch gelesen haben. Ich bin zwar nicht so radikal wie die Autorin, aber beschäftige mich mit dem Thema. Es ist ja zum Beispiel gerade ein interessanter Artikel im „Spiegel” über Hähnchenmast erschienen. Was ich da gelesen habe, war auch neu für mich. Ich habe zwar in der Landwirtschaft gearbeitet, aber nicht im Geflügelbereich. Und wenn man als Tierarzt arbeitet, steht ja doch immer das Tier im Vordergrund, man fühlt sich dann nicht nur als Fleischlieferant. Ich hatte noch nie ein schlechtes Gewissen dabei, Fleisch zu essen. Habe ich auch jetzt noch nicht. Aber über die Frage, wie geht man mit dem Tier um, müssen wir alle nachdenken. An der Fleischtheke, wo man sich die Frage stellt, nehme ich jetzt das Minutensteak oder nicht, da entscheide ich mich jetzt oft dagegen. Mein Fleischkonsum ist auch deutlich zurückgegangen. Man greift mehr zu Alternativen.

Was haben Sie selbst für Erfahrungen mit landwirtschaftlicher Tierhaltung gemacht?

Ich habe vor dem Studium eine landwirtschaftliche Ausbildung gemacht. Das war in der Wendezeit, und es galten noch die alten DDR-Richtlinien, dass man nach dem Abitur eine solche einjährige Ausbildung machen musste, bevor man Tiermedizin studieren konnte. Die Ausbildung hieß „Rinderproduktion – Schweineproduktion – Melkwirtschaft” und ich habe sie in der Nähe von Berlin gemacht. Auf dem Betrieb gab es so 200, 300 Kühe, außerdem Schweine. Für mich war das eine schöne Zeit. Zuvor war ich seit 1985 auf die Sportschule in Berlin gegangen. Ich kam also aus dem Berliner Leistungssportumfeld und betrat vor den Toren der Stadt eine neue Welt. Dort konnte ich bei Ferkelgeburten helfen, Kälber tränken. Für mich war das ein angenehmer Kontakt zu Tieren. Es wäre sicher schwerer gewesen, in einem Mastbetrieb zu arbeiten. Aber die Schweine, mit denen ich dort gearbeitet habe, waren Zuchteber und Zuchtsauen. Dadurch war die Betreuung der Tiere viel intensiver und individueller als bei der Mast. Die Tiere waren ja unheimlich viel wert. Zehn-, fünfzehntausend Mark kostete ein Zuchteber. Der ist ja acht, neun Jahre nutzbar. Ein Mastferkel wird dagegen gerade mal ein halbes Jahr alt. Was ich in meiner Ausbildung kennengelernt habe, war keine Massentierhaltung. Die Schweine hatten täglich Auslauf. Ähnlich hatte ich die Schweinehaltung schon in meiner Kindheit erlebt. Ich bin in Berlin aufgewachsen und habe in den Ferien immer Verwandte in Mecklenburg-Vorpommern besucht. Das waren kleinbäuerliche Strukturen, die Tiere konnten auf die Weide. Die Schweine gingen wühlen. Im Sommer hat man mit dem Schwein gespielt, im Herbst wurde es geschlachtet, zu Weihnachten bekam man die Wurst zugeschickt.

Sie haben 1990 ein Tiermedizinstudium in Berlin begonnen. Haben Sie später als Tierarzt noch einmal in der intensiven Tierhaltung gearbeitet?

Während ich promovierte, arbeitete ich auf einem großen Betrieb mit mehr als tausend Kühen. Das war natürlich Massentierhaltung. Ich habe dort eine Infektionsstudie über Euterinfektion mit Mykoplasmen angefertigt. Damals habe ich gemerkt, dass das nicht die Arbeit ist, die ich gerne machen will. Ich wollte nicht schauen müssen, was ich medizinisch gerade noch vertreten kann, damit das Tier genug Gewinn abwirft.

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Schriftstellerin Karen Duve mit Huhn Rudi, das sie aus einem Legehennenbetrieb rettete

Glauben Sie, dass Tierhaltung in extrem großen Gruppen, also das, was man „Massentierhaltung” nennt, immer zwangsläufig Leiden für die Tiere bedeutet?

Die Haltung führt zu Leiden bei den Tieren, wenn sie nur noch auf den Profit ausgerichtet ist. Genau diese Situation hat mich besonders erschreckt, als ich jetzt den Artikel über die Hühnermast gelesen habe. Klar, der Verbraucher ist gefordert, aber er ist auch überfordert. Ein Hartz-Vier-Empfänger – jetzt kommen wir wieder in dieses Klischee –  also jemand, der sehr wenig Geld hat, will ja auch satt werden. Wenn der zum Biometzger geht statt in den Supermarkt um die Ecke, dann kostet das Fleisch dreimal so viel und schmeckt genauso. Die Politik ist gefordert zu sagen: Wir in unserer Gesellschaft wollen das nicht. Wir wollen nicht, dass so mit Tieren umgegangen wird. Es hat sich ja schon einiges bewegt, aber wenn man betrachtet, wie schwerfällig das ist: Noch immer wird über Abschaffung der Käfigbatterien für Hühner gestritten.

Was müsste verändert werden, damit es Nutztieren besser geht?

Ich schätze, man kann auch in großen Haltungen eine tiergerechte Haltung durchführen, wenn man etwa Kleingruppen schafft. Man müsste dann Forschungsergebnisse berücksichtigen: Wie ist so eine Schweinerotte aufgebaut, wie lebt die? Man muss die Anzahl kennen und die Bewegungsmuster. Wenn man das ummünzt auf einen Stall, dann mag es möglich sein, ein akzeptables Wohlfühlklima für die Tiere zu schaffen. Man sollte das fordern, wenn man Fleisch essen will. Sonst muss man Vegetarier werden.

Überall in Deutschland werden riesige Mastställe gebaut, gegen die sich Bürgerinitiativen wehren. Gerade im Osten werden die ehemaligen LPGs der DDR für diese Zwecke genutzt. Was halten Sie von Beständen mit mehreren Zehntausend Tieren?

Die Schweinehaltungen in der DDR waren ja die größten Osteuropas. Zum Beispiel gab es in der Uckermark früher einen Betrieb mit 100.000 Schweinen. Jetzt soll genau dort wieder ein Betrieb mit mehr als 60.000 Schweinen entstehen. So etwas sehe ich auch sehr kritisch. Man kann zwar, wenn man Kleingruppen schafft, durchaus eine Situation erzeugen, in der sich Schweine wohlfühlen. Aber so viele Tiere auf einem Fleck bedeuten immer, dass die Tiere nicht raus können, also keinen Auslauf bekommen, wegen der großen Seuchengefahr. In der Regel führen diese Haltungsformen zu einer Optimierung von Produktionsabläufen und die Bedürfnisse des einzelnen Tieres bleiben völlig unberücksichtigt. Neben der starken Geruchsbelastung für die Anwohner entstehen außerdem große Güllelachen, die müssen ja auch irgendwohin und werden so zu einem extremen Umweltproblem.

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Eine Sau mit ihren Ferkeln in Berlin auf der “Grünen Woche”…

Karen Duves Buch hat einen Nerv getroffen: Schon nach neun Tagen ging es in die dritte Auflage, der Dioxin-Skandal und die allgemeine gesellschaftliche Stimmung katapultierten es in die Bestsellerlisten. Wird diese Debatte über Vegetarismus und Massentierhaltung auch in Ihrem Umfeld geführt?

In dem Umfeld, in dem ich arbeite, ist das Ganze kein Thema. Ich lebe ja in Berlin, aber arbeite in Fürstenwalde, wo es viel ländlicher ist und viele Menschen direkten Kontakt mit Nutztierhaltung haben. Ich denke, das ist eine Elitendebatte, die in Berlin auch leichter zu führen ist.

Ich habe das Buch hier in der Praxis den Kollegen vorgestellt, nachdem Frau Duve es mir zugeschickt hatte. Für die Kollegen, die sowieso schon so orientiert sind, war das Buch eine Bestätigung für ihre Sichtweise und dafür, dass es einen allgemeinen Trend gibt, die Massentierhaltung kritisch zu sehen. Die anderen fanden das Buch exotisch. Es ist aber immer noch ab und zu Thema, wenn wir Mittagsessen gehen. Es hat sich zwar noch keiner als Vegetarier geoutet. Aber wenn einer mit Hühnchen ankommt, dann heißt es manchmal: Na, wieder Kinder essen, was.

Eine Kollegin von mir ist Tierärztin und ihre Familie hat einen Rinderbetrieb mit mittleren Tierzahlen. Als wir über das Buch sprachen, sagte sie, sie ist heute früh durch den Stall gegangen und sie hat nicht das Gefühl, dass ihre Tiere leiden. Die sind fruchtbar, die fressen gut, die Körperfitness ist gut. Auch ich denke, dass man nicht bei jeder Stallhaltung von Leiden sprechen kann. Tierquälerisch wird es zum Beispiel,  wenn bei den Tieren die Körperpflege vernachlässigt wird, wenn durch die Haltung Erkrankungen wie Klauen- und Gelenkerkrankungen auftreten und die Kuh dann trotz Schmerzen nicht tierärztlich versorgt wird, nur damit die Milch weiter verwendbar bleibt.

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…und eine mittels Metallbügel fixierte Sau in Niedersachsen (Fotos dpa (2), dapd)

In der Diskussion um Massentierhaltung wird immer wieder von Seiten der Landwirte betont, dass die Mehrzahl der Höfe Familienbetriebe sind. Kommt es häufiger zu tierquälerischen Bedingungen, wenn Tiere, wie in riesigen Betrieben üblich, von Personal versorgt werden?

Das ist individuell. Bei zehn, zwölf Angestellten für mehrere Tausend Tiere kann natürlich die Einzelleistung sehr negativ durchschlagen. Auch ist die Gefahr sehr hoch, dass das einzelne Tier in der Masse untergeht und aufgrund des Zeitdruckes die Betreuung verschoben oder vergessen wird.  Man darf aber auch nicht vergessen, dass Melker ein sehr harter Beruf ist. Man muss um drei raus, die arbeiten in zwei Schichten, auch samstags und sonntags. 

In Karen Duves Buch „Anständig essen” stirbt die Bulldogge Bully. Sie schläfern den schwer krebskranken Hund ein. War Frau Duve denn jetzt mal mit einem neuen Haustier bei Ihnen?

Ich habe danach ihr Huhn Rudi betreut, das sie aus einem großen Legehennenbetrieb gerettet hatte. Es hatte sich dort im Zaun verfangen und sich das Bein gebrochen. Im Wartezimmer war das damals eine amüsante Situation. Alle saßen da mit Hund und Katze und in Frau Duves Korb gurrte es. Ich weiß noch, dass eine Kollegin, sagte: „Das ist ja wie ein Sechser im Lotto für das Huhn!” Und da hatte sie recht: Wenn Frau Duve das Huhn nicht gerettet hätte, dann wäre es gekeult und dann wahrscheinlich einfach entsorgt worden. Und jetzt hat es, bei Frau Duve, einen neuen Lebensmittelpunkt gefunden. Das Leben hat sich um 180 Grad gedreht für das Huhn. Wir haben Rudi, der eigentlich eine Henne ist, fast acht Wochen lang betreut. Der hatte sich ja einen Ständer gebrochen und wir konnten uns gegen eine OP und für einen Schienenverband entscheiden. Die Heilung haben wir dann mit Röntgenkontrollen begleitet. Und Rudi hat sich zu einem frechen, drolligen und zahmen Kerl gemausert.

Das Gespräch führte Christina Hucklenbroich.


2 Lesermeinungen

  1. Mir ist das Thema ehrlich...
    Mir ist das Thema ehrlich gesagt zu unwichtig um mir darüber Gedanken zu machen. Typisches Wohlstandsproblem. Ein Huhn Rudi zu nennen beweist eh welchen Geistes Kind die Autorin ist.

  2. astra1971 sagt:

    Ein Deutscher isst ungefähr...
    Ein Deutscher isst ungefähr 200 Gramm Fleisch pro Tag. Macht jährlich etwa 80 Kilo Fleisch pro Kopf und rund 6,5 Milliarden Kilo Fleisch für das ganze Land. Eine solche Masse an Fleisch kann man aber nur bereit stellen, wenn man die Tiere in Massen züchtet und im Akkord tötet. Diese Massentierhaltung ist nicht nur furchtbar für die Tiere, sie ist auch schlimm für unsere Umwelt, für das Klima und für die Gerechtigkeit auf der Welt. Es gibt viele gute Gründe, nie mehr Fleisch zu essen. Aber eigentlich reicht schon einer…!

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