Tierleben

Grüne Woche (3): Macht Antibiotikahandel die Tierärzte reich?

Die Pressemappen reichten nicht: Zum 10.30 Uhr-Termin am hinteren Ende der Halle „Erlebnis-Bauernhof” auf der Grünen Woche kamen viel mehr Journalisten und Vertreter von agrarkritischen Verbänden, als sich angemeldet hatten. In dem schlichten Meetingraum, einem flachen Container im Schatten der großen Hallenbühne, hatte die Bundestierärztekammer eine Pressekonferenz organisiert. Thema: Antibiotika in der Tiermast; ein anderes wäre gegenwärtig wohl auch nicht denkbar gewesen. Immerhin war es die Dachorganisation aller 36.500 deutschen Tierärzte, die hier zum Pressegespräch einlud. Wer teilnehmen wollte, musste sich allerdings erstmal durch Halle 3.2 schlagen, den „Erlebnisbauernhof”. Hier werden die Errungenschaften der modernen Landwirtschaft und Ernährungsindustrie auf ein paar tausend Quadratmetern zelebriert. McDonalds reicht frisch gebratene Buletten an Schulkinder, die „Landlust” gibt Probeabos aus und am Messestand der deutschen Geflügelwirtschaft piepsen winzige Putenküken in einer geräumigen Glasvitrine.

Putenküken auf der Grünen Woche

Die Geflügelwirtschaft: Sie ist es wohl, die den Container am Hinterausgang so voll hat werden lassen. Dass Antibiotika in der Tiermast zum zentralen Thema der Grünen Woche 2012 werden würden, war wohl schon im Herbst davor abzusehen. Die vielzitierten ministeriellen Studien aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sind schuld, zum einen: Sie haben eindrucksvolle Zahlen über den Antibiotikaeinsatz in der Geflügelmast geliefert. Zum anderen war die Stimmung der Geflügelhaltung gegenüber wohl schon zuvor schlecht. Im Spätsommer hatte eine ARD-Reportage über das „System Wiesenhof” unhaltbare Zustände in großen Hähnchenmastanlagen offengelegt, Brutalität gegenüber den Tieren und Ausbeutung der Arbeiter. Immer wieder hatten sich die offiziellen Vertreter der Geflügelhalter rechtfertigen müssen, auch schon Anfang 2011, als Eier plötzlich als Dioxin-verdächtig galten.

Dass Nutzgeflügel tatsächlich ein Thema für sich ist, wurde auch auf der Pressekonferenz der Bundestierärztekammer wieder deutlich. Einige Male musste Thomas große Beilage, der sich den Fragen der Presse stellte, bei seinen Antworten im Vagen bleiben und sich auf den Hinweis zurückziehen, dass er ja nun auch kein Geflügeltierarzt sei und die Materie eben sehr speziell. Geflügeltierärzte sind Spezialisten, und sie sind wohl auch fast so etwas wie Monopolisten. Es gibt nur 291 Fachtierärzte für Geflügel in Deutschland, und längst nicht alle davon sind selbständig und betreuen, über Land fahrend, große landwirtschaftliche Betriebe in weitem Umkreis, so wie man sich das in der aktuellen Antibiotikadebatte eben landläufig vorstellt. Es ist davon auszugehen, dass die Mehrheit sich anderen Bereichen widmet, etwa Ziervögeln oder exotischen Vögeln, dass viele darunter eine wissenschaftliche Karriere anstreben und an einer Universitätsklinik tätig sind oder sogar sehr spezialisiert arbeiten und beispielsweise ausschließlich Tauben betreuen.

Die Tierärzte, um die es auf der Pressekonferenz wirklich ging, jene Nutzgeflügelexperten, die letztlich die Antibiotika an die Geflügelmäster abgeben, die nun durch die norddeutschen Studien in die Kritik geraten sind, meldeten sich selbst nicht zu Wort. Für sie sprachen Theo Mantel, der Präsident der Bundestierärztekammer, und Thomas große Beilage, Fachtierarzt für Schweine und Vorsitzender des Ausschusses für Arzneimittel- und Futtermittelrecht in der Bundestierärztekammer.

Theo Mantel (l.) und Thomas große Beilage in Berlin

Die deutschen Veterinärmediziner, vielleicht muss man das dazusagen, sind in Aufruhr, schon seit einigen Wochen. Sie debattieren nicht nur auf der Grünen Woche, sondern auch bei Empfängen, auf Kongressen wie in der vergangenen Woche in Leipzig, in Internetforen und Mailinglisten. Es geht um das Dispensierrecht, das Recht der Tierärzte, Arzneimittel vom Großhandel zu beziehen, sie in einer tierärztlichen Hausapotheke vorrätig zu halten und dann, mit einem Aufschlag versehen, an Tierhalter weiterzuverkaufen. Schätzungsweise ein Viertel seines Gehalts erbringt ein deutscher Tierarzt über diese Verkäufe; in anderen europäischen Ländern machen Arzneimittel keinen oder nur einen sehr geringen Anteil des Einkommens aus; allerdings sind praktisch tätige Tierärzte, die Haus- und Nutztiere betreuen, in einigen Ländern, etwa Schweden, staatlich als sogenannte „Distriktveterinäre” angestellt und nicht selbständig. In anderen vergütet der Staat zumindest Teile der tierärztlichen Leistungen. „In Norwegen werden Tierärzte für ihren Bereitschaftsdienst vom Staat bezahlt, also nur, damit sie ‚on call‘ sind”, erklärte große Beilage in Berlin. „So etwas gibt es in Deutschland nicht, weil wir marktwirtschaftlicher orientiert sind.”

Hat diese marktwirtschaftliche Orientierung denn nun zu Auswüchsen geführt, zu Missbrauch von Antibiotika, die durchaus auch den Masterfolg fördern können, hat sie kriminellen Energien Tür und Tor geöffnet und Tierärzte und Geflügelbarone zusammen reich werden lassen? Eindeutige Antworten gab es dazu nicht in Berlin. „Es geht nicht um Bereicherung”, sagte große Beilage. Ein niedergelassener Allgemeinarzt in der Humanmedizin verdiene noch immer zweieinhalbmal so viel wie ein selbständiger Tierarzt. Diese Zahl stammt aus Erhebungen des Statistischen Bundesamtes von 2007. Einbezogen wurden Tierarztpraxen aller Ausrichtungen, also auch Kleintierpraxen. Große Beilage räumte ein, dass sich die Einkünfte der Tierärzte leicht nach oben korrigieren würden, wenn man die Kleintierpraktiker herausrechne und nur die Nutztierpraktiker berücksichtige. Doch noch immer gelte dann: „Die Arzneimittelabgabe ist keine Goldmine.”

Doch die Vertreter der Kammer waren nicht nur angetreten, um Vorwürfe gegen die Tierärzteschaft zu entkräften. Vor allem ging es darum, das Konzept der Bundestierärztekammer für mehr Transparenz im Arzneimittelverkehr vorzustellen, das die Kammerdelegierten schon im November verabschiedet hatten. Im Wesentlichen beruhe dieses neue Konzept auf einer „Aufgabe der Anonymität”, sagte große Beilage. Jeder Tierarzt muss demnach die Abgabe von Arzneimitteln an eine internetbasierte Datenbank melden. So soll ein „Tiergesundheitsportal” entstehen, das die Basis für eine statistische Auswertung liefert. Im Moment sei es für Tierarzt und Tierhalter noch kaum möglich, für sich zu bestimmen, wo er im Vergleich mit anderen hinsichtlich Arzneimittelabgabe und Gesundheit überhaupt stehe. Das soll sich ändern. Die Kammervertreter stellten heraus, dass ihr Konzept größere Transparenz und Offenlegung biete als VetCAb, ein Projekt des Bundesinstituts für Risikobewertung, an dem Tierärzte und Landwirte nur auf freiwilliger Basis teilnehmen.

Kühe in der Halle “Erlebnis-Bauernhof” auf der Grünen Woche

Große Beilage kam auch auf ein Thema zu sprechen, dass er als „außerordentlich heiß” bezeichnet – und unter Tierärzten ist es das wohl auch. „Wir setzen uns dafür ein, dass die tierärztliche Leistung und die Arzneimittelabgabe vollkommen getrennt werden”, sagte er. Das ist tatsächlich ein heißes Eisen: Bisher gehen viele Tierärzte davon aus, dass sie ihre Leistung nur über den Verkauf von Arzneimitteln „abrechnen” können. Kurz gesagt: Wird hinterher kein Karton mit Medikamenten weitergereicht, werden nur wenige Bauern es einsehen, allein für den Hofrundgang und die Beratung ein Honorar zu zahlen.

Das Recht, die Arzneimittel zu verkaufen, soll aber auf jeden Fall bei den Tierärzten verbleiben, auch weiterhin mit einem Aufschlag für die Apothekenführung und Dokumentation versehen – dafür setzen sich die Standesvertreter ein, alarmiert durch den Vorstoß von Landwirtschaftsministerin Aigner, die nach den Enthüllungen über antibiotikaresistente Keime auf Hähnchenfleisch flugs einen Entwurf für neue gesetzliche Regelungen aus der Schublade holte. Auch Einschränkungen des tierärztlichen Dispensierrechtes rücken mit dieser Schrift in den Bereich des Möglichen. In Berlin listeten Mantel und große Beilage die Gründe auf, die dafür sprechen, das Dispensierrecht bei den Tierärzten zu belassen: Die direkten Wege seien sinnvoll, schließlich begrenze das Dispensierrecht die Zahl der beteiligten Personenkreise. Nur bei Behandlung von Tieren erfolge auch eine Abgabe. Große Beilage: „Es wird kein Apotheker in den Stall gehen und den Landwirt beraten, das kann er nicht, dafür hat er keine Ausbildung.” Denn das wäre die Alternative: Apotheken würden dann die Medikamente für Nutztiere vorrätig halten und an Landwirte abgeben.

Für den Fall, dass das Dispensierrecht falle, zeichneten die Veterinäre ein düsteres Szenario: In einigen Regionen – große Beilage nannte Ostdeutschland und Hessen – würde es dann noch weniger Landtierärzte geben als bisher, Nutztiere wären möglicherweise kaum noch medizinisch versorgt.  Der Schwarzmarkt könnte gefördert werden. Viele tiermedizinische Fachangestellte, also Tierarzthelferinnen, würden arbeitslos werden, weil ihre umfangreichen Aufgaben in der Apothekenverwaltung wegfielen. Doch es würde dann auch Gewinner geben: Sehr große Praxen in „veredelungsdichten Regionen” würden kurzerhand eine Apotheke gründen und einen Apotheker einstellen – rechtlich ist das möglich.

„Ein Berufsstand sollte nicht unter Generalverdacht gestellt werden”, war große Beilages Fazit. Theo Mantel ergänzte, natürlich müsse es über das neue Konzept hinaus auch strukturelle Änderungen im System der Hähnchen- und Putenmast geben. Der Tierschutz müsse verbessert werden. Und wie auf vielen Podien der Grünen Woche verwiesen beide auch darauf, dass die Geflügelmast Probleme kenne, an denen die Tierärzte keinen Anteil haben: Schon die Elterntiere der Masttiere haben einen schlechten Gesundheitsstatus, sind nicht robust. Und: „Dass Masthähnchen in so großen Gruppen gehalten werden – da hat uns keiner gefragt, ob das so gemacht werden soll. Wir müssen das jetzt nur als Tierärzte handhaben”, sagte große Beilage.

Auf ein Argument, das durchaus einiges für sich hat, verzichteten die Veterinärmediziner: Ihr Berufsstand ist einem Generationswandel unterworfen, der manches verändern wird. 85 Prozent der Studierenden in der Veterinärmedizin sind Frauen (in den siebziger Jahren waren es gerade 25 Prozent), und schon jetzt sind auch von den 26.000 tierärztlich Tätigen in Deutschland 14.700 weiblich. Sollte es je einen “Old Boys Club” zwischen Geflügeltierärzten und der Mastindustrie, jenen ominösen “Geflügelbaronen”, gegeben haben, dann wird damit ohnehin in naher Zukunft Schluss sein. Über die Frauen, die die Tierarztstellen der Zukunft ausfüllen werden, weiß man vielleicht noch nicht genug, um eine Prognose für die Nutztierpraxis abgeben zu können. Immerhin scheinen sie sich derzeit nicht übermäßig zu bereichern: Sie stellen den Löwenanteil der angestellten Tierärzte; unter 5500 Tierärzten, die als Angestellte in Praxen arbeiten, sind 4500 Frauen. Eine vor vier Jahren publizierte Studie belegt, dass angestellte Veterinäre in der Nutztierpraxis im Durchschnitt 2850 Euro brutto verdienen – unabhängig von Berufsjahren oder Weiterbildungsstufen und Promotion.      

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