Tierleben

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Christina Hucklenbroich bloggt über unser Zusammenleben mit Tieren: über Alltägliches und neu Erforschtes und lange Verborgenes

Petitionen und Protest: Der Antibiotika-Streit geht weiter

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Die Antibiotika-Debatte geht weiter - auch in den veterinärmedizinischen Hörsälen. Die deutschen Tierärzte setzen sich dafür ein, dass ihr Recht erhalten bleibt, Arzneimittel zu verkaufen.

Vor kurzem habe ich mich in eine Pharmakologie-Vorlesung an einer der fünf deutschen Fakultäten gesetzt, an denen man Veterinärmedizin studieren kann. Ein fensterloser Hörsaal mit ansteigenden Sitzreihen, links und rechts führten schmale Treppen hinauf. Es war ein verregneter später Vormittag, von draußen klang der Hufschlag eines Pferdes herein. Das siebte Semester hatte gerade noch einem Vortrag über Chirurgie gelauscht, jetzt packte man die Butterbrote aus und sprach über die Pläne für die bevorstehenden Semesterferien. Als der Dozent hereinkam, hielt er einen Stoß Papier in der Hand und kündigte an, das heutige Thema passe hervorragend zur öffentlichen Debatte über Veterinärmedizin und landwirtschaftliche Tierhaltung, die man gerade führe. Auf dem Vorlesungsplan standen Beta-Lactam-Antibiotika, jene Mittel, gegen die sogenannte ESBL-Keime resistent sind. Solche Keime hat der Umweltverband BUND unlängst auf Hähnchenfleisch gefunden, die Entdeckung beherrschte Schlagzeilen, Titelseiten und die Podiumsdiskussionen der Grünen Woche. Jetzt ist das Thema wieder aktuell geworden: Im Klinikum Bremen-Mitte starben zwei frühgeborene Säuglinge an Sepsis, die durch Antibiotika-resistente Keime ausgelöst wurde. Damit ist der Antibiotika-Verbrauch erneut in den Schlagzeilen, und zwar nicht nur der in der Humanmedizin, sondern auch der der Veterinärmedizin. Dass Tiere häufig mit Antibiotika behandelt werden, zeigten zuletzt die Hähnchenmast-Studien aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Für einige ist deshalb längst ausgemacht, wer schuld ist an den Krankenhauskeimen: In der vergangenen Woche etwa führte ein Kinderarzt in Anne Wills Talkshow aus, die resistenten Keime in der Bremer Klinik stammten aus der Tierhaltung. Bremen liege schließlich unweit von Gegenden, die als Hochburgen der Mast gelten.

Der Dozent unten im Hörsaal ließ seinen Papierstoß flattern. Ausgedruckte E-Mails seien das, von der Landestierärztekammer und anderen Institutionen, außerdem Zeitungsausschnitte aus der Lokalzeitung. “Und wer ist im Schussfeld?” fragte er und antwortete selbst: Die Tierärzte seien es. Und deren Dispensierrecht. Meine Sitznachbarin flüsterte, dass derzeit viele Vorlesungen mit diesem Thema begönnen oder endeten. “Gestern zum Beispiel hatten wir Geflügelvorlesung und am Ende hatten wir noch Zeit, und dann wurde auch darüber geredet.” Über die Hähnchen, die Mast und die Medikamente. Und über das Dispensierrecht, das Recht der Tierärzte, Arzneimittel in einer eigenen Hausapotheke vorrätig zu halten und an Tierbesitzer abzugeben. Es scheint jetzt in Gefahr.

Als ich heute morgen meinen E-Mail-Account öffnete, fand ich wieder eine neue E-Mail von einem ehemaligen Kommilitonen – die fünfte schon. Die Mails mit den beeindruckend langen Adressatenlisten weisen mich auf eine Bundestagspetition hin, mit der sich die deutschen Tierärzte dafür einsetzen, dass ihr Dispensierrecht erhalten bleibt. Die Petition endet am 9. März. Bis dahin müssen 50.000 Unterzeichner gefunden sein, damit das Anliegen im Petitionsausschuss beraten wird. Bis heute haben knapp 17.000 Bürger mit Namen unterzeichnet.

Die Begründung der Petition lautet: “Fiele das Dispensierrecht für Tierärzte weg, wären Tierhalter gezwungen, sich Medikamente für ihre Tiere in einer Apotheke zu besorgen. Dort erfolgt der Verkauf nur in Gebinden, so dass zwangsläufig nach dem Ende der Behandlung Restbestände entstünden. Dies schafft einen Anreiz für Halter, mit diesen Restbeständen nicht mit dem Tierarzt abgesprochene Selbstmedikation durchzuführen und so das Wohl seines Tieres zu gefährden. Bisher werden Medikamente durch den Tierarzt nur in der für die Behandlung benötigten Mengen ausgegeben. Zudem entsteht für den Tierhalter ein erhöhter Aufwand für die Besorgung von Medikamenten und, bedingt durch die Ausgabe in Gebinden, eine höhere finanzielle Belastung.”

In den E-Mails fand ich den Hinweis, dass es bereits eine andere Petition gebe, in der sich eine Gruppe gegen das Dispensierrecht von Tierärzten starkmacht. Zur Begründung heißt es in dieser Petition: “In letzter Zeit häufen sich die Fälle, dass z.B. Antibiotika-Rückstaende in tierischen Lebensmitteln festgestellt werden, was in hohem Grade gesundheitsgefährdend ist. Gewissenlosen, profitsüchtigen schwarzen Schafen unter den Tierärzten muss unbedingt mit gesetzlichen Vorgaben das kriminelle Handwerk gelegt werden.” 900 Unterzeichner haben sich bisher gefunden, sie alle unterstützen das Projekt anonym.

Problematisch in der Debatte ist wohl vor allem die Tatsache, dass Tierärzte ihre Leistung über den Verkauf von Antibiotika abrechnen. Wechselt kein Kasten voller Medikamentenflaschen die Hand, sieht ein Landwirt auch nicht die Notwendigkeit, die Dienste des Tierarztes zu honorieren – so sehen es viele Veterinäre selbst. 25 Prozent ihres Gehaltes erbringen Tierärzte in Deutschland über den Verkauf von Arzneimitteln – deutlich mehr als in anderen europäischen Ländern. Das Beraten, das Hand-Anlegen, die Diagnostik durch den Tierarzt – all das ist in Deutschland offenbar schlecht verkäuflich ohne eine Packung Arzneimittel. Wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass in einzelnen anderen Ländern das Veterinärwesen grundsätzlich anders organisiert ist. In Schweden etwa sind viele klinisch tätige Tierärzte Staatsangestellte. Sie behandeln sowohl Hunde und Katzen als auch Kühe und Schweine, und all das im öffentlichen Dienst.

Aber um zur deutschen Debatte zurückzukehren: Auf die Spitze getrieben wird die Entwicklung nach Meinung vieler Beteiligter durch die immer größer werdenden Tierbestände: In riesigen Herden kommt es immer seltener zur Einzeltierbehandlung. Um es plakativ zu sagen: Niemand behandelt ein einzelnes krankes Huhn unter 40.000, zumal es nur ein paar Cent wert ist. Womit wir wieder bei den alten Themen wären: Massentierhaltung und Billiglebensmittel. Die Tierärzte sehen sich derzeit als Opfer einer Entwicklung, die nicht von ihnen ausgeht: Sie seien schließlich nicht die treibenden Kräfte bei der Vergrößerung von Tierbeständen.

In diesem Zusammenhang fiel zuletzt auch das schöne Wort “Bauernopfer”. Die Tierärzte, speziell diejenigen, die nur “Luxustiere” wie Hund und Katze behandeln, wollten kein “Bauernopfer” sein, titelt die berufspolitische Zeitschrift “Vetimpulse” in ihrer aktuellen Ausgabe (“Kleintierpraktiker fühlen sich als Bauernopfer”, 1. März 2012). In dem Artikel wird dargestellt, dass, sollte das Dispensierrecht wegfallen, die Besitzer von Hunden und Katzen in eine Apotheke gehen und die kleinste Packungsgröße eines verschriebenene Medikamentes erwerben müssen – während die Tierärzte bisher die Tabletten aus einem Nebenraum holen und dem Tierbesitzer abgezählt in die Hand überreichen können. Liege in Zukunft die Tablettenzahl oft über dem Bedarf, “werden die Reste gehortet und beim nächsten ‘Krankheitsfall’ in Eigenregie verordnet oder – und das kann man schon jetzt auf einschlägigen Internetseiten beobachten – der private Handel mit ‘Restbeständen’ wächst weiter”, heißt es in der Zeitschrift “Vetimpulse”. Somit wären der Entstehung von Antibiotikaresistenzen durch zu kurze Behandlungen von Hund und Katze oder die Wahl des falschen Mittels Tür und Tor geöffnet – soweit die Argumentation der Tierärzte. Und tatsächlich scheint es schon jetzt einen solchen privaten Handel mit Tiermedikamenten zu geben, das zeigt ein Blick in Tier-Foren. Meist sind es Medikamente für chronische Krankheiten, beispielsweise Herzleiden, die auf diese Weise gesucht und weiterverkauft werden, etwa Restbestände nach dem Tod eines Tieres; drei, vier Packungen, die durchaus einen Wert von mehr als hundert Euro haben können. Aber auch die Weitergabe von antimikrobiellen Wirkstoffen auf diesem Wege ist natürlich denkbar und möglich. Einzelne Tierbesitzer geben hier auch den Tipp weiter, sich doch einfach vom Hausarzt das billigere Humanmedikament mit gleichem Wirkstoff verschreiben zu lassen, das dann dem Hund genausogut hilft. Warum es in vielen Fällen ein Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz wäre, wenn ein Tierarzt das billigere Äquivalent aus der Humanmedizin verschreiben würde, lässt sich hier nachlesen: Sind Human-Medikamente für Tiere erlaubt?

Bild zu: Petitionen und Protest: Der Antibiotika-Streit geht weiter

Tierärzte debattieren über das Dispensierrecht

Dass durch den Wegfall des Dispensierrechts also auch eine wichtige Kontrollfunktion verlorengeht, ist ein Hauptargument der Tierärzte. Ob diese Argumentation ausreichend ist, wird sich zeigen – schließlich steht die 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes ins Haus, und sie wird vermutlich auch Einschränkungen der Antibiotikaanwendung zum Ziel haben. Das Dispensierrecht wurde schon Ende Januar in einer aktuellen Stunde im Bundestag debattiert. Dort äußerten sich auch viele Politiker, die eine Einschränkung befürworten. “Wir müssen den Dealern der Massentierhaltung das Handwerk legen, diesen Autobahntierärzten, die als promovierte Paketdienstleister ihre Kunden in den Großställen beliefern”, sagte Friedrich Ostendorff (Bündnis 90/Die Grünen). “Wir brauchen eine Einschränkung des Dispensierrechts”, konkretisierte Karl Lauterbach (SPD). “Eigentlich müssen wir noch viel früher ansetzen. Wir brauchen Haltungsbedingungen, die Tiere gesund halten und nicht verstärkt zu einer Erkrankung beitragen”, äußerte sich Kirsten Tackmann (Die Linke). “Wer verhindern will, dass ein krankes Tier behandelt wird, der verweigert Tierschutz”, scheint Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) die Position der Veterinäre zu stützen. (Quelle: bpt-info, Ausgabe 3, März 2012)

Ein Streit, der noch nicht ausgestanden ist. Im Hörsaal, in der Pharmakologie-Vorlesung, fragte ich meine Sitznachbarin, ob sie Kommilitonen hat, die angesichts der Debatten eines Tages, wenn sie Examen haben, als Geflügeltierärzte arbeiten wollen. “Ein paar gibt ‘s”, sagte sie. “Aber nicht viele.” Und sie selbst? Sie wolle später im Zoo arbeiten. Das kann man gut verstehen, denn dann müsste sie sich zumindest um die Diskussionen über das Dispensierrecht keine Sorgen mehr machen: Als Zootierarzt ist man im öffentlichen Dienst, hat eine anregende Arbeitsumgebung (dort arbeiten, wo andere das Wochenende verbringen!), kommt ins Fernsehen und, vielleicht besonders wichtig: Bei seltenen und exotischen Tieren sind ihre Gesundheit und ein langes Leben ein hohes Gut. Da werden schnell mal Humanmedikamente verwendet, und wenn Gorillas oder Orang-Utans erkranken, kann man mit einiger Berechtigung sogar im Team mit Humanmedizinern zusammenarbeiten. Gehen Seuchen um, gegen die auf Bauernhöfen nicht geimpft werden darf, wird in Zoos eine Ausnahme gemacht – denn nur das Tierwohl zählt. Außerdem bestimmt ein Zootierarzt in der Haltung, der Behandlung und der Pflege der Tiere mehr mit – er bildet ein Team mit Pflegern und Kuratoren. Patientenbesitzer, die, kaum mit der Arzneimittelpackung zu Hause angekommen, eigene Entscheidungen treffen, gibt es hier nicht.


4 Lesermeinungen

  1. yokowakare sagt:

    Wer liest so viel dichten...
    Wer liest so viel dichten (…) Text…?

  2. Erdwespe sagt:

    Ich frage mich, wo mein...
    Ich frage mich, wo mein Kommentar von vor 2 Tagen bleibt.
    Aber vielleicht ist die Frage bei einer Preisträgerin der Fleischindustrie auch falsch gestellt?!

  3. Erdwespe sagt:

    Ich habe gerade das Buch...
    Ich habe gerade das Buch ‘Tiere essen’ von Jonathan Safran Foer gelesen und obwohl ich glaubte, letztlich schon das meiste zu wissen, gingen mir die Augen über, buchstäblich….denn man kann nur noch vor Entsetzen und Abscheu heulen, wenn man liest (Filme schaue ich mir schon gar nicht an!) was Tieren alles angetan wird. Von dem ganz “normalen” Wahnsinn der Massentierhaltung mit ihren Qualzüchtungen, Zerstörung jeder sozialen Struktur, Zerstörung des Tagesrhythmus und Verkürzung der tierischen Lebenszeit auf ein Alter, das einem 10 jährigen Kind entspricht (das aber auf 140 kg gemästet wurde) zu dem Sadismus der “Stopfer”, Verlader und Schlachter, die ihren Frust über die schlecht bezahlte und entmenschlichende Arbeit an den hilflosen Tieren auslassen. Augen ausstechen, mit Eisenstangen prügeln , ihnen die in Vagina und After rammen, sie bei lebendigem Leibe, oft sogar absichtlich, zerlegen. Diese Tierärzte in Massentierhaltung und Schlachthöfen sind offensichtlich Handlanger und Vertuscher dieses grausamen Systems.
    Vor allem offensichtlich die, die das Buch nicht gelesen haben, betonen gerne, was sie aus Kritiken wissen, dass Foer nicht fordere, man solle Vegetarier werden. Sie sollten das Buch lesen, so einfach macht er es diesen Leuten nicht.
    Wenn man weiß, muss man sich entscheiden und Verantwortung übernehmen, deshalb ziehen es die meisten vor, nicht zu wissen.

  4. tricky1 sagt:

    "Eigentlich müssen wir noch...
    “Eigentlich müssen wir noch viel früher ansetzen. Wir brauchen Haltungsbedingungen, die Tiere gesund halten und nicht verstärkt zu einer Erkrankung beitragen”
    .
    Ja so einfach wäre es!

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