Gerade erst haben die „Grünen” eine kleine Anfrage abgeschickt: Wann es denn endlich etwas werde mit der Novellierung des Arzneimittelgesetzes (AMG), erkundigen sie sich. Die Novelle soll, so hoffen Umwelt- und Tierschutzverbände, Aktivisten für ökologische Landwirtschaft und Verbraucherschützer, neue Bedingungen für die Anwendung von Antibiotika in Nutztierbeständen schaffen. Strengere Regeln sollen, so wird es wenigstens von den Kritikern konventioneller Nutztierhaltung gefordert, insbesondere für Antibiotika gelten, die in der Humanmedizin dringend benötigt werden. So soll die Entstehung resistenter Keime vermieden, die Wirksamkeit der Arzneimittel für schwere Fälle erhalten bleiben.
Doch Verbände wie der BUND hoffen auch, dass über eine Einschränkung der Mittel, die gegen bakterielle Infektionen wirken, eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Tiere in der Landwirtschaft eintritt. In einer Stellungnahme dem Bundeslandwirtschaftsministerium gegenüber betonte der BUND im August, Ziel der Novelle müsse es sein, die „Ursachen für hohen und missbräuchlichen Antibiotikaeinsatz” zu beheben. „Die Senkung des Antibiotika-Einsatzes geht mit Verbesserung der Tierschutzstandards einher”, schreibt Reinhild Benning, Leiterin Agrarpolitik beim BUND. Dass Verbesserungen der Tierschutz-Nutztierhaltungs-Verordnung gänzlich fehlen, ist für den BUND auch der Grund, das derzeitige Stadium der Gesetzesnovelle strikt zurückzuweisen. Andere Inhalte des aktuellen Kabinettsentwurfs akzeptiert und begrüßt der Verband hingegen, etwa den Plan, bestimmte Antibiotikaklassen in Zukunft von der Anwendung in der Nutztierhaltung ausnehmen zu können.
Jetzt wird es ernster, über den “Entwurf eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes” soll bald endgültig entschieden werden. Vor wenigen Tagen hat der BUND deshalb noch einmal nachgelegt – gemeinsam mit dem Ökologischen Ärztebund. In einem offenen Brief richten sich die Verbände an Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner und Gesundheitsminister Daniel Bahr. Darin heißt es: “Sorgen Sie dafür, dass bei der Novellierung des Arzneimittelgesetzes und der Neufassung des Tierschutzgesetzes dem System der Massentierhaltung mit seinem massenhaften Antibiotikaeinsatz ein Riegel vorgeschoben wird. Der Antibiotikaeinsatz muss bis 2015 mindestens halbiert werden. Zudem müssen Sie umgehend die Subventionen für den Bau neuer Massentierhaltungs-Anlagen stoppen und die Privilegien für industrielle Tierhaltungen im Baugesetz abschaffen.”
Der BUND und der ökologische Ärztebund verweisen auf die hohe Zahl von Patienten, die jährlich wegen antibiotikaresistenter Keime sterben, und beziehen klar Stellung: “Die Bundesregierung versäumt es, wirksame Gesetze dagegen zu erlassen.”
Für Ökoaktivisten ist die Sache klar: Tier- und Verbraucherschutz sind in dieser Angelegenheit untrennbar miteinander verbunden. Und auch in der öffentlichen Debatte ging es jedesmal, wenn das Thema Antibiotika in den vergangenen zwei Jahren hochkochte, um Tierschutz, auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung. Auch veterinärmedizinische Experten betonen immer wieder den Zusammenhang zwischen Antibiotikagebrauch und Haltungsbedingungen von Tieren, unlängst etwa auf einer Tagung am veterinärmedizinischen Fachbereich der TU Berlin. Zuletzt wurde die Beziehung zwischen beidem wieder deutlich durch die Diskussion über „Bio”. Eine inzwischen vielzitierte Studie der Universität Stanford hatte ergeben, dass Bio-Lebensmittel zwar nur unwesentlich mehr Nährwert haben als konventionelle Produkte. Fleisch aus Bio-Haltungen wies aber signifikant weniger Keime auf, die mit Resistenzen behaftet waren.
Insofern macht es tatsächlich Sinn, beide Themen zusammen zu behandeln, auch in der Gesetzgebung. Allerdings ist die Thematik für viele Verbraucher immer noch sehr verwirrend. Das zeigten unlängst die Reaktionen auf eine Studie dänischer und irischer Wissenschaftler, die in „mBio” erschienen ist, dem Online-Journal der American Society for Microbiology. Die Forscher von der Universität von Kopenhagen und vom University College Cork setzten Fleisch für die Produktion von Rohwürsten wie Salami im Labor kleine Mengen der Antibiotika Oxytetracyclin und Erythromycin zu. Das Fleisch war bereits mit Milchsäurebakterien versetzt, wie man sie verwendet, um den pH-Wert in Rohwürsten sinken zu lassen, so dass die rohen Produkte weniger anfällig für pathogene Keime sind.
Misstrauisch beäugt: Rohwürste
Nicht besonders erstaunlich war das Ergebnis: Die Antibiotika beeinträchtigten die Milchsäurebakterien so stark, dass sie nicht mehr in der Lage waren, die Wurst ordnungsgemäß reifen zu lassen und den ph-Wert zu senken. Krankheitserreger hätten also freie Bahn gehabt – fatal in einem Produkt, das schließlich in den Handel gelangt und verzehrt worden wäre.
Schnell stellten Berichte über das Forschungsprojekt einen Zusammenhang zwischen dem Antibiotikagebrauch in der Tierhaltung und der Fehlreifung der Würste her. Doch übersehen wurde, dass der Versuch gar nicht Fleisch von mit Antibiotika behandelten Tieren zum Gegenstand hatte, sondern dass die Mittel nachträglich zugesetzt wurden. Das wäre vielleicht noch kein Grund, die Studie anzuzweifeln – immerhin wurde mit ähnlich geringen Konzentrationen gearbeitet, wie sie zu erwarten sind, wenn die Medikamente zu kurz vor der Schlachtung eingesetzt werden, im Körper verbleiben und auf diesem Weg Eingang in Lebensmittel finden.
Doch noch erstaunlicher ist, dass über die dänisch-irische Studie stets so berichtet wird, als ob regelmäßig Antibiotikarückstände in Fleisch zu finden sind – als ob es sich also um ein hoch praxisrelevantes Problem handelt. Dabei hatte gerade erst kurz zuvor das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) seinen Rückstandskontrollplan (aus dem Jahr 2010) vorgelegt. Ergebnis: Nur in 0,5 Prozent der Masthähnchenproben fand man ein Antibiotikum (nämlich Doxycyclin). Bei den Schweinen waren 0,05 Prozent der Tiere positiv, bei den Rindern nur 0,03 Prozent.
Nun müsste man dazu sagen, dass in Deutschland nicht jedes Tier auf Antibiotikarückstände untersucht wird. Auf dem Schlachthof werden lediglich Stichproben genommen, meist in Verdachtsfällen. Ob das ausreichend ist und man daraufhin anhand der Ergebnisse des Rückstandskontrollplans wirklich sagen kann, Antibiotikarückstände seien kein Problem – das bleibt dahingestellt. Eine Debatte darüber, ob die nachträglichen Kontrollen ausreichen, die Maßnahmen, mit denen schon jetzt die landwirtschaftliche Nutztierhaltung überprüft wird, ist bisher zumindest in der Öffentlichkeit nicht entstanden. Vielleicht ist es Zeit, darüber einmal zu sprechen, wenn Datenlage und öffentliche Wahrnehmung so weit auseinanderklaffen: Die Daten belegen zwar, dass kein Problem vorliegt. Erscheint eine Studie wie die über die Salami, zeigt sich aber schnell, dass viele Verbraucher regelrecht mit Rückständen rechnen. Sicher fühlen sie sich jedenfalls nicht. Würden solche Missverständnisse aus der Welt geschafft, könnte man auch zum Kern des Problems vordringen. Oder vielmehr, zu zwei zentralen Themen: Schutz menschlicher Patienten. Und Tierschutz.
Hanne Ingmer von der Universität in Kopenhagen, Autorin der Salami-Studie, sagt, die ultimative Lösung des ganzen Problems sei es, die Verwendung von Antibiotika als Wachstumsförderer zu verbieten und ihren therapeutischen Einsatz bei Nutztieren einem Monitoring zu unterwerfen. Ersteres hat man in Europa längst gemacht, nur in den Vereinigten Staaten bleibt das „Wachstums-Doping” erlaubt. Dass aber auch der Einsatz von Antibiotika als Therapeutika so stark überhandnehmen kann, dass er die Akzeptanzgrenzen der meisten Beteiligten – Experten und Verbraucher – sprengt, zeigten die deutschen Studien aus der Geflügelmast, die im Herbst 2011 veröffentlicht wurden, und die Reaktionen darauf. Insofern bleibt eine Menge Konfliktstoff, die die Novelle des AMG lösen muss.