Tierleben

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Christina Hucklenbroich bloggt über unser Zusammenleben mit Tieren: über Alltägliches und neu Erforschtes und lange Verborgenes

Kalorienzählen für Katzen: Übergewicht bei Tieren wird zum Forschungstrend

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Die Hunde und Katzen der Deutschen werden immer dicker, belegt eine neue Studie. Derzeit hat mehr als die Hälfte Übergewicht. Häufig kann der Halter selbst nicht widerstehen und sabotiert die Diät.

Vor einem halben Jahr belegte eine Studie im Fachmagazin “Tierärztliche Praxis Kleintiere”, dass die Haustiere der Deutschen immer dicker werden. Nicola Becker und ihre Kollegen von der Ludwig-Maximilians-Universität München befragten 865 Tierhalter in Tierarztpraxen, Hundeschulen oder Parks in unterschiedlichen Regionen Deutschlands nach ihren Fütterungsgewohnheiten und schätzten den “Body Condition Score” der Tiere ein. 52 Prozent der Hunde und Katzen waren demnach übergewichtig. “Übergewicht ist das größte ernährungsbedingte Problem”, bilanzieren die Autoren. “Im Vergleich zu früheren Studien hat sich die Zahl übergewichtiger Tiere erhöht.”

Wollen Katzen Kalorien zählen? (Foto Archiv)

Eigentlich müsste sich das Problem leicht lösen lassen. Denn das “Gewichtsmanagement” bei Hund, Katze und anderen Haustieren hat im Vergleich zur Situation beim Menschen einen Vorteil: Die Tiere befinden sich sozusagen ständig in einem Diätcamp. Während Menschen jeden Aufenthalt in der Fastenklinik mit einer Unterschrift und dem Anruf bei der Taxizentrale abbrechen und sich direkt in eine Konditorei fahren lassen können, bleiben Haustiere ihren Heißhungerattacken ausgeliefert. Wohnungskatzen könnten höchstens die Topfpflanzen verzehren, Hunde müssten auf Spaziergängen in unbeobachteten Augenblicken Mülleimer durchwühlen – ansonsten sind sie gezwungen, ihren Diätplan strikt einzuhalten, solange der Besitzer, Herr über Dosen, Mettenden und Trockenfuttertüten, entscheidet, ihnen einfach nur die Kalorienmenge zuzugestehen, die langfristig dazu führt, dass sie zu ihrem Idealgewicht zurückkehren.

Doch das ist ein theoretisches Szenario. Denn in dem Plan gibt es eine große Unbekannte, eine ganz unsichere Variable, die sich nicht zuverlässig berechnen lässt: den Tierhalter. Nicola Beckers Studie zeigte, dass die Besitzer der Tiere es meist nicht gar nicht merken, wenn ihre Hunde und Katzen die Schwelle zum Übergewicht überschreiten. Gerade beginnendes Übergewicht wird der Studie zufolge noch als vollkommen normal angesehen. Und der Marktbericht der Heimtierbranche für das Jahr 2012 zeigte gerade erst, dass im Segment “Snacks” für Hunde und Katzen das größte Umsatzplus erreicht werden konnte. Weder Halter noch Hund können offenbar widerstehen. Und das hat schwerwiegende Folgen: Adipositas löst auch bei Haustieren Folgekrankheiten wie Diabetes, Herz- und Gelenkleiden aus.

Das Fachmagazin “Der Praktische Tierarzt” hat deshalb im Mai ein neues Beiheft “Diät für Haustiere” herausgebracht, das Veterinäre an ihre Kunden verteilen können und in dem das Diäthalten in allen seinen Spielarten erklärt wird. Außerdem investieren große Futtermittelfirmen derzeit bereitwillig in Studien, die zeigen sollen, wie man das Gewicht von Tieren regulieren  – und welcher Rolle der Besitzer dabei gerecht werden kann. Im niedersächsischen Verden richtete die Futtermittelfirma Mars Petcare (Futtersorten wie Whiskas, Pedigree u.a.) unlängst ein Expertensymposium aus, bei dem bisher angefertigte Studien vorgestellt wurden. Auch hier wurde deutlich: Der Besitzer ist unberechenbar.

Cornelia Ewering, Tierärztin in der Kommunikationsabteilung von Mars Petcare, stellte in Verden ein neues Konzept vor, dass die Firma in Studien mit Tierbesitzern auf seine Tauglichkeit überprüft hat. Bis Ende des Jahres will man auf alle Verpackungen transparente Empfehlungen drucken, mit deren Hilfe die Halter übergewichtige Hunde und Katzen mit reduziertem Energiegehalt füttern können. “Wenn man weltweit Tierärzte befragt, ist die Antwort einheitlich: Das Hauptproblem hinsichtlich der Gesundheit von Hunden und Katzen ist das Übergewicht”, sagte Ewering. Die Veterinärmediziner sind sich also der Problematik bewusst. Ebenso wie die Hersteller von Futtermitteln hinterfragen sie derzeit alte Richtlinien für die Energiezufuhr bei Haustieren, denn sie spiegeln möglicherweise einen Lebensstil, der so nicht mehr gültig ist: Wie auch Menschen, bewegen sich viele Hunde und Katzen heute weniger als noch vor wenigen Jahrzehnten.

Setzt man dieses Wissen um, bleiben dennoch Herausforderungen. Die meisten hängen mit dem Halter zusammen. “Sehr wenige wiegen das Futter ab, sie nutzen eher Daumenregeln”, erklärte Ewering. Beliebt seien Messbecher oder Maße wie “eine Handvoll”. Fütterungsempfehlungen auf der Tüte oder Dose werden nur in besonderen Situationen mehr beachtet, etwa wenn ein neuer Welpe in den Haushalt kommt, das Tier krank wird und Diätnahrung braucht oder wenn es trächtig wird.

Die Firma hat deshalb Strategien entwickelt, die Empfehlungen für die Halter leichter verständlich zu machen. Vier Konzepte wurden mit 1500 Tierhaltern getestet. Dabei traten etliche Schwierigkeiten zutage. Zum einen glauben Tierhalter offenbar, dass das Zuteilen des Futters eine Wissenschaft für sich ist: Eine viereckige Struktur, die den Frischebeutel mit dem Futter darstellen sollte, wurde von den Tierhaltern für einen Taschenrechner gehalten. Falls eine Katze nicht 4 oder 5 Kilogramm wiegt, wofür es in der Tabelle eigene Felder geben würde, sondern 4,7 Kilogramm, gibt es wieder ein Problem: Die Halter können keinen Dreisatz. Eine Tabelle mit drei Zeilen interpretierten sie falsch – sie glaubten, dass man das Tier dreimal täglich füttern müsse. Damit aber würde man es mästen. In Wirklichkeit zeigen die Zeilen, wie man Feucht- und Trockenfutter in unterschiedlicher Weise mischen kann und welche Mengen dann notwendig sind, um eine ausreichende Kalorienzufuhr zu gewährleisten.

Zu kompliziert? Fütterungstabelle auf der Packung (Foto Mars Petcare)

Außerdem lassen sich nicht genug Informationen auf den Verpackungen unterbringen. Am größten ist das Problem auf den kleinen Aluschalen, bei denen nur noch die winzige Rückseite zur Verfügung steht, um irgendwo die Tabelle mit den Empfehlungen unterzubringen.. “Ideal wäre es, Sie könnten dem Tierhalter zur Schale ein großes Leporello dazugeben”, sagte Ewering.

Deshalb bietet Mars Petcare jetzt unter anderem einen Fütterungsleitfaden im Internet an; Fütterungsprotokolle, in die jedes Familienmitglied Einträge machen soll, werden zur Verfügung gestellt, sie können am Kühlschrank aufgehängt werden. Doch selbst das mag mitunter nicht ausreichen, denn am Ende bleibt ein Verdacht: Manch ein Tierbesitzer kann einfach nicht aus seiner Haut und verspürt einen ebenso unbändigen Drang, dem Appetit des Hundes nachzugeben, wie man ihn bei eigenen Heißhungerattacken verspürt. Der veränderte Lebensstil der Tiere hat nicht nur dazu geführt, dass Hunde und Katzen sich weniger bewegen. Sie würden, sagt Ewering, bisweilen sogar mit Futterbelohnungen entschädigt – etwa, wenn der Besitzer lange nicht zu Hause ist.

Schaut man sich die Produktlinien anderer Futtermittelhersteller an, dann hat inzwischen fast jedes Unternehmen Diätstrategien und -produkte im Programm. Sichtbar wurde das etwa am vergangenen Wochenende während der Industrieausstellung des “Frankfurter Tierärztekongresses” in Wiesbaden. An den Ständen der Futterproduzenten konnte sich jeder Teilnehmer des Kongresses, der unter den deutschen Tierarzttagungen als besonders deutlich auf die Praxis ausgerichtet gilt, über Themen rund um die Diät informieren. Auch hochaufwändige und individuelle Ansätze gibt es. Dem Tierhalter, dessen Geist willig ist, der aber dennoch leicht verführbar ist, Empfehlungstabellen zu überschreiten, bietet beispielsweise die junge Firma “Futalis” aus Leipzig eine passgenau auf das Tier zugeschnittene Lösung, die Interpretationsfehler und Kalorienüberschreitungen von vornherein ausschließt. Der Halter bekommt Beutel mit Futter nach Hause gesandt. “Jeder Beutel enthält eine Tagesration, das unterstützt den Halter”, sagt Janes Potthoff, Mitgründer von “Futalis”. “Am Abend sollte die Tüte leer sein – und dann sollte es auch nichts mehr geben.”

“Futalis”, Ende 2011 von zwei Absolventen der Handelshochschule Leipzig und einer Tierärztin, die am Leipziger Institut für Tierernährung tätig war, gegründet, ist gerade dabei, sich das System patentieren zu lassen: die erste Futtermittelfirma weltweit, die Futter nach Erkenntnissen der veterinärmedizinischen Ernährungsforschung so zusammenstellt, dass es für einen bestimmten Hund maßgeschneidert ist. Im Internet können die Halter einen Fragebogen ausfüllen und dabei etwa Allergien oder andere Krankheiten, aber auch Rasse und Gewicht eingeben. Am Ende kommen die Pellets aus Hühner- und Schweinefleisch, Süßkartoffeln und Reis in einer braunen Papiertüte ins Haus, der Name und das hochgeladene Foto des Hundes sind in Sojafarbe auf jeden Beutel gedruckt.

Seit drei Monaten bietet die Firma nun einen eigenen Service für Tierärzte. Potthoff sagt, nach den bisherigen Erfahrungen nutzten die Veterinäre das Formular, mit dem das zugeschnittene Futter bestellt werden kann, besonders häufig für Patienten, die unter Übergewicht leiden. Wir loggen uns als Tierarzt ein, bestellen einen Probebeutel für den fiktiven Golden Retriever “Paul”, mit fünfzig Kilo stark übergewichtig. Die Website berechnet uns die Tagesmenge, die Paul fressen sollte: 302 Gramm, was einem Energiebedarf von 3 Megajoule pro Tag entspricht. Eine derartig individuelle Versorgung hat ihren Preis, “Futalis” ist teurer als das Standardfutter aus dem Supermarkt. Gehe es allerdings um
Spezialfutter für übergewichtige Tiere, wie es auch andere Firmen im Programm
haben,  dann sei die individuell ausgerechnete Futalis-Ration für den
Halter sogar vergleichsweise günstig, sagt Janes Potthoff.

Mit Kalorienangabe, Name und Foto: individuelle Futtertüte (Foto Archiv)

Der Preis wirft auch eine andere Frage im Hinblick auf die Fütterungstabellen größerer Produzenten auf: Steht es nicht den Interessen von Futtermittelherstellern entgegen, den Kunden gezielt zu empfehlen, weniger zu füttern? In Verden fragte einer der Journalisten unter den Gästen des Symposiums deshalb auch: “Ist das nicht geschäftsschädigend?” Nein, lautete die Antwort. Schließlich sei es für den Konzern förderlich, wenn ein Hund 15 Jahre alt werde und gesund bleibe. Ein chronisch kranker Hund hingegen müsse frühzeitig auf Spezialfutter umsteigen – und sein Halter falle somit als Kunde weg.

Wie viele Kalorien Hund und Katze zu sich nehmen, ist jedenfalls zu einem zentralen Thema avanciert – für die Futtermittelindustrie und für die Forschung im Bereich Kleintiermedizin. Für die Futtermittelbranche ist es auch zu einer Imagefrage geworden, diese Problematik offensiv anzugehen. Die veterinärmedizinische Forschung beschäftigt sich inzwischen schon mit Detailfragen, etwa damit, welche Gelenke bei Katzen durch Übergewicht besonders geschädigt werden. Die Fütterung bleibt in der Tiermedizin der Hauptansatz zur Bekämpfung von Adipositas. Über das Fettabsaugen bei Tieren gibt es bislang nur wenige wissenschaftliche Fallstudien. Einer der ersten in einem Fachjournal beschriebenen Eingriffe fand im Jahr 2007 an der Universität Leipzig statt und verlief erfolgreich. Die Autoren entfernten drei Kilogramm Fett und somit zehn Prozent des Körpergewichts eines schwer adipösen und an Gelenkproblemen leidenden Hundes und schrieben abschließend im “Journal of Small Animal Practice”, sie hofften insbesondere, dass die Motivation des Halters, den Hund beim weiteren Abnehmen zu unterstützen, nun gestärkt sei.


5 Lesermeinungen

  1. homann73 sagt:

    Marktlücke
    Keiner hat doch mehr davon, wenn Haustiere zu dick und dadurch wahrscheinlich kränker werden als die Futtermittelhersteller und Tierärzte. Warum sollten Tiere fit bleiben? Sie müssen nicht direkt etwas zur Gesellschaft beitragen und dafür gesund bleiben. Sie dürfen ihre Besitzer aufmuntern und diese kommen finanziell für ihre Haustiere auf. Zunächst durch das Futter und wenn sie dann krank sind, kann wunderbar mit Behandlungen weiter verdient werden. Darum ist es sicher ein einträglicher Markt, Übergewicht und evtl. Krankheit bei Tieren zu fördern. Übergewicht bei Tieren kurbelt sozusagen die Wirtschaft an (Übergewicht bei Menschen eigentlich auch, doch da belastet es mehr die Gemeinschaft). Jeder kann entscheiden, ob er das mitmachen möchte.

  2. odysseus_8 sagt:

    Symtomverschiebung
    Was man selber nicht in der Lage ist zu lösen, verschiebt man gerne auf die eigenen Haustiere, Politiker, Polizisten, …

  3. Hephaistos sagt:

    Falsche Erziehung
    Unser Cocker Spaniel hatte von Anfang an immer einen vollen Napf eines nicht quellenden Trockenfutters da stehen. Hundekuchen gab es auch immer soviel er wollte. Ansonsten haben wir ihm immer Innereien gekocht, die gab es mit Hundeflocken. Er hat bis ins hohe Alter aufgehört, wenn er genug hatte. Pal und Chappi hat er stehengelassen und war ob dieser Zumutung sehr beleidigt. Er hatte auch immer genug Bewegung, so ist er sehr schlank in hohem Alter gnädig erlöst worden. Es gab nur einen Zwischenfall mit zu viel selbstgebackenem Streuselkuchen, danach hat er den Keller vollgekotzt. War wohl doch etwas zu viel.

  4. boeserfuchs sagt:

    Tiere sind halt süß
    Das ist einer der Gründe, warum ich mir niemals ein tier halten würde: Ich kann einfach nicht widerstehen, sie zu füttern. wenn einHund süß guckt, möchte ich ihm unweigerlich ein Stück Wurst oder einen Essensrest geben.

    Aber mal im Ernst: Die Tierhaltung ist besonders in deutschen Städten sowieso Tierquälerei. 30 Kilo Hund auf einer 50qm-Wohnung, wo er den ganzen Tag herumlungert und auf das Herrcehn wartet, welches ihn abends gestresst eine Viertelstunde zum Klogang herauslässt. Wenn man diese Situation betrachtet, muss man feststellen: Das Tier ist für den Halter sowieso nur ein Gegenstand, der einen gewissen Wunsch befriedigen soll (in dem Fall meist den Wunsch nach Nähe? Oder einem bedingungslos liebenden Freund?) Und wenn das Wohl des Tieres sowieso egal ist und es dem Wohl des Besitzers zuträglich ist, das Tier zu füttern, bis es platzt (weil er Spaß daran hat und das Tier sich freut): Warum soll er das haustier dann nicht fett werden lassen? Das ist doch die logische Folge einer Haustierexistenz!

  5. borish_faz sagt:

    Das hat bei unserer Reni nicht funktioniert
    Als wir unsere Reni versuchsweise auf Diät setzten, hat sie ein großes Geschrei veranstaltet, die Speisekammer aufgehebelt und die Trockenfutterpackungen aufgerissen. Wir haben den Versuch deshalb schnell wieder aufgegeben.

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