Er ist klein, hat große Kulleraugen, eine kurze Stupsnase und fransige Schlappohren, die sein Gesicht umrahmen wie eine brav gescheitelte Mädchenfrisur. Seine Fellvarianten haben klangvolle Namen, etwa “Prince Charles”, “Blenheim” oder “Ruby”. Besonders “Blenheim”, ein tiefes Kastanienrot mit schneeweißen Abzeichen, macht ihn zu einem Wesen, das in einem Disney-Studio entworfen worden sein könnte. Tatsächlich erinnert die Figur “Susi” aus dem Disney-Film “Susi und Strolch” sehr deutlich an Hunde der Rasse Cavalier King Charles Spaniel. Das Gesicht der kleinen Spaniel erweckt den Anschein, als ob jemand mit einem Bildbearbeitungsprogramm eine Hundeschnauze ein wenig mehr in Richtung Kindchenschema verschoben hat.
Für ihr niedliches Aussehen schätzte man die Vorfahren des Cavalier King Charles Spaniel schon vor Jahrhunderten an den europäischen Höfen. Nun ist die uralte britische Hunderasse in Deutschland zum Trendhund aufgestiegen und auf dem besten Wege, den Mops vom Thron zu stoßen. Der Aufstieg des kleinen Spaniels ist inzwischen amtlich: Gerade hat der Verband für das deutsche Hundewesen (VDH) seine aktuelle Welpenstatistik für das Jahr 2012 veröffentlicht. “Die Trendrassen sind kleinere Hunde, die möglichst dem Kindchenschema entsprechen”, sagt Udo Kopernik, Sprecher des VDH. “Hier ist auch der Cavalier King Charles Spaniel einzuordnen.” Für Kopernik hat aber außerdem die Französische Bulldogge die Nase vorn.
Am häufigsten werden in Deutschland nach wie vor Welpen der traditionsreichen Rassen Deutscher Schäferhund, Teckel und Deutsch Drahthaar geboren. Doch zum einen sind zumindest die beiden erstgenannten Rassen zahlenmäßig im Abstieg begriffen, während der Cavalier King Charles Spaniel (neben einigen wenigen anderen) stark zugelegt hat: von weniger als 300 Welpen in den achtziger Jahren auf etwa 800 jährlich in den Neunzigern und 1100 im Jahr 2012. Zum anderen spiegelt die Welpenstatistik keineswegs eins zu eins die Zahl der Hunde einzelner Rassen, die auf Deutschlands Straßen sichtbar werden.
“Der Markt wird von unserer Welpenstatistik nicht wiedergegeben”, sagt Kopernik. “Zwar züchten VDH-Züchter im Jahr etwa 300 bis 400 Welpen der Französischen Bulldogge. Aber wenn man die führenden Verkaufsportale für Haustiere im Internet anschaut, Ebay-Kleinanzeigen, Deine Tierwelt und den Haustieranzeiger, dann findet man dort locker am Tag 400 Angebote für Französische Bulldoggen. Deshalb entspricht die Welpenstatistik nicht dem gefühlten Eindruck, den man in den urbanen Zentren gewinnt. Dort ist die Französische Bulldogge stark vertreten und verdrängt gerade den Mops.”
Die Zahl der in Deutschland geborenen Mops-Welpen geht beim VDH leicht zurück; die Zuchtzahlen der französischen Bulldogge stagnieren. Der winzige Chihuahua, lange als Modehund gehypt, scheint ebenfalls weniger gezüchtet zu werden. Das habe auch mit der wachsenden Zurückhaltung der dem VDH angeschlossenen Züchter gegenüber Rassen zu tun, die viele gesundheitliche Probleme haben, sagt Kopernik. “Die Probleme der Englischen Bulldogge etwa fangen bei der Luftröhre an und hören bei der Hüfte auf.” Ein einziger Wurf der Englischen Bulldogge, eines schweren, wuchtigen Hundes mit faltiger Haut und Atemnot, sei 2012 im VDH zu verzeichnen gewesen, sagt Kopernik. Dennoch gebe es immer mehr Englische Bulldoggen in Parks und auf den Straßen der Großstädte.
Züchter, die sich dem VDH nicht angeschlossen haben, darunter auch unseriöse “Vermehrer”, vielfach aus Osteuropa, bedienen diese gewachsene Nachfrage. Mittlerweile soll es Hundehalter geben, die sich ihren Welpen in einem Pappkarton mit Luftlöchern haben schicken lassen. Die Initiative “Wühltischwelpen” versucht seit kurzem, derartigem Hundehandel entgegenzutreten.
In den siebziger Jahren habe es schon einmal einen “Dackelhype” gegeben, sagt Kopernik, der dann auch von kommerziellen Züchtern außerhalb des VDH gedeckt wurde. Die im VDH organisierten Züchter sind streng kontrolliert, sie dürfen nur einen Wurf pro Jahr und Hündin züchten und können deshalb ihre Produktion nicht beliebig steigern, daher verlagerte sich die Zucht damals. “Heute dagegen gibt es keine nennenswerte Zucht von Dackeln und Deutschen Schäferhunden außerhalb des VDH.” Sieht man das Ganze so, dann erklärt sich, warum die 13.000 Welpen des Deutschen Schäferhundes und gut 6000 Dackelwelpen des Jahres 2012 dennoch nicht sichtbarer sind als Möpse und Bulldoggen: In Wirklichkeit halten sich die Rassen zahlenmäßig wohl doch die Waage, die Welpen stammen nur aus unterschiedlichen Quellen.
Möglicherweise wandern sogar etliche Hunde, für deren Zucht Deutschland bekannt ist, ins Ausland, darunter beispielsweise Deutsche Schäferhunde. Gerade bei Züchtern, die einen internationalen Ruf haben, ist die Nachfrage auch international. Solche Tiere tauchen zwar in der deutschen Welpenstatistik auf, doch nie in der Öffentlichkeit – sie werden später beispielsweise Polizeihunde in Bahrein.
Udo Kopernik hat aber auch noch eine zusätzliche Erklärung dafür, warum von den 13.000 Deutschen Schäferhunden und den 3000 Deutsch-Drahthaar-Welpen so wenige in den Innenstädten, Parks und Naherholungsgebieten sichtbar werden. “Von der Anzahl her müsste man eigentlich in einem normalen Naherholungsgebiet mal einen Deutsch-Drahthaar sehen”, sagt er. Doch die Welpen gehen fast geschlossen an Jäger. “Und ein Jäger fährt zu einer Zeit mit seinem Hund in den Wald, wenn der normale Hundehalter vor dem Fernseher sitzt oder noch im Bett liegt.” Und der Schäferhund? “Ist auf dem Hundeplatz”, erklärt Kopernik. Wer sich einen Schäferhund zulege, wolle nach wie vor Hundesport betreiben. “Ein Schäferhund-Besitzer kommt außerdem in der Regel nicht auf die Idee, den Hund überallhin mitzunehmen”, sagt Kopernik. Anders der Mopshalter. “Den Mops nimmt man mit zum Italiener.”
Wer aufmerksam durch Restaurants geht, dürfte also in Zukunft auch häufiger den Cavalier King Charles Spaniel antreffen, denn er spricht wohl dieselbe Klientel an wie Mops und Bulldogge. Die im VDH organisierten Züchter des Cavalier King Charles Spaniel haben allerdings noch keinen Boom bemerkt. “Die Nachfrage und auch die Zuchtzahlen sind eher konstant”, sagt Uwe Klar, der Vorsitzende des Internationalen Clubs für Cavalier King Charles Spaniel mit Sitz in Essen. Es gebe zwar ein Auf und Ab – “aber das hängt eher von der Jahreszeit ab, in den großen Ferien schaffen sich die Leute keinen Welpen an.” Allerdings beobachtet auch Klar schon das Problem der Cavalier-Welpen, die von Vermehrern und aus “Kofferraumverkäufen” stammen. “Die Züchter, die dem VDH angeschlossen sind, beachten strenge Regeln, etwa gegen Inzucht und die dadurch bedingten Krankheiten”, sagt er. “Zunehmend erfährt man aber von jungen Cavalier King Charles Spaniels aus anderen Zuchten, die vor allem Herzkrankheiten zeigen, etwa Herzgeräusche oder Rückfluss. Das ist sehr schade – offenbar wollen viele Halter beim Kauf sparen, denken aber nicht an die Folgekosten.” Ein Cavalier King Charles Spaniel aus einer VDH-Zucht kostet 1000 bis 1500 Euro; die Züchter sind unter anderem verpflichtet, ihre Hunde genetisch auf verschiedene Krankheiten testen zu lassen.
Internationale Vergleichsdaten liefern mittlerweile Belege dafür, dass der britische Spaniel langfristige Popularität gewinnen könnte. Der American Kennel Club (AKC) veröffentlichte seine Welpenstatistik schon vor einigen Monaten. Der Verband zelebriert die Bekanntgabe der neuen Trends alljährlich mit einer Pressekonferenz im New Yorker Hauptquartier, wo Vertreter der “Top Breeds” gezeigt werden und fotografiert werden können. Der amerikanischen Statistik zufolge ist der Cavalier King Charles Spaniel in den Vereinigten Staaten massiv im Aufwind. Von Platz 40 in der Rangfolge der beliebtesten Hunderassen schoss er innerhalb von einem Jahrzehnt auf Platz 20. Der AKC formuliert alljährlich die Trends, die innerhalb des vergangenen Jahres sichtbar wurden, in einer Presserklärung. Für das Jahr 2012 hält der Verband fest, dass einige kleine Hunde wie Mops und Chihuahua an Popularität einbüßten – zugunsten anderer kleiner Rassen wie Affenpinscher und Zwergspitz. Insgesamt wurden große Rassen beliebter. Aber die Amerikaner beobachten auch eine Hinwendung zu “Sporting Dogs” – besonders aktive Rassen, zu denen nach Auffassung des AKC Retriever, Setter, Spaniel und Pointer gehören.
Wie kam es zu dem Popularitätsschub beim Cavalier King Charles Spaniel? Völlig verschwunden war der “Cavalier”, wie ihn seine Fans nennen, eigentlich nie, zumindest im angloamerikanischen Raum nicht. In den vergangenen Jahren traten Cavaliere zudem mehrfach in Historienfilmen auf, offenbar, weil die Existenz der Rasse über mehrere Jahrhunderte belegt ist. Sie geht auf Zwergspaniel zurück, die beim Adel seit dem 13. Jahrhundert beliebt waren. Es soll einen britischen und einen kontinentalen Typ gegeben haben. Davon ließen sich Filmemacher inspirieren: Ein Cavalier-Welpe wurde beispielsweise kurz in einer Szene des Films “Das Mädchen mit dem Perlenohrring” mit Scarlett Johansson gezeigt; zudem wurde die Rasse mehrfach als Accessoires in Filmen eingesetzt, die im 17. Jahrhundert am englischen Hof spielten, zum Beispiel “Vatel” und “The Libertine”. Noch größere Bedeutung mag es gehabt haben, dass sich die wählerische Charlotte in der Fernsehserie “Sex and the City” einen Cavalier-Welpen zulegte, den sie “Elizabeth Taylor” nannte. Immerhin vervollständigt Google die Eingabe “Sex and the City Charlotte” unaufgefordert zu “Sex and the City Charlotte Hund Rasse”.
In den Vereinigten Staaten wird der Cavalier als “Toy Breed” bezeichnet, was bedeutet, dass er als reiner Begleithund gesehen wird – und tatsächlich hat die Vorliebe der Hofdamen für die kleinen Spaniel wohl schon vor Jahrhunderten dazu geführt, dass man für die Zucht nur ruhige und gelassene Tiere aussuchte, die dafür geeignet waren, eng mit dem Menschen zusammenzuleben. Insofern ist der Trend zum Cavalier King Charles Spaniel im Vergleich zur Popularität anderer Hunderassen eher weniger kritisch zu sehen. Schließlich sind ganz andere Trends aufgekommen, die nur am Aussehen der Hunde festzumachen waren: Der elegante silbergraue Weimaraner wurde in den neunziger Jahren urplötzlich populär, etwas später der Magyar Viszla, ebenfalls ein Jagdhund – und beide wohl kaum dafür geeingnet, in einer 3-Zimmer-Wohnung in Berlin-Mitte zurechtzukommen. Gleiches gilt für den Border Collie, einen Hütehund, der nach dem Film “Ein Schweinchen namens Babe” und Fernsehwerbespots einen Boom erlebte, in Familien aber unterfordert war und manch einen Halter mit seinem hohen Aktivitätsniveau zur Weißglut trieb.
Allerdings bleibt die Frage, ob potentielle Hundehalter wirklich zur Vernunft gekommen sind und sich deshalb typischen “Toy Breeds” zuwenden. Denn eine zweite Rasse, die zahlenmäßig derzeit stark zunimmt und auch in der Öffentlichkeit ebenso sichtbarer wird wie der Cavalier, ist wieder ein aktiver Hütehund, der Shetland Sheepdog, ein Collie im Miniformat. Was die Zukunft bringt, steht in den Sternen. Oft gibt es keinen äußeren Anlass für die plötzliche Beliebtheit bestimmter Rassen, ergab eine Studie des Psychologen Harold Herzog, der die Schwankungen in der amerikanischen Rassehundpopulation zwischen 1946 und 2001 wissenschaftlich untersuchte. Wenn manche Varianten plötzlich sehr beliebt werden, sei das meistens purer Zufall – und darüber hinaus seien diese Rassen “nicht notwendigerweise besser oder für Menschen ansprechender als andere”, schreibt Herzog. Nur manchmal gibt es erdrutschartige Veränderungen: dann nämlich, wenn ein Film wie “101 Dalmatiner” in die Kinos kommt. Das lässt einiges erwarten, zumindest für den Shetland Sheepdog: Immerhin hat DreamWorks Animation, die Hollywood-Firma, die auch den Film “Shrek” produziert hat, gerade erst in Aussicht gestellt, den legendären Collie Lassie zurück auf die Leinwand zu holen.