Die Beziehung zwischen Mensch und Katze schien eigentlich gut untersucht: Mehr als zwölf Millionen Katzen sollen in den deutschen Haushalten leben, mehr als es Hunde, Kaninchen oder Hamster gibt. Katzen, schrieb der Psychologe Jens Lönneker in einer Forschungsarbeit zum Thema, “können Lebens- und Überlebensvorbilder für die Zukunft sein: Sie zeigen uns auf ihre Art, wie wir die Anforderungen des modernen Lebens meistern können.” Wie Lönneker das meint? Er hat tiefenpsychologische Studien mit Katzenbesitzern angefertigt und findet, dass Katzen Antworten auf Fragen bereithalten wie: “Wie können Einzelgänger und Individualisten Bindungen zueinander herstellen und ein Zusammenleben organisieren? Wie viel Nähe kann zugelassen werden, wie viel Distanz ist notwendig? Und: Wie sehr kann man eigensinnigen Interessen folgen, wie sehr muss man Rücksicht nehmen?”
Ja, wie sehr muss man eigentlich Rücksicht nehmen – und zwar auf die Katze? Eine aktuelle Studie aus Brasilien lässt diese Frage in ganz neuem Licht erscheinen. Daniela Ramos von der Universität in Sao Paulo hat gemeinsam mit Wissenschaftlern von der Veterinärmedizinischen Universität in Wien und von der britischen University of Lincoln untersucht, ob Katzen, die in Haushalten mit mehreren Katzen leben, gestresster sind als Einzelkatzen. Eine berechtigte Frage ist das, schließlich gibt es tatsächlich einen kleinen Trend in die Richtung, mehrere Tiere einer Art zusammen zu halten. In Deutschland ist dieses Phänomen vor allem bei Hundehaltern zu beobachten; es gibt inzwischen Vorträge zum Thema “Mehr-Hunde-Haltung” und auch der Buchmarkt hält dazu neuerdings Titel wie “Einer geht noch: Tipps zur Mehrhundehaltung” oder “Zwei Hunde – doppelte Freude” bereit.
Glücklich in Gruppen? Hier sieht es so aus. (Foto Archiv)
Um es kurz zu machen: Ramos und ihre Kollegen fanden in allen drei untersuchten Gruppen (Einzelkatzen, Haushalte mit zwei Katzen, Haushalte mit Katzengruppen) alle Arten von Stresslevel, die sie mittels Cortisolmessung in Kotproben feststellten. Es gab gestresste Katzen in Gruppen, entspannte Katzen in Gruppen, relaxte Einzelkatzen, angespannte Einzelkatzen und so weiter. Möglicherweise, bilanzieren die Wissenschaftler, hat das Stressniveau mehr mit anderen Eigenschaften des Haushaltes zu tun, etwa mit der Beziehung zu den Menschen oder der Ressourcenverfügbarkeit, und weniger damit, wie groß die Katzengruppe ist.
Als Nebenprodukt der Studie fanden die Forscher allerdings heraus, dass Katzen, von denen die Besitzer sagten, sie “tolerierten” das Gekraultwerden, höhere Cortisollevel aufwiesen. Dieses Detail nun hat weite Kreise gezogen. “Studie ergibt: Katzen hassen streicheln” hieß es plötzlich bei heute.at und auf anderen Websites. Auch in Katzenforen war die Aufregung groß. Heute.at befragt Ramos’ britischen Koautor Daniel Mills und erfährt: “Beim Kuscheln gelte, so Mills, weniger ist mehr!” Denn Katzen mache das Kuscheln nervös.
Die Katzenhalter jedenfalls haben diese Veröffentlichungen ziemlich nervös gemacht. “Ich hörte es im Autoradio”, schreibt eine Halterin aufgeregt im “Katzenfreunde-Forum” und schildert, wie ihre eigenen, zu Hause rasch auf den Schoß gehobenen Katzen sich tatsächlich ein wenig wehrten gegen das Gestreichelt-Werden.
Sicherlich ist es ein paar weitere Studien wert, die Lebensbedingungen von Katzen und ihre möglicherweise nicht immer unbelastete Beziehung zu Menschen genauer zu untersuchen. Über die gerade im Fachmagazin “Psychology & Behavior” publizierte Studie aus Brasilien lässt sich allerdings sagen, dass das Ergebnis bei genauerem Hinsehen nicht gar so absolut ist. 4 der Katzen in der Studie mochten Kraulen und Streicheln nach Auskunft der Halter gar nicht, 13 “tolerierten” es und 85 “genossen” es. Nur in der Kategorie der Katzen, die Kraulen “tolerierten”, fanden sich auch erhöhte Cortisolwerte. Es könne sein, dass Katzen, die Kraulen offen ablehnen, im Gegensatz zu den toleranten Artgenossen in Ruhe gelassen werden, mutmaßen die Autoren. Diejenigen, die Kraulen tolerieren, haben dieses Glück nicht, sondern müssen den Stress aushalten. Um die Aussagen “Katzen hassen streicheln” aus der Welt zu schaffen, schalteten sich weitere Autoren der Studie bald nach der Fehlinterpretation in die Debatte ein. Rupert Palme vom Institut für Biochemie an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien sagte: „Katzen sind keinesfalls grundsätzlich gestresst, wenn sie gestreichelt werden. Das hängt viel mehr von der Situation und vom Charakter des einzelnen Tieres ab.“
Entwarnung also für alle Katzenhalter, denen die plakative Aussage Sorgen bereitet hat. Sie können unbesorgt weiterstreicheln – und sollten sich vielleicht nur einmal Gedanken darüber machen, zu welcher Kategorie ihrer Katze gehört: Toleriert sie nur oder genießt sie wirklich? Und: Gibt es vielleicht noch ein paar Zwischentöne, ein paar weitere Kategorien, die hier gar nicht vorkommen? Die Halter waren auch gebeten worden, die Persönlichkeit ihrer Katze im allgemeinen zu charakterisieren. Gerade drei Möglichkeiten standen ihnen zum Ankreuzen zur Verfügung: Bossy, schüchtern und entspannt. Man fragt sich, ob diese doch recht grobe Einstufung tatsächlich der komplexen Psyche von Katzen gerecht wird.