Tierleben

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Christina Hucklenbroich bloggt über unser Zusammenleben mit Tieren: über Alltägliches und neu Erforschtes und lange Verborgenes

Wie gefährlich ist der Reitsport?

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Sicherheit beim Reiten und beim Umgang mit Pferden ist ein wachsendes Forschungsgebiet. Mediziner aus Kentucky und Australien werteten nun Unfälle aus - mit überraschendem Ergebnis.

Einen Helm sollte man nicht nur beim Reiten tragen – sondern auch, wenn man nicht auf dem Pferd sitzt und es nur führt, putzt oder aufsattelt. Diesen eindringlichen Appell richten Wissenschaftler um Andrew C. Bernard vom College of Medicine der University of Kentucky  in einer vor wenigen Wochen im Fachmagazin “Injury” erschienenen Studie an alle Menschen, die privat oder beruflich mit Pferden umgehen. Die Mediziner werteten knapp 300 Unfälle von Reitern aus, die zwischen 2003 und 2007 in einem Traumaregister protokolliert worden waren. Die Betroffenen waren alle in der Interaktion mit Pferden verletzt worden, doch nicht alle hatten dabei auf dem Pferd gesessen. Zwar waren Verletzungen durch Herunterfallen mit 54 Prozent am häufigsten, doch danach folgte schon das Getretenwerden mit 22 Prozent. Unfälle beim Reiten zogen am häufigsten Brust und Beine in Mitleidenschaft, Unfälle im Umgang mit dem Pferd (also vor dem Aufsitzen oder nach dem Absteigen) betrafen eher Gesicht und Bauch. Allerdings war die Rate an Kopfverletzungen gleich, egal, ob man auf dem Pferd saß oder nicht. Zwei der Betroffenen starben an ihren schweren Kopfverletzungen. Nur sechs Prozent der Studienteilnehmer trugen einen Reithelm, als der Unfall passierte.

Sollte man auch beim bloßen Umgang mit dem Pferd Helm tragen? (Foto dpa)

Die Wissenschaftler um den Chirurgen Bernard weisen darauf hin, dass die Literatur über Unfälle mit Pferden und beim Reiten im Moment sehr stark anwächst. Sicherheit ist ein zentrales Debattenthema im Reitsport geworden – mehr als ein halbes Jahrhundert, nachdem die Freizeitreiterei entstand und Reiten nicht mehr nur im bäuerlichen und militärischen Umfeld oder im Leistungssport stattfand, sondern zu einem echten “Hobby” und zum Breitensport wurde, mit dem vor allem viele Kinder begannen. In Deutschland hat der Unfalltod des jungen Vielseitigkeitsreiters Benjamin Winter während eines Turnier-Geländeritts in Luhmühlen jetzt wieder Ängste geschürt und die Frage aufgeworfen, wie gefährlich Reitsport wirklich ist. Für den Weltreitsportverband FEI stellte Sicherheitsberater David O’Connor nach dem Unfall in Luhmühlen in einem Pressegespräch fest: “Wir Reiter entscheiden uns bewusst für diesen Sport. Es war ein tragischer Unfall, doch wir können den Sport nicht sicherer machen als das Leben selbst.”

Chirurgen, die Reitunfälle analysieren und immer mehr Studien darüber veröffentlichen, hoffen, dass sie zumindest die Schwachstellen aufdecken können. Dass viele Freizeitreiter keinen Helm tragen, scheint eine entscheidende Gefahr darzustellen. Das belegt nicht nur die Untersuchung aus Kentucky. Auch Cameron Gosling vom Department of Epidemiology and Preventive Medicine der australischen Monash University in Melbourne und seine Kollegen befassen sich in einer aktuellen Studie mit Reitunfällen. Trotz aller Präventionskampagnen sei Reiten ein gefährlicher Sport geblieben, schreiben sie im Magazin “Injury” – mit “mehr Verletzungen pro Stunde als Motorradfahren, Ski und Football”. Einer von vier Patienten müsse ins Krankenhaus aufgenommen werden.

Die Australier werteten die Daten von 172 Patienten aus, die innerhalb von fünf Jahren nach einem Reitunfall ins The Alfred Hospital in Melbourne aufgenommen worden waren. Fast die Hälfte hatte eine Kopfverletzung erlitten. Knapp ein Viertel kam auf die Intensivstation und 18 Prozent mussten künstlich beatmet werden. 24 Prozent mussten nach der Entlassung in eine Reha-Einrichtung wechseln.

Gosling und seinen Kollegen ging es darum herauszufinden, wie schwer die Verletzungen sind, die Reiter davontragen. Sie registrierten deshalb auch, wann die Studienteilnehmer zurück zur Arbeit kehren konnten und ob sie wieder voll einsatzfähig waren. 95 Studienteilnehmer waren wieder an ihrem Arbeitsplatz, als die Studie stattfand. Von ihnen war die Hälfte mehr als sechs Monate lang verletzungsbedingt ausgefallen. 42 Prozent waren nicht mehr voll einsatzfähig.

“Schlecht” seien die Ergebnisse von Reitern, die nach einem Unfall ins Krankenhaus eingewiesen werden, bilanzieren die Autoren. Allerdings hatten auch  mehr als 30 Prozent der Probanden keinen Schutzhelm getragen.

Schon vor einem knappen Jahr kamen Mediziner aus Oregon in einer Studie im “American Journal of Surgery” zu dem Schluss, dass Reitunfälle häufig vermeidbar seien. Nicht nur durch einen Helm: Die 231 Reiter, die nach Unfällen befragt wurden, gaben zu Protokoll, dass in den häufigsten Fällen Umweltfaktoren den Unfall verursacht hatten. Danach folgte, dass Pferd und Reiter nicht zusammengepasst hatten – und erst dann wurde ein Versagen der Ausrüstung genannt.


13 Lesermeinungen

  1. W.Bayerl sagt:

    eine Antwort auf die Frage in der Überschrift ist leider unmöglich
    wenn man nur die Verletzten “untersucht” und nicht die Gesamtzahl der Reiter.

    Ähnliche Untersuchungen wurden in Deutschland bereits vor 30 Jahren gemacht.
    Dabei gab es auch unterschiedliche Verletzungsmuster zwischen Kindern und Erwachsenen,
    die letzten hatten mehr Brüche der Beine, die Kinder mehr der Arme.
    Kopfverletzungen waren sehr selten, was sich möglicherweise geändert hat,
    weil immer “unsportlichere” (übergewichtige) Reiter(innen) das Pferd besteigen.
    Früher galt, wer das nicht mit eigener Kraft schafft, sollte lieber unten bleiben.
    Da hilft auch ein Helm nicht.

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