Zehn Jahre lang lebte die New Yorker Autorin, Schauspielerin und Regisseurin Lena Dunham vegan. Was sie in dieser Zeit zu sich nahm, listet sie in ihrem in diesem Herbst erschienenen autobiographischen Buch “Not that Kind of Girl” seitenlang auf: Reismilch, Mandelbutter-Feigen-Smoothie, Wasserkressesalat mit Sojacrispies, Adzukibohnenpaste oder Cornflakes mit Mandelmilch. Sei mal ein vegetarischer Ausrutscher passiert, habe sie sich selbst dafür scharf verurteilt, so Dunham. Ihre Motivation war der Schutz der Kreatur, nicht die eigene Fitness oder der Glaube an mehr Gesundheit durch Verzicht auf tierische Produkte. Und sie bekannte sich früh offen zum Veganismus: “Mit siebzehn gab ich eine vegane Dinnerparty, die es sogar auf die Stil-Seite der New York Times schaffte”, erzählt die 1986 geborene Dunham in “Not that kind of girl”. Überschrift: “Knackiges Menü für jugendliche Gäste”. Das war 2003. (Die Zeitschrift “Newsweek” lässt das Fest, das sich damals zugetragen hat, hier noch einmal Revue passieren.) Heute, ein Jahrzehnt später, würden es ein paar mit Sojashakes und Sesammus feiernde Teenies nicht mehr derartig ins Scheinwerferlicht schaffen: Vegansein ist im Mainstream angekommen – vegane Dinnerpartys sind nichts Besonderes mehr.
Dass das gerade vergangene Jahr 2014 ein Jahr war, in dem der Veganismus auch in Deutschland richtig begann zu boomen, wird kaum jemand bestreiten: Zweitausend”V”ierzehn sozusagen, um mit jenen zu sprechen, die das V inzwischen wie ein Logo für den Veganismustrend verwenden – V in Veihnachten, in Vöner, in Visch usw. In den Buchläden türmten sich die Bücher über veganes Kochen und vegane Lebensphilosophie, in den ersten Dezemberwochen eröffneten etliche vegane Weihnachtsmärkte, vegane Magazine kamen neu in den Handel. Die Marktexperten der Heimtierindustrie halten veganes Hunde- und Katzenfutter für den nächsten großen Hype unter Tierhaltern. “Vegan ist sozusagen über Nacht richtig cool geworden”, schreibt der Vegan-Koch und Fitnessguru Attila Hildmann in seinem neuen Kochbuch “Vegan to go”, das vor einem Monat erschienen ist.
Was wird nun ZweitausendVünfzehn bringen? Einiges deutet darauf hin, dass die wissenschaftliche Begleitung des Phänomens Veganismus Fahrt aufnehmen wird. Viele Studien, die 2014 erschienen sind, beschrieben zunächst einmal den Ist-Zustand: Wer ernährt sich warum vegan? So untersuchten etwa Wissenschaftler um den Dermatologen Jonathan Silverberg von der Northwestern University in Chicago für das Fachjournal “Dermatitis”, was Eltern unternehmen, wenn ihre Kinder unter Neurodermitis leiden. Die Daten von 9500 Kindern und Jugendlichen wurden einbezogen. Zwar lagen erwartungsgemäß Homöopathie oder auch Ayurveda hoch im Kurs. Aber immerhin 2,5 Prozent der betroffenen Familien versuchen es auch mit rein veganer Lebensweise.
Zu diesen Studien, die sich dem Phänomen erst mal aus der beschreibenden Perspektive nähern, zählt auch die quantitative Untersuchung der Hamburger Soziologin Pamela Kerschke-Risch, die 2014 herausfand, dass Veganer in Deutschland durchschnittlich 32 Jahre alt sind. Für die Teilnehmer ihrer Studie galt außerdem, dass sie zu achtzig Prozent Frauen waren und meist höhere Bildungsabschlüsse hatten. Fast neunzig Prozent lebten erst seit weniger als fünf Jahren vegan. Die wichtigste Rolle spielen vegan lebende Freunde für die Entscheidung, fortan selbst vegan zu leben. Ein ansteckendes Phänomen also, das immer weiter um sich greift, das trendiger Lifestyle wird und immer akzeptierter. Oder?
Unlängst gab es auch ganz andere Untersuchungsergebnisse. Das Portal vegan.eu und die Kennenlern-Plattform Gleichklang befragten mehr als tausend Veganer. 92 Prozent der befragten Veganer berichteten, bereits Ausgrenzung oder Diskriminierung erfahren zu haben. Achtzehn Prozent von ihnen hatten schon einmal Ausladungen und Kontaktabbrüche erlebt. Aber besonders häufig beklagten die vegan lebenden Personen, dass sie verspottet wurden (92 Prozent) und dass ihnen der Vorwurf des Extremismus gemacht wurde (72 Prozent). Zudem sah sich fast die Hälfte der Befragten häufig mit der Forderung konfrontiert, ein nicht veganes Gericht zu essen. Massiv angefeindet wurden auch vegan lebende Eltern, denen offenbar häufig vorgeworfen wird, dass es unverantwortlich sei, Kinder milch-, ei- und fleischfrei zu ernähren.
Trost spendet die Studie eines Wissenschaftlerteams um Julie DiMatteo von der School of Psychology der Fairleigh Dickinson University in New Jersey. Vier Forscherinnen untersuchten im Fachjournal “Nutritional Neuroscience”, wie sich eine vegane Diät auf die Stimmung von Menschen auswirkt. Dafür wurden 283 Veganer, 109 Vegetarier und 228 “Omnivoren” über soziale Netzwerke rekrutiert und mit einem Instrument aus der Psychologie, der Depression Anxiety Stress Scale, befragt. Insgesamt waren Veganer stimmungsstabiler als Omnivoren, die auch Fleisch, Milch und Ei aßen. Bei Männern zeigten sich unter den Veganern auch weniger Ängste. Bei den Frauen bestand ein deutlicher Unterschied im empfundenen Stress zwischen den Veganerinnen und den Omnivoren. Die Frauen, die vegan lebten, waren weniger gestresst. Es gab auch einen Zusammenhang zwischen geringerem Stress bei Frauen und einem geringeren täglichen Verzehr von Süßigkeiten.
Trotz solch ermutigender Nachrichten leben “nur” 900.000 Menschen in Deutschland vegan. Auch die Praktikabilität dieses Lebensstils mag dabei eine entscheidende Rolle spielen. In “Vegan to go” empfiehlt Attila Hildmann, im Restaurant lieber zu sagen, man sei Allergiker, sonst würden einem doch in Butter geschwenkte Nudeln untergejubelt. Auch der Spitzenkoch bemerkt also noch so manchen Fallstrick, bemüht sich aber, Ratschläge zu geben, die eine neue Lässigkeit erlauben. Selbst nachts an der Tankstelle könne man fündig werden und beispielsweise mit etwas Glück vegane Chips auftreiben, so Hildmann, der in “Vegan to go” schnelle Rezepte vorstellt, so dass auch die Argumente der Kochmuffel, die die durchaus aufwendigen veganen Gerichte vermeiden, abgeschwächt werden.
Christian Vagedes, der 2010 die “Vegane Gesellschaft Deutschland” gründete und in diesem Jahr die ersten drei Ausgaben des “Vegan Magazins” herausgab, glaubt, dass die Akzeptanz des veganen Lebensstils vor allem durch die geschmackliche Qualität der veganen Produkte gesteigert werden kann. „Rein ideell sagen Ihnen achtzig Prozent der Bürger: Klar kann ich mir vorstellen, so zu leben, aber es muss halt schmecken“, so Vagedes. In der aktuellen Ausgabe seines “Vegan Magazins” stellt Vagedes deshalb neue vegane Lebensmittel vor, die er gemeinsam mit einem kleinen Lebensmittelwerk in Mecklenburg-Vorpommern entwickelt hat. „Frischkäse, der wie Frischkäse schmeckt“, sagt Vagedes. „Sylter Dressing. Mayonaise. Schokopudding. Fleischsalat, der wie Fleischsalat schmeckt.“ Monatelang hat Vagedes, der als Designer arbeitet, dafür mit Lebensmittelexperten an Rezepturen getüftelt. „Ein Quantensprung in der Annehmbarkeit“ seiner Lebensidee Veganismus sei jetzt geschafft. Vagedes ist zuversichtlich: Auf das Cover der letzten im Jahr 2014 erschienen Ausgabe seines “Vegan Magazins” stellte die Redaktion selbstbewusst ein Foto von einer gesichtslosen Frau im roten Blazer, davor zwei Hände, die Fingerspitzen sind charakteristisch aneinandergelegt. Daneben steht: “Berliner Gerüchteküche: Angela Merkel – isst sie wirklich schon vegan?”