Die meisten Hundehalter würden behaupten, ihren Hund genau zu kennen, viele denken auch, dass sie ihm seine Gefühle ansehen können. Der Klassiker ist dabei der “schuldbewusste Blick”. Wenn der Hund unter umwölkter Stirn von unten nach oben linst und dabei den Kopf zwischen die Schultern zieht, ist für viele Menschen der Fall klar: Da hat jemand Schuhe zerbissen, unerlaubt vom Tisch geklaut oder gar auf die Fußmatte gepinkelt.
Dass die meisten Halter damit völlig falsch liegen und der schräge Blick des Vierbeiners wohl rein gar nichts mit etwaigen vorangegangenen Missetaten zu tun hat, zeigen jetzt Wissenschaftler um Nicola Clayton von der Universität Cambridge im Fachmagazin “Behavioural Processes”. Die Forscher nahmen 96 Hunde und ihre Halter in ihre Studie auf; sie führten Hausbesuche durch. In der gewohnten Umgebung des Hundes, etwa dem Wohnzimmer, platzierten die Halter ein Leckerchen an einen bestimmten Ort und verboten dem Hund, es zu fressen. Dann verließen sie den Raum. Wenn sie zurückkehrten, hatte entweder der Hund verbotenerweise die Leckerei gefressen oder der Wissenschaftler hatte sie entfernt.

Die Halter sollten anhand der Körpersprache des Hundes feststellen, ob der Hund sich regelkonform verhalten hatte oder nicht. Doch das gelang ihnen nicht – die Trefferquote war nur so gut, wie es bei einem Zufallsgenerator gewesen wäre. Die Autoren schließen, dass der “schuldbewusste Blick” von Hunden kein Eingeständnis von als solcher wahrgenommener Schuld ist – sondern wohl eher eine typische Reaktion auf Verärgerung, die der Halter zeigt.
Die Studie kann man wie eine knackige Einstimmung auf die übrigen Forschungsarbeiten lesen, die in diesen Wochen erschienen sind und die Hund-Mensch-Beziehung näher beleuchten. Ihr Ergebnis, kurz und knapp: Einiges liegt im Argen zwischen Haltern und ihren Hunden. Man versteht nicht nur Blicke falsch. Die Wissenschaftler liefern darüber hinaus einige Belege dafür, dass an dem alten Spruch “Das Problem ist am anderen Ende der Leine” einiges dran sein könnte. Mit ihrem Erziehungsstil oder ihrer Art der Bindung an ihren Hund verursachen viele Halter offenbar genau die Probleme, unter denen sie leiden und deretwegen sie einen Hundetrainer nach dem anderen konsultieren.
So zeigen etwa Wissenschaftler aus Freiburg und Ungarn aktuell im Fachmagazin “Plos One”, dass Halter wohl mehr als eine Mitschuld trifft, wenn sie ihre Hunde nicht in der Wohnung alleinlassen können, ohne dass die Tiere Panikattacken bekommen und die Nachbarschaft zusammenbellen. Die Autoren um die Budapester Ethologen Veronika Konok und Adam Miklósi befragten für ihre Arbeit 1200 deutsche und 320 ungarische Hundebesitzer.
Trennungsangst bei Hunden ist ein gängiges Problem, das viele Halter in Probleme stürzt; sie äußert sich in ständigem Bellen und Jaulen, wenn das Tier allein ist, in Unruhe oder Panik, sobald der Halter nicht mehr sichtbar ist, Zerstörungswut oder Unsauberkeit oder auch in Fluchtversuchen und selbstverletzendem Verhalten in Abwesenheit des Halters. Konok, Miklósi und ihre Mitautoren konzentrieren sich bei ihrem Interpretationsansatz auf die Herangehensweise der Bindungspsychologie, die verschiedene Bindungstypen beim Menschen unterscheidet: Sicher gebunden, unsicher-ambivalent oder unsicher-vermeidend gebunden, desorganisiert gebunden. Kinder, die nicht sicher gebunden sind, haben problematische Bindungserfahrungen in der frühen Kindheit gemacht, etwa erfahren, dass ihre Bezugsperson nicht immer verfügbar ist oder dass sogar Bedrohungen von ihr ausgehen können. Unsicher-vermeidend gebunden bedeutet etwa, dass ein Kind Trennungen von der Bezugsperson nach außen hin ignoriert und scheinbar cool bleibt, während seine Stresslevel ansteigen. Es hat erfahren, dass die Bezugsperson nicht zuverlässig verfügbar ist, wenn es sie braucht, vermeidet nun Nähe in Beziehungen und drückt seinen Stress auch nicht aus. Die Klassifizierung der Bindungstypen geht auf die Arbeiten der amerikanischen Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth in den siebziger Jahren zurück. Mit dem “Strange Situation Test” entdeckte sie, dass Kleinkinder auf eine Trennung von ihrer Bezugsperson unterschiedlich reagieren; ihr Verhalten hängt offenbar mit den Bindungserfahrungen zusammen, die sie gemacht haben.
In der Deutung und Behandlung psychiatrischer Krankheiten beim Menschen auf die Bindungstheorie zurückzugreifen, ist hochmodern. Und inzwischen hat das Bindungsthema auch die Tier-Verhaltensmedizin erreicht. Die deutsch-ungarische Forschergruppe schreibt, dass Hunde üblicherweise in einem sehr jungen Alter in Haushalte aufgenommen werden und dass viele Befragungen zeigen, dass die Menschen sie als “Familienmitglied” ansehen. Der Schritt zum legitimen Vergleich mit der Eltern-Kind-Beziehung sei da nicht weit. Daher sei es gerechtfertigt, die Theorien der Bindungspsychologie auch auf das Hund-Halter-Verhältnis anzuwenden. Die Forscher fanden bei den deutschen Hunden, deren Halter an der Fragebogen-Studie teilnahmen, 18 Prozent Tiere mit Trennungsangst. Unter den ungarischen Hunden wies ein Drittel diese Problematik auf.

“Es scheint sowohl bei Menschen als auch bei Hunden Individuen zu geben, die eine niedrigere Schwelle für die Aktivierung des Bindungssystems aufweisen und die eine Reaktion auf eine Trennung hin zeigen, die nicht ihrem Entwicklungsstand entspricht”, bilanziert das deutsch-ungarische Autorenteam. Aber die Fragebögen erfassten nicht nur Charakteristika des Hundeverhaltens, sondern auch Persönlichkeitsmerkmale der Halter. Erreichten die Hundehalter hohe Werte in einem Test, der auf einen “vermeidenden” Bindungsstil hinweist, so litten ihre Hunde mit größerer Wahrscheinlichkeit an Trennungsangst. Die Wissenschaftler folgern, dass dieses vermeidende Bindungsverhalten des Halters zumindest zum Teil für die Verhaltensprobleme des Tieres verantwortlich ist. “Halter mit unsicher-vermeidendem Bindungsstil vermeiden intime Kontakte, Nähe und das Zeigen von Gefühlen”, schreiben sie – und zwar nicht nur in Beziehungen mit Menschen, sondern auch mit Tieren. “Hunde, die Zurückweisungen erfahren oder erleben, dass ihre Bedürfnisse, etwa nach Kontakt, ignoriert werden, können nicht sicher sein, dass ihr Halter verfügbar ist.” Dieser inkonsistente Stil der Halter könnte Trennungsangst fördern. Die Autoren räumen aber auch ein, dass andere Faktoren zu Trennungsangst bei Hunden beitragen können: zu frühe Trennung von der Mutterhündin, die Genetik oder auch traumatische Erfahrungen.
Trivial ist das Problem der Trennungsangst nicht: Halter buchen ihre Hunde für viel Geld täglich in “Hutas” (Hunde-Tagesstätten) ein, bemühen Dogsitter oder lehnen Stellenangebote ab, weil sie ihren Hund während der Arbeit nicht allein lassen können. Erst in der vergangenen Woche musste sogar das Verwaltungsgericht Stuttgart über einen Fall entscheiden, in dem es um den Verbleib des Hundes während der Arbeitszeit ging. In dem Verfahren war ein Hundehalter dagegen vorgegangen, dass man ihm untersagt hatte, seine Weimaraner-Hündin während seiner Arbeitszeit in einem Kraftfahrzeug zu halten. Die Klage des Halters wurde abgewiesen, weil das Halten der Hündin “Cosima” in einem Fahrzeug als nicht verhaltensgerecht eingestuft wurde.

Die Verantwortung der Halter für Verhaltens- und Gesundheitsprobleme von Hunden entdeckt jetzt auch die Heimtierindustrie. Hier geht es nicht um “Bindungsstile”, sondern etwas weniger psychologisch um “Erziehungsstile”. Der Konzern Mars Petcare etwa hat gerade eine Broschüre herausgegeben, in der “Tierhalter-Typen” unterschieden werden. Je nachdem, welchem Typ ein Halter angehört, habe der Hund ein geringes oder größeres Risiko, Übergewicht zu entwickeln, heißt es hier. Übergewicht ist eins der größten Probleme der Veterinärmedizin, es zieht Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gelenkprobleme oder Stoffwechselstörungen wie Diabetes nach sich. Mehr als die Hälfte der Hunde haben einer neueren deutschen Studie der LMU München zufolge Übergewicht. Die Mars-Broschüre nun überträgt Erziehungsstile, die in der Psychologie bei Eltern unterschieden werden, auf Hundehalter, und machen dort folgende vier Typen aus: konsequent, autoritär, nachsichtig und unbeteiligt. Der autoritäre Halter etwa reagiert verärgert, wenn der Hund bei Tisch bettelt. Das Tier wird auf seinenPlatz verwiesen: “Später gibt er etwas Futter in den Napf und besteht darauf, dass der Hund/die Katze wartet bis ihnen der Halter erlaubt zu essen. Das sorgt für Frust beim Tier – Futter vor sich zu haben, aber nicht essen zu dürfen.” Man kann sich leicht vorstellen, dass so Essstörungen gefördert werden. Doch den Industrieexperten ging es vor allem um Überfütterung. Sie befragten mehr als 120 Tierärzte nach Tierhalter-Typen und inwiefern der Typ eine Rolle spielt bei der Entwicklung von Übergewicht beim Haustier. Am häufigsten wird in den Praxen der “nachsichtige” Typ vorstellig: Er verwöhnt das Tier ohne Ende und füttert beispielsweise nach Lust und Laune vom Tisch. 98 Prozent der Tierärzte waren überzeugt, dass der Erziehungsstil des Halters sich auf das Übergewicht des Tieres auswirkt. Nun soll die Theorie der Erziehungsstile genutzt werden, um Halter entsprechend ihres Typus zu motivieren, Diätstrategien für das Tier umzusetzen.
Oft leben Hund und Mensch also aneinander vorbei – und beide erleiden dadurch Stress. Ein besonders trauriges Kapitel der Mensch-Hund-Beziehung schlägt nun Kimberley Lambert im Fachmagazin “Preventive Veterinary Medicine” auf. Hier trägt sie die Ergebnisse ihrer 2014 erschienenen Dissertation noch einmal knapper zusammen. Lambert hat eine Zusammenschau von Studien angefertigt, die untersuchen, warum Hunde in Tierheimen landen. Die Hauptgründe für die Abgabe von Hunden in Tierasylen, die Lambert identifizierte, waren Umzüge, Verhaltensprobleme des Hundes, die Kosten der Hundehaltung, gesundheitliche Probleme des Halters – oder schlicht die Erwartungen, die der Halter an die Haltung eines Hundes gehabt hatte und die sich offenbar nicht erfüllt hatten.

Während all diese Ergebnisse darauf schließen lassen, dass noch immer viele Menschen ein falsches Verständnis vom Hund und seiner Haltung haben, schneiden die Hunde selbst in Sachen Menschenkenntnis gut ab: Hunde, die an Menschen gewöhnt sind, können offenbar genau zwischen verschiedenen menschlichen Gesichtsausdrücken unterscheiden – und da auch bei Menschen, die ihnen fremd sind. Das berichten österreichische Wissenschaftler im Fachmagazin “Current Biology”. Die Forscher von der Veterinärmedizinischen Universität Wien zeigten teilnehmenden Hunden entweder die obere oder die untere Hälfte des Gesichts einer wütend oder freudig schauenden Person auf einem Touchscreen. Einige der Hunde mussten dabei immer die gut gelaunten, andere die finsteren Porträts anstupsen und wurden dafür belohnt. “Unsere Studie belegt, dass Hunde zwischen wütenden und freudigen Gesichtsausdrücken bei Menschen unterscheiden können”, sagt Studienautor Ludwig Huber. Es spreche zudem einiges dafür, dass die Hunde ein lächelndes Gesicht als positiv, ein wütendes Gesicht hingegen als negativ empfinden. Denn die Hunde, die anfangs ärgerliche Gesichter erkennen sollten, lernten deutlich langsamer. Dass man sich von wütenden Menschen besser fernhält, war ihnen offenbar klar.
[…] zu besitzen Wer noch ein bisschen Weiterlesen möchte, dem empfehle ich den Artikel “Der missverstandene Hund” von Christina Hucklenbroich. Hier ist auch sehr gut beschrieben, wie bei einem […]
Überinterpretation. Tatsächlich handelt es sich um eine Cuteness-Strategie
Hand auf’s Herz, wer ist intelligenter? Der Halter von Hund oder Katze, der sündhaftteure Döschen mit Lachs öffnet, dafür arbeiten geht, das Klo reinigt oder Haufen wegräumt, oder das traute Heimtier, das einfach schnell einmal alle Gesichtsausdrücke durchprobiert, bis Herrchen oder Frauchen wieder zufrieden sind und ein Luxusleben finanzieren, von dem die Ahnen als Wildtiere nicht einmal träumten!
Gibt es doch?!
Hallo Herr Adrian,
einen Hundeführerschein gibt es bereits. Unteranderem direkt vom Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH).
Wie man allerdings an Ihrem Kommentar merkt, sind Sie kein Hundefreund und Katzen bzw. Meerschweinchen als Alternativen zu nennen, ist wenig reflektiert.
[…] https://blogs.faz.net/tierleben/2015/03/17/der-missverstandene-hund-681/ […]
Quintessenz des Artikels,
Hunde haben mehr emotionale Intelligenz als Menschen. Beweis: Menschen war es, wie in dem Beitrag berichtet, nicht möglich den Gesichtsausdruch ihres eigenen Hundes zuverlässig zu interpretieren, während Hunden dies auch bei fremden Menschen gelungen sein soll.
[…] wieder spannend und interessant, auch wenn nicht alles ganz neu ist: https://blogs.faz.net/tierleben/2015/…dene-hund-681/ […]
Habe den Hund dazu befragt
Die reizende Corgidame meinte, sie würde sich nicht im Mindesten schuldig fühlen, wenn Fressen auf dem Fußboden stehen würde, das sei doch Ihres. Und ansonsten ist das alles Kaese, weil doch der Hund den Menschen erzieht und nicht umgekehrt.
Da könnte ich nur zustimmen ;)
Vielen Dank!
Sehr interessanter Artikel. Wir haben z.Z. drei Hunde (im Laufe unseres Lebens über dreissig, alle ausser einer reinrassigen Schäferhündin “adoptiert”). Hunde sind hochanhänglich, intelligent und werden, zumindest nach unserer Erfahrung, sich immer neuen Situationen gut anpassen. Meine Frau und ich (drei Kinder) sagen immer: “Hunde sind wie Kinder, nur smarter”.
Titel eingeben
Hinreissender Kommentar, danke!
Hundehalter
Wieso gibt es eigentlich keinen “Führerschein” für Hundehalter? Die sollten zuerst mal lernen, wie Hunde ticken. Wenn mir die Dogge in den Rücken springt und man mir anschließend sagt, sie wolle ja nur spielen, der hat dann aber auch rein gar nichts verstanden. Also ab zum “Hundeflüsterer” und erst mal lernen, wie man mit einem Hund umgeht. Das kann dann auch gerne richtig teuer sein, so das es sich die künftigen Hundehalter vielleicht mehrfach überlegen, ob eine Katze oder ein Meerschweinchen nicht die bessere Alternative ist.