Die Regale im Bioladen quellen über vor neuen veganen Produkten aus Lupine, Kokosmilch oder Quinoa, in den Innenstädten scheinen vegane Bistros geradezu aus dem Boden zu schießen und über die vegane Kochbuchschwemme braucht man eigentlich nicht mehr zu sprechen: Sie ist in den Buchhandlungen einfach nicht zu übersehen. Wer die vegane Lebensweise für ein paar Wochen ausprobieren will, hat im Alltag deutlich weniger Hürden zu überwinden als noch vor wenigen Jahren. Schwierig wird es eigentlich erst, wenn man seinen veganen Fokus nicht auf Fitness und Ernährung richtet, sondern sich verpflichtet fühlt, Ausbeutung von Tieren grundsätzlich bei jeder Konsumentscheidung zu hinterfragen. Dann kann jemand, der Veganer ist, um ein politisches Statement zu leben, oder jemand, der sich rein aus ethischen Gründen dazu verpflichtet fühlt, schnell in Konflikte kommen – und müsste eigentlich trotz leerem Magen viele der neuen Angebote ausschlagen.

Ein paar Beispiele für dieses Problem nennt Christian Koeder in seinem Buch “Veganismus – Für die Befreiung der Tiere”, das im vergangenen Jahr erschienen ist, einer umfassenden Geschichte und Analyse des veganen Lebensstils und seiner Hintergründe. Koeder weist darauf hin, dass in manchen Ländern, etwa Thailand, angekettete Affen bei der Kokosnussernte eingesetzt werden. Auch Last- und Arbeitstiere werden in vielen Ländern verwendet. Oder ein anderer Fall: Apfelsaft, der mit Gelatine geklärt wird. Sind die veganen Lebensmittel, deren Produktion mit solchen Transporten und Arbeitsschritten verknüpft ist, überhaupt noch vegan? Es ist anzunehmen, dass viele ethisch motivierte Veganer sich solche Gedanken machen.
Die tägliche Nahrungszufuhr könnte also durch den Schritt, vegan zu leben, hochkompliziert werden. Es drohen einfach zu viele Fallstricke. Wahrscheinlich entscheiden sich deshalb viele Veganer für Pragmatismus und hinterfragen nicht jedes Detail; auch Koeder rät dazu, pragmatisch zu bleiben, sonst könnten am Ende die Tiere verlieren, denen man helfen wolle.
Ein Aspekt liegt jedoch so deutlich auf der Hand, dass man ihn kaum ausblenden kann: Was ist mit Kleidung aus Wolle, Leder, Daunen oder Seide? Sie begleitet uns schließlich beinahe so intensiv wie die Nahrung, die wir jeden Tag aufnehmen. Und auch für die Gewinnung dieser Rohstoffe werden Tiere gehalten und genutzt.
Die Deutschen scheinen sich dieser Problematik mehr und mehr bewusst zu werden – und würden deshalb gern zu Kleidung greifen, die als “tierfrei” gilt. Das belegt eine neue TNS Emnid-Studie, die im Auftrag des “Veganmagazins” durchgeführt wurde.
81 Prozent der 1004 repräsentativ Befragten könnten sich demnach vorstellen, vegane Kleidung zu tragen, wenn keine Qualitätsunterschiede feststellbar sind. Und 75 Prozent der befragten Personen gaben an, dass sie nicht wollen, dass Tiere für ihre Kleidung gequält und getötet werden.

Initiator der Studie ist Christian Vagedes, Herausgeber von „das veganmagazin”. Er sagt: „Vegane Kleidung bedeutet keinen Qualitätsverlust, sondern vielmehr eine qualitative Steigerung, da an den Fasern des T-Shirts oder der Bluse kein Blut klebt. Die Quälerei und das Töten von Tieren sind nicht mit einer veganen Einstellung zum Leben vereinbar.” Er empfiehlt, stattdessen Bananenfaser oder den Lederersatzstoff Alcantara auszuprobieren.
Der Pressemitteilung über die TNS Emnid-Studie ist auch ein Statement der Modeindustrie beigefügt. „Die bewusste Nachfrage nach Produkten, die garantiert keine tierischen Bestandteile haben, scheint leicht zu wachsen”, sagt demnach Hartmut Spiesecke, Leiter der Abteilung Kommunikation, Presse und Öffentlichkeitsarbeit des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie.
Aber belegt das wirklich schon, dass uns ein Boom veganer Mode ins Haus steht? Fragt man nach bei den Labels, die sich in Deutschland bisher einen Namen für tierfreies Modedesign gemacht haben, sind die Antworten durchwachsen.
Sandra Umann, Gründerin des Berliner Vegan-Labels “Umasan” schätzt, dass nur etwa zehn Prozent ihrer Kunden Veganer sind und aus diesem Grund ihre garantiert ohne Tierleid hergestellten Kollektionen bevorzugen. “Viele unserer Kunden kommen nicht, weil sie vegan leben wollen”, sagt Umann. “Aber was wir merken, ist: Wenn wir die Geschichte hinter unserer Mode erzählen, ist eine größere Offenheit als früher da. Das Thema verursacht weniger Angst und Befremden. Veganer werden nicht mehr als die ‘ganz Radikalen’ wahrgenommen. Das Thema wird stattdessen als spannend empfunden.” Im Jahr 2010, als die Zwillingsschwestern Sandra und Anja Umann ihr Label gründeten, war das noch anders. “Damals wurden wir eher als Exoten wahrgenommen”, sagt Umann. “Im Textilbereich war Veganismus noch ganz neu, das Thema kam gerade erst im Lebensmittelbereich etwas hoch.” Deshalb sei es bei Gründung auch noch viel schwieriger gewesen, entsprechende Stoffe zu finden. Dass die Welt offener für vegane Lebensstile ist, zeigt sich für die Schwestern auch daran, dass es nun immer mehr Zulieferer gibt, die sie mit interessanten Materialien versorgen. Fasern aus Eukalyptus oder Buchenholz zum Beispiel, zum Teil angereichert mit Algen oder Zink. “Ein bisschen Kosmetik für die Haut”, nennt Sandra Umann das. Daneben verwendet Umasan recyceltes Polyester und recycelte Plastikflaschen. “Diese Stoffe fühlen sich an wie Seide”, sagt Sandra Umann. Dass so edle Materialien wie Seide ersetzt werden könnten, sei wichtig, schließlich produziere das Berliner Label “echte High-End Fashion”. Sie konzentrieren sich auf ein reduziertes Design, klare Linien. “Die Besonderheiten liegen im Detail, es ist ruhige Mode mit einem Hauch japanischer Ästhetik.” Farben wie weiß, grau, schwarz oder natur herrschen vor.
Anfänglich hatten die Modedesignerinnen noch Schwierigkeiten, eine Winterkollektion zusammenzustellen. “Mittlerweile gibt es aber guten Ersatz für Wolle”, sagt Umann. “Man kann zum einen Baumwollfasern so anrauhen, dass sie in der Haptik Wolle entsprechen. Jacken füttern wir oft mit Fleeceeinlagen aus recyceltem Polyester.” In den vergangenen zwei Jahren habe sich “wahnsinnig viel” auf dem Markt getan, bilanziert Sandra Umann.

Die neunzig Prozent der Kunden, die nicht als überzeugte Veganer den Flagship Store in Berlin-Mitte betreten, seien vor allem modeinteressiert, vermutet Umann. “Und sie haben ein Bewusstsein für ökologische Mode und beschäftigen sich mit Umweltthemen und nachhaltiger Produktion.” Umasan produziert in Sachsen. Wenn die Umann-Schwestern ihre Kollektion präsentieren, fragen sie sich bei den Schuhen, die die Models dazu tragen: “Wo werden die Produkte gefertigt? Passt das Label zu unserem?” Sollte beispielsweise Leder bei der Herstellung solcher auf dem Laufsteg gezeigter Schuhe verwendet worden sein, ist das kein absolutes Hindernis. “Wir sagen nicht, dass die ganze Welt vegan sein muss”, sagt die 37-jährige Sandra Umann. “Uns ist wichtig, dass man das vegane Thema innovativ behandelt und zeigt, dass es nicht allein ökologische Baumwolle gibt, sondern auch andere Alternativen, die teilweise bessere Eigenschaften haben als Seide und Wolle. Sie sind beispielsweise atmungsaktiver, leichter zu pflegen und maschinenwaschbar.” Sandra Umann und ihre Schwester leben selbst seit neun Jahren vegan. Jahre zuvor, mit sechzehn, hatten sie sich bereits entschlossen, Vegetarier zu werden.
Andere Unternehmen für vegane Kleidung sind noch sicherer als die Gründer von Umasan, dass derzeit ein Boom beginnt. “Wir erleben definitiv eine vermehrte Nachfrage”, sagt Thomas Reichel, Gründer der veganen Schuhladenkette Avesu. “Seit der Gründung im Jahr 2010 verzeichnen wir jedes Jahr zweistellige Umsatzwachstumsraten.” Das Thema erreiche inzwischen weite Teile der Bevölkerung. “Wir haben natürlich keine Studien gemacht, wie viele von den Kunden nur wegen des Interesse an Veganismus zu uns kommen. Wir stehen auch für faire Arbeitsbedingungen und ökologische Erzeugung. Deshalb stehen sicherlich verschiedene Motivationen hinter der Entscheidung unsere Kunden.” Auch Reichel nennt zwei Entwicklungen, um zu belegen, dass die vegane Idee Einzug in der Bekleidungsindustrie hält. “Zum einen steigt die Nachfrage. Aber es kommen auch mehr Hersteller auf den Markt. Und auch die großen Hersteller labeln nun vegane Produkte.”

Die Kunststoffe, die Schuhleder ersetzen, seien inzwischen “täuschend echt”, sagt Reichel, der Avesu vor fünf Jahren gemeinsam mit Dirk Zimmermann gründete. “Auch bei Lebensmitteln tasten sich ja die Hersteller von Ersatzprodukten immer mehr an das Original, etwa Fleisch, heran und entkräften so Vorurteile. Das ist auch bei der Mode so.”
Gestartet ist Avesu als Onlineversand aus einer Einraumwohnung im vierten Stock in Berlin. Inzwischen betreiben Reichel und Zimmermann zwei Stores in Berlin und einen in Hamburg und verkaufen ihre Produkte – Schuhe, Taschen, Gürtel und andere Accessoires – außerdem weiter auf ihrer Onlineplattform. Angefangen haben sie mit zeitlosen, klassischen Schuhmodellen. “Aber es zeigt sich zunehmend, dass auch ganz modische, aktuelle Schuhe gut nachgefragt werden”, sagt Reichel. “Zum Beispiel Espadrilles im Sommer. Besonders gut laufen auch Wanderschuhe und Sneaker.”
Das Maßgebliche bei veganen Schuhen ist nicht nur Lederersatz. “Es geht auch um die Sohle, sie darf beispielsweise nicht mit Knochenleim geklebt sein”, sagt Reichel, der selbst seit zwanzig Jahren vegan lebt. Außerdem wird auch viel Hanf oder Leinen verwendet.

Entscheidend ist für vegane Anbieter wie Avesu, dass beispielsweise bei den Espadrilles nicht doch irgendwo ein Schild oder eine Kordel aus Leder angebracht ist. Vegane Aktivistenorganisationen weisen auch immer wieder daraufhin, dass viele vermeintlich vegane Kleidungsstücke – etwa Jeans – dann doch irgendwo einen Lederpatch haben.
Auch so erklärt sich der Erfolg vieler neuer Firmen, die von vornherein eine Garantie dafür übernehmen, dass alles tierfrei ist – so spart sich der Kunde, der keine Tiere nutzen will, viel Kopfzerbrechen. Ob nicht doch irgendwo in der Produktionskette beispielsweise Arbeitstiere Verwendung fanden, mag freilich manchmal im Dunkeln bleiben.
Vielleicht inspirieren sich bei dem Thema auch Markt und ethisch motivierte Nachfrage gegenseitig. Thomas Reichel von Avesu ist sich sicher: “Dadurch, dass der Markt immer mehr Produkte anbietet, beschäftigen sich auch die Leute immer mehr mit dem Thema Veganismus und mit den Alternativen. Und wenn ein Schuh aus Leder und einer aus veganen Materialien sich in Design und Qualität nicht unterscheiden, werden sich viele Menschen fragen: Warum soll man nicht den Schuh nehmen, der fair und ohne Tierleid produziert ist?”
Jeder sollte anfangen, etwas für seine Umwelt und für sich zu tun.
Ich finde es gut, dass sich mehr Menschen Gedanken um das, was sie auf der Haut tragen, machen. Wenn die Bananen – oder Eukalyptusfasern fair und zu gerechten Arbeitsbedingungen gehandelt werden, kann ich daran nur positives entdecken.
Und auch sonst bin ich der Ansicht, dass man, statt idas vegane Leben in Frage zu stellen, vielleicht den kleinsten gemeinsamen Nenner sucht und guckt, wo sind die Gemeinsamkeiten?
Gegen Massentierhaltung sind die meisten Menschen.
Für fair verhandelte Produkte und gute Arbeitsbedingungen auch.
Für ein umweltschonendes Leben.
Wer dem zustimmt, kann sich dann überlegen, wo fange ich persönlich an, was für meine Umwelt und für mich zu tun?