Spektakuläre Behandlungsfehler in der Humanmedizin schaffen es oft in die Medien, das Thema “Ärztepfusch” ist ein Dauerbrenner in Talkshows, ganze Bücher werden über einzelne Schicksale veröffentlicht. Und auch die offizielle Statistik der ärztlichen Behandlungsfehler genießt jedes Jahr im Frühjahr, wenn sie veröffentlicht wird, wieder große Aufmerksamkeit. Dank ihr wissen wir genau, wie viele Patienten sich mit dem Verdacht, eine falsche Behandlung erhalten zu haben, an ihre Krankenkasse wenden – und wir wissen auch, dass die Zahl von Menschen, die ein solches Misstrauen hegen, steigt.
Um Kunstfehler in der Tiermedizin ist es vergleichsweise ruhig. Pfusch an Pferd, Katze oder Kaninchen scheint eher ein Fall für Juraforen zu sein und nicht für die allgemeine Öffentlichkeit. Wenn die Tierärzte doch einmal öffentliche Kritik trifft, dann ist sie meist allgemeiner angelegt: So landete etwa die Tierärztin Jutta Ziegler vor fünf Jahren einen Erfolg auf dem Buchmarkt mit ihrem “Schwarzbuch Tierarzt”, in dem sie der Tierärzteschaft grundsätzlich vorwarf, viel zu oft invasive Therapien und Operationen einzuleiten. Eine kleine “Pfusch-Debatte” traf daraufhin auch die Veterinärmediziner, die immerhin erleben mussten, dass die “Bildzeitung” – inspiriert von Zieglers Buch – einen gesunden Hund als “Scheinpatienten” in fünf verschiedene Praxen schickte.
Die Diagnosen fielen erstaunlich heterogen aus. Doch inzwischen ist es wieder ruhig um das Thema geworden, sieht man mal von einzelnen Berichten über Gerichtsfälle in der tierärztlichen Fachpresse ab.

Die britische Veterinärmedizinerin Catherine Oxtoby setzt diesen Einzelfallberichten nun eine kühle Analyse entgegen: Im renommierten Fachmagazin “Veterinary Record” schreibt sie gemeinsam mit drei Mitautoren über die Fehlertypen, die in Tierarztpraxen vorkommen, und ihre Ursachen. Es ist die erste Studie über die Ursachen von tierärztlichen Kunstfehlern überhaupt; Oxtoby hat dafür 500 Versicherungsfälle ausgewertet. Die Daten erhielt sie von Großbritanniens größter Haftpflichtversicherung für Tierärzte. In einem zweiten Teil ihrer Studie führte sie Interviews mit neun verschiedenen Teams aus Tierärzten und Tierarzthelferinnen aus verschiedenen Teilen Englands, die Auskunft gaben, warum aus ihrer Sicht Fehler passiert waren, und die typische Beispiele für Behandlungsfehler, die sie erlebt hatten, schilderten.
Das zunächst hervorstechendste Ergebnis von Oxtobys Studie ist: Tierische Patienten werden geschädigt, wenn die Kommunikation im Tierärzteteam zu wünschen übrig lässt. Man redet einfach nicht miteinander – nicht über Zuständigkeiten, nicht über Zweifel, nicht über die Fehler von Vorgesetzten. Oxtobys Probanden beschreiben Situationen, in denen jeder vom anderen Teammitglied denkt, es übernehme eine Aufgabe. Im Fall eines Pferdes habe das fatal geendet, berichtete ein Tierarzt: Jeder habe vom anderen angenommen, die Überwachung der Narkose im Blick zu haben. Am Ende sei das Pferd nicht mehr vom OP-Tisch aufgestanden.

“Chaotische informelle Methoden der Kommunikation”, nennt Oxtoby das. Keine Protokolle, ein ausgeprägtes Sich-Verlassen darauf, dass Vermutungen (“Der andere wird es schon machen”) stimmen. Dies betrifft vor allem hochkritische Momente; so kommt es wohl häufig vor, dass niemand die OP-Schwestern anweist, alle Tupfer vor und nach dem Eingriff zu zählen, weshalb sie leicht im Tier vergessen werden können. Oxtoby sieht die Hauptgründe für falsche oder fehlende Kommunikation in einem Versagen der Führungskräfte. Die Supervision für Berufsanfänger und Tierarzthelferinnen werde nicht ausreichend geleistet, es herrsche bei den jüngeren Tierärzten der Eindruck vor, man werde “ins kalte Wasser geworfen” und mit schwierigen Problemen, auch Notfällen im Nachtdienst, in denen man zudem der einzige Zuständige in der Praxis ist, völlig alleingelassen. Zudem löse es Resignation bei Tierärzten aus, wenn sie miterleben müssten, wie andere Tierärzte, die sich unprofessioneller Methoden bedienten, damit “davonkämen”. Ein Tierarzt berichtete: “Mein Chef kehrte solche Dinge unter den Teppich, und dennoch praktiziert er meines Wissens immer noch.” Er zweifle nun ganz generell an den Gesetzen, die für Tierärzte gelten, denn die Fehler seines früheren Vorgesetzten seien immer wieder Gesprächsstoff gewesen, ohne dass er zur Verantwortung gezogen worden sei.
Daneben charakterisiert Oxtoby aber auch Fehler, die durch “kognitive Grenzen” zustande kommen: Tierärzte oder medizinisches Hilfspersonal sind schlicht abgelenkt, im Geiste abwesend, haben einen schlechten Tag. Eine Tierarzthelferin erzählte im Interview mit Oxtoby, Fehler passierten häufig, wenn man während einer Tätigkeit unterbrochen werde. Auch solche Fälle zählen zu den Fehlern, die durch “kognitive Grenzen” entstehen. Außerdem schildert die Studie Fehler, die den Tierärzten durch ihr Equipment unterlaufen (etwa Geräte mit amerikanischen statt englischen Skalen), Fehler durch Zeit- und Produktivitätsdruck (etwa Unterbesetzung eines Teams) und “Veterinärmedizin-spezifische” Fehler, die damit zusammenhängen, dass ein Tier besonders aggressiv ist oder schneller laufen kann als der Tierarzt.

Was die Typen von Behandlungsfehlern angeht, so machten chirurgische Fälle in der Statistik der Versicherer den größten Anteil aus. Unter diesen OP-Fehlern wiederum standen Probleme bei der Kastration von Hündinnen an erster Stelle, es folgten Fälle vergessener chirurgischer Instrumente im Körper und an dritter Stelle Blutungen. Eine Hündin zu kastrieren, klingt für Laien wie ein Routineeingriff. Unter Tierärzten gilt diese Operation aber als schwierig und anfällig für Komplikationen.
Einen Trost kann Oxtoby, die an der University of Nottingham forscht, dann aber doch formulieren: Fast nie war eine Vernachlässigung der Patienten im Sinne einer Versorgung, die der Tierarzt hätte schleifen lassen, der Grund für einen Fall, der bei einer Versicherung landete.
In ihrem Fazit stellt die Veterinärmedizinerin fest, dass die Tierärzte es versäumt haben, die Kommunikation zwischen Experten zum Gegenstand von Studium und Weiterbildung zu machen. Im Studium stehe zwar inzwischen die Kommunikation zwischen Tierarzt und Tierbesitzer auf dem Stundenplan, doch Teamwork unter Tierärzten selbst und Fehlerkultur, regelmäßige Feedbacksitzungen und eine institutionalisierte nachträgliche Analyse von Fehlern – das alles fehle, was sich ja auch in der Tatsache spiegelt, dass Oxtobys Studie die erste ihrer Art für die Veterinärmedizin ist. Die Autorin sieht dennoch schon nach diesen ersten Daten Parallelen mit Berufen wie Arzt oder Pilot, deren Fehler wissenschaftlich weitaus besser erforscht sind. Aus Studien zu diesen Berufsfeldern ging immer wieder hervor, dass der richtige Umgang mit Fehlern vor allem deshalb ausbleibt, weil sich die Beteiligten nicht trauen, das Problem offen anzusprechen, und das Gefühl haben, dass sich sowieso nichts ändern würde. Ähnliches berichteten auch Veterinär-Anästhesisten um die Schweizer Tier-Epidemiologin Sonja Hartnack in einer Veröffentlichung vor zwei Jahren im Fachmagazin “Veterinary Anaesthesia and Analgesia”, die Wortbeiträge einer Gremiensitzung zusammenfasste. Damals gaben die tierärztlichen Narkose-Fachleute an, dass man Strafen fürchte und deshalb Fehler nicht erwähne, und dass es zudem eine Art Übereinkunft gebe, “dass niemand über Fehler spricht”. Geht es nach Catherine Oxtoby und ihren Mitautoren, dann ist es an der Zeit, dass sich genau das ändert.