Die Mönche der Zisterzienserabtei Heiligenkreuz sind es nicht, die hier singen – auch wenn das barocke Ambiente des Doms zu Fulda diese Vermutung nahe legen könnte. Nicht einmal einen feierlichen Choral intonieren die annähernd Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz, deren kräftige Männerstimmen an diesem frühherbstlichen Montag nachmittag von irgendwoher durch den Kirchenraum hallen. Man muss dem Gesang im doppelten Sinn folgen: In der Krypta, unter dem mächtigen Hauptaltar verborgen, haben sich die annähernd siebzig katholischen Bischöfe in Deutschland zu ihrem Abendgebet, der Vesper, versammelt. Zu sehen bekommt man die Beter nicht. „Bitte nicht stören“, ist auf einem Schild zu lesen: „Andacht der Bischofskonferenz“.
Für die meisten Bischöfe ist das Gebet am Grab des heiligen Bonifatius Routine. Die dienstältesten unter ihnen wie der Limburger Weihbischof Pieschl sind seit fast dreißig Jahren dabei, viele, darunter der Erfurter Bischof Wanke und der Mainzer Kardinal Lehmann, blicken auf zwanzig Jahre und mehr im Amt zurück, die wenigsten haben die Reise zu der mehrtägigen Konferenz zum ersten Mal angetreten. Bischöfe kommen und gehen, die Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz jeweils in der letzten Septemberwoche in Fulda bleibt, Bonifatius, der Apostel der Deutschen, wird hier schließlich schon seit Jahrhunderten verehrt.
Keine Routine ist diese Herbst-Vollversammlung für Robert Zollitsch. Erst vor fünf Jahren wurde der gebürtige Donauschwabe Erzbischof von Freiburg, im vergangenen Februar zog die Bischofskonferenz Zollitsch bei der Wahl eines neuen Vorsitzenden dem Münchner Erzbischof Marx vor. Jetzt muss er nicht nur zum ersten Mal die Vollversammlung leiten, sondern auch den Vertretern der Medien Rede und Antwort stehen, die – auch das ist Routine – dem jeweiligen Vorsitzenden vor der Vesper einige Worte entlocken dürfen, damit sie in den Abendnachrichten zitiert werden.
Zollitsch meistert die neue Aufgabe so, als habe er schon immer dort gestanden, wo er jetzt steht. Die Themen der Bischofskonferenz von Medien über Moscheebau und Paulusjahr bis Messe im „außerordentlichen Ritus“ präzise im Kopf, zu jedem Tagesordnungspunkt ein paar Stichworte, ohne das Ergebnis der Beratungen vorwegzunehmen, Sätze ohne Schnörkel und wolkige Formulierungen – der Mann weiß, was er tut. Gut vorbereitet, konzentriert, kein Wort zu viel: So hatte Zollitsch schon als Personalreferent des Erzbistums Freiburg und damit als Vorgesetzter von mehr als 1500 Geistlichen und Laientheologen von sich reden gemacht. Im Kreis der Bischöfe geht manch einer die Hoffnung, dass dieser Stil auch in den Beratungen der Vollversammlung Einzug hält.
Freilich ist Zollitsch gut beraten, dass er bei der ersten Vollversammlung unter seiner Leitung nicht allzu vieles auf einmal ändert. Neuerungen sind in der Kirche immer verdächtig. So belässt es der neue Vorsitzende auch bei der Tradition, die Herbst-Vollversammlung mit einem ausführlichen Referat zu eröffnen. Der Kölner Kardinal Höffner hatte in den siebziger Jahren diese Tradition begründet, sein Nachfolger Lehmann sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, Wegweisendes über die Lage der Kirche und der Gesellschaft zu sagen. Lange war nicht klar, ob Zollitsch in die Fußtapfen seiner beiden Professsoren-Vorgänger treten würde. Am Montag wird aus der Ahnung Gewissheit: Auch er hält sich an den Comment – und setzte doch einen eigenen Akzent. Denn Zollitsch wird seine „Überlegungen zum missionarischen Dialog der Kirche in unserer Zeit“ nicht nur vorlesen, um danach wie bisher zur Tagesordnung überzugehen: Eine freie Diskussion möchte er anregen, eine Form, mit der Bischöfe nicht sonderlich vertraut sind, jedenfalls nicht im Plenum der Bischofskonferenz.
Doch ehe Fernsehkameras oder auch nur die wenigen anwesenden Korrespondenten und Redakteure dieses Geschehens ansichtig werden könnten, schließen sich hinter den Bischöfen die Türen des Bonifatiussaals im Fuldaer Priesterseminar. Eine helle Glocke hat alle Zaungäste gebieterisch das Zeichen gegeben, den Saal zu verlassen. „Ein bisschen wie Weihnachten, nur umgekehrt“, meint der Sekretär der Bischofskonferenz, der Jesuit Hans Langendörfer. Wobei Bischöfe sich gestört fühlen …