Anfang September strahlte der deutsch-französische Kulturkanal „arte“ ein Porträt des Sängers Max Raabe aus. Es kam mir heute morgen wieder in den Sinn, als ich die Sitzordnung der Deutschen Bischofskonferenz in den Händen hielt.
Nicht, dass es auch nur den Hauch einer Ähnlichkeit zwischen den Berliner „goldenen Zwanzigern“ und der weihrauchgeschwängerten Atmosphäre rings um den Dom zu Fulda gäbe. Auch von dem unnachahmlichen Sound des „Palastorchesters“, mit dem Max Raabe die Konzertsäle der Welt erobert hat, lässt sich auf den ersten Blick kein Bogen schlagen zu den prosaischen Beratungen der Bischofskonferenz, die seit Jahr und Tag im immer gleichen Bonifatiussaal im zweiten Stockwerk des Kreuzgangs des barocken Priesterseminars stattfinden. Und doch gibt eine Verwandtschaft im Geiste zwischen Max Raabe und seinem Palastorchester und Robert Zollitsch und seiner Bischofskonferenz.
Zu den erstaunlichsten Szenen der Fernseh-Dokumentation gehörte die Einstellung, in der Raabe davon erzählte, wie stark die Choreographie seiner Konzerte – lange Zeit unbewusst – durch seine „katholische“ Kindheit geprägt sei: Einzug – Verbeugung – Einnehmen der Plätze – das (heilige) Spiel kann beginnen. Die Urform dieses Arrangements ist ein feierlicher Gottesdienst wie der, mit dem die Bischöfe in Fulda unter Vorsitz des Freiburger Erzbischofs Zollitsch am Dienstag früh ihren ersten Arbeitstag begonnen haben. Wie immer unterlag schon der Einzug einer präzisen Choreographie: Jeder der annähernd siebzig Bischöfe wusste, vor wem und hinter wem er zu gehen hat, ob sein Platz in der Bank oder im Altarraum ist, wann wer zu sitzen und zu stehen hat. Alles folgt präzisen, aufeinander abgestimmten Regeln, die nur um den Preis allgemeiner Verwirrung missachtet werden können.
Der Sitzungssaal mit seiner ungewöhnlichen, nur auf die Sitzordnung der Vollversammlung der Bischofskonferenz ausgelegten Möblierung ist die profane Variante des Fuldaer Doms. Ehe die Beratungen beginnen, stehen die fast durchweg schwarz gekleideten Bischöfe zu zweit oder in Gruppen zusammen und plaudern. Dann nimmt jeder wieder den Platz ein, der ihm gebührt. Sympathie oder Antipathie, Lebensalter, Freundschaften oder gemeinsame Interessen spielen hier so wenig eine Rolle wie beim Gottesdienst – oder beim Palastorchester, wo sich auch nicht jedermann hinsetzen kann, wo es ihm gerade beliebt. Freilich sollen die Bischöfe nicht singen, erst recht nicht musizieren, und der Vorsitzende der Bischofskonferenz ist nicht der Chefdirigent, sondern nur – wie der Mainzer Kardinal als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz oft leidvoll erfahren musste – im Zweifel einer unter vielen.
So ist denn der Vorsitzende auch stets eingerahmt von einem Präsidium, das sich aus den Kardinälen und Erzbischöfen der deutschen Kirche zusammensetzt: In der Mitte des langen Tisches an einer der Seitenwände des Saales darf diesmal der Freiburger Erzbischof Zollitsch Platz nehmen. Als neuer Vorsitzender ist er einige Plätze aufgerückt. Flankiert wird der gebürtige Donauschwabe zur Rechten von dem Kölner Kardinal Meisner, einem Schlesier, zur Linken sitzt der aus dem Ermland stammende Berliner Kardinal Sterzinsky – drei Heimatvertriebene im Zentrum der Bischofskonferenz. Neben Sterzinsky hat erstmals der Vorgänger Zollitschs im Amt des Vorsitzenden Platz genommen, der Mainzer Bischof Lehmann. Im September 1987 war Lehmann aus dem Kreis der einfachen Bischöfe an die Spitze der Konferenz gewählt worden, im Winter trat er nach 21 Jahren vom Amt des Vorsitzenden zurück. Als Kardinal muss er nun nicht wieder ins Glied der einfachen Bischöfe zurücktreten. Ihm gebührt nicht nur weiterhin ein Platz im Präsidium, sondern auch der Vorrang gegenüber den Erzbischöfen von Hamburg und Paderborn, Bamberg und München, die sich rechts und links anschließen. Allerdings ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Mann rechts außen einige Plätze aufrücken wird: In das Amt des Vorsitzenden und damit in die Mitte hatte die Vollversammlung Reinhard Marx im vergangenen Februar nicht wählen wollen. Doch da mit dem Stuhl des Erzbischofs von München und Freising seit alters her die Kardinalswürde verbunden ist, dürfte Marx, derzeit dem Weihealter nach der jüngste der Erzbischöfe, wohl schon im kommenden Jahr den Platz rechts außen verlassen und den Bamberger Erzbischof Schick, seinen derzeitigen Nachbarn zur Linken, als Sitznachbarn zur Rechten begrüßen.
Überhaupt: das Weihealter. Es ist gewissermaßen der geheime Code, der jedem Mitglied der Bischofskonferenz innerhalb seiner Gruppe den Platz anweist. Die „dienst“jüngsten Weihbischöfe sitzen in der hintersten Reihe des Plenums auf den äußersten Plätzen, die „dienst“ältesten Weihbischöfe weit innen in der mittleren Reihe. Den innersten Ring des Plenums vis-à-vis des Präsidiums bilden die derzeit 17 „Ordinarien“ – und wie nicht anders denkbar, streng nach „Präzedenz“: auf den Flügeln die neuen Bischöfe von Speyer und Limburg, Wiesemann und Tebartz-van Elst, in der Mitte und damit Aug‘ in Aug‘ mit Zollitsch, Meisner und Sterzinsky, der Erfurter Bischof Joachim Wanke, der Vorsitzende der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz, und der Bischof von Osnabrück, Franz-Josef Bode, der Vorsitzende der Jugendkommission.
Wie in einem Orchester hat sich hier niemand seinen Nachbarn ausgesucht. Und wie in einem (guten) Orchester sind auch die Temperamente der Mitglieder der Bischofskonferenz bei aller äußeren Uniformität recht verschieden. 21 Jahre hat der Mainzer Bischof Lehmann versucht, seinen „Mitbrüdern“ möglichst harmonische Akkorde zu entlocken. Das ging nicht immer gut. Die Misstöne im Streit über die Schwangerenkonfliktberatung sind den älteren Mitgliedern der Bischofskonferenz wie ein schlechtes Stück „neuer Musik“ noch immer schmerzhaft im Ohr. In diese ganz und gar nicht „goldenen Neunziger“ wünscht sich niemand zurück, der hier Platz genommen hat. Man darf gespannt sein, welchen „Sound“ der neue Vorsitzende seinem Palastorchester, pardon, der Bischofskonferenz, entlockt.