Das Verhältnis von Kirche und Medien ist noch nie frei von Spannungen gewesen. Das gilt nicht nur für die Beziehung von Kirche und der „freien“ Presse, sondern auch für das Engagement der Kirche auf dem Gebiet der Medien selbst. Insbesondere die deutsche Kirche hat auf diesem Feld in den zurückliegenden Jahrzehnten nicht viel Fortune bewiesen. Die Zeitung „Publik“, die seit 1968 die Hoffnungen der „Generation Konzil“ auf einen frischen Wind in der Kirche symbolisierte, ging schon 1971 wieder ein. Die Anzeigenerlöse der von der Bischofskonferenz finanzierten Wochenzeitung waren nicht der Rede wert, die Bischöfe über die redaktionelle Ausrichtung der Wochenzeitung uneins. Nach der Einstellung von „Publik“ durch die Bischofskonferenz diagnostizierte der Konzilstheologe Karl Rahner SJ einen „geheimen Willen zu einem Marsch des deutschen Katholizismus ins Getto“. Karl Lehmann, damals 36 Jahre alt und Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie in Freiburg i.Br., hat Rahner 1973 vehement widersprochen: „Die mühsam gewonnene Differenzierung und Pluralisierung im deutschen Katholizismus der beginnenden sechziger Jahre wird seit einiger Zeit durch Kooperationsunwilligkeit, Dialogverweigerung und manchmal auch durch Gruppenideologien gefährdet oder gar zerstört; deshalb gibt es die Gefahr vieler unzeitgemäßer und zutiefst unkatholischer Gettos.“
35 Jahre später hat diese Diagnose nichts an Aktualität verloren. Doch am Mittwoch morgen drückte derselbe Lehmann sein Anliegen der Zeit und dem Ort entsprechend positiv aus. Dem Kardinal war es zugefallen, im allmorgendlichen Gottesdienst vor dem Beginn der Beratungen der Bischofskonferenz im Dom zu Fulda die Predigt zu halten. Dem Thema des „Studientags“ über Kirche und Medien entsprechend predigte er über eine reichlich unbekannte Stelle aus dem Brief des Apostels Paulus an die Kolosser (4, 2-6): „Seid weise im Umgang mit den Außenstehenden, nutzt die Zeit! Eure Worte seien immer freundlich, doch mit Salz gewürzt; denn ihr müsst jedem in der rechten Weise antworten können.“
Wem unter den Bischöfen schon diese Wegweisung nicht genügte, der konnte es in der Predigt noch deutlicher hören: „Jedenfalls darf das Zeugnis des Wortes weder aufdringlich werbend noch rechthaberisch sein, freilich auch nicht feige und furchtsam. Die zeugnishafte Rede des Christen muss Qualität haben. Beredsamkeit und Argumentationsgeschick sind durchaus erwünscht. Sie sollen einen gewissen Anreiz, ja Charme geben (vgl. dasselbe Wort für Gnade = charis). Die meisten übersetzen: in Anmut, anmutig, gewinnend,“ sagte der Kardinal, der in der kommenden Woche auf 25 Jahre im Amt des Bischofs von Mainz zurückblickt.
Ob seine Worte über Qualität und Charme Gehör finden, wird sich nicht schon an diesem Mittwoch entscheiden. Heute wollen die Bischöfe nur über ihr künftiges Engagement auf dem Feld der Medien „beraten“. Doch muss man kein Hellseher sein, um zu erahnen, was auf dem Spiel steht. Seit knapp zwei Jahren geistern Pläne durch die deutsche Kirche, ein eigenes Fernsehen zu gründen. Zum Sprachrohr dieser Überlegungen hat sich der Rottenburger Bischof Fürst gemacht (oder auch machen lassen) – aus mehr oder weniger durchsichtigen Gründen. Als Vorsitzendem der Publizistischen Kommission wäre Fürst der natürliche Verantwortliche für dieses Projekt. Und die Firmen der in München ansässigen Tellux-Gruppe, an der nicht Fürsts Bistum Rottenburg-Stuttgart beteiligt ist, hätten für ihre Film- und Fernsehproduktionen ein neues Betätigungsfeld.
Spätestens an dieser Stelle kommt aber der von der Bischofskonferenz seit Jahrzehnten hochsubventionierte „Rheinische Merkur“ ins Spiel. Denn auch für „merkur.tv“, eine gemeinsame Tochter der Tellux GmbH und der Verlagsgruppe Rheinischer Merkur, wäre ein neuer Fernsehkanal nicht ohne Charme. Schon heute sieht man sich in Bonn für Entwicklung und Produktion „hochwertiger Primetime-Fernsehformate“ (Eigenwerbung) bestens gerüstet. Und von Bonn nach Köln ist es schließlich nur ein Katzensprung. Dort ist zwar der langjährige Mediendirektor des Erzbistums Köln Erwin Müller-Ruckwitt vor kurzem in den Ruhestand getreten (Festredner bei der Verabschiedung: Michael Rutz, Chefredakteur des Rheinischen Merkur). Aber an neuen Ideen dürfte es Müller-Ruckwitt, in dessen Ägide das „Dom-Radio“ ins Leben gerufen wurde, nicht mangeln. Zwar sind die Kölner Prälaten bis hin zu Kardinal Meisner vor dem Plan zurückgeschreckt, das Dom-Radio („Ihr guter Draht nach oben“) durch ein „Dom-Fernsehen“ zu ergänzen. Doch unter den deutschen Bischöfen könnten sich ja andere Geldgeber für einen Fernsehsender finden …
Doch wer derzeit mit einem eigenen Fernsehkanal liebäugelt, der hat wohl nicht nur das mächtige Erzbistum Köln nicht auf seiner Seite. Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Zollitsch, hat mehrfach seine Skepsis gegenüber allzu ambitionierten, weil potentiell kostspieligen Fernsehplänen erkennen lassen. Auch Kardinal Lehmann, der das „Publik“-Debakel vor 35 Jahren unmittelbar miterlebte, hegt Zweifel, ob die Kirche gut beraten ist, selbst als Medienunternehmer aufzutreten. Lehmann, Zollitsch und manch anderen Bischöfen wird freilich nachgesagt, sie erlägen den Einflüsterungen der Intendanten in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, die noch mehr Konkurrenz fürchteten wie der Teufel das Weihwasser …
Womit wir wieder in der Kirche und bei der Predigt von Kardinal Lehmann wären: „Es gibt kein dringlicheres Wort als das Evangelium, da es in dieser Zeit von niemandem überholt werden kann. Also müssen wir auch unseren Ort mit unseren Möglichkeiten ausschöpfen.“ Ort? Möglichkeiten? Wenn nicht alles täuscht, mündeten die Beratungen der Bischöfe, die wie immer hinter verschlossenen Türen stattfanden, wohl kaum in der Errichtung eines „schwarzen Kanals“ in Obhut der Bischofskonferenz münden. Kirchliche Fachstellen wie die Katholische Fernseharbeit in Frankfurt sowie das Kölner Domradio oder seit jüngstem katholisch1.tv aus Augsburg machen mit beträchtlichem Erfolg vor, dass das Zukunft der medialen Präsenz der Kirche im Zeitalter des Internets nicht im Fernsehen liegt, sondern im Breitband-Internet mit seinen schier unendlichen Möglichkeiten, bewegte Bilder, Text und Ton zugleich an nahezu jeder beliebigen Stelle zu produzieren und zu empfangen. Der Apostel Paulus riet vor fast zweitausend Jahren: „Seid weise im Umgang mit den Außenstehenden, nutzt die Zeit! Eure Worte seien immer freundlich, doch mit Salz gewürzt; denn ihr müsst jedem in der rechten Weise antworten können.“