Was in vielen evangelischen Landeskirchen möglich ist, gilt in der katholischen Kirche als ausgeschlossen: dass gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften einen kirchlichen Segen erhalten. Was nicht ausschließt, dass Seelsorger immer wieder mit einem solchen Ansinnen konfrontiert werden – und dem Wunsch zumindest öffentlich nicht willfahren. Anders im mittelhessischen Wetzlar. Während einer öffentlichen Zeremonie in der von beiden Konfessionen benutzen Domkirche segnete der katholische Pfarrer Peter Kollas am 15. August zwei Männer, die unmittelbar vorher ihre Lebenspartnerschaft hatten eintragen lassen. Ein ebenfalls anwesender evangelischer Geistlichen wirkte an der Segenshandlung, die dem katholischen Trauungsritus nachempfunden war, nicht mit – das Presbyterium der evangelischen Domgemeinde billigt Segnungen dieser Art nicht.
Der Bischof von Limburg, Franz-Peter Tebartz-van Elst, enthob den Wetzlarer Pfarrer daraufhin des Amtes des (ehrenamtlichen) Bezirksdekans, beließ ihn jedoch in allen anderen Ämtern. Der Pfarrer ließ sich mit den Worten zitieren, entgegen seiner Überzeugung („Darf ich einem Menschen einen Segen verweigern“) werde er homosexuelle Paare künftig nicht mehr segnen. So weit, so schlecht?
Während der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz, die in der vergangenen Woche in Fulda stattfand, habe ich mit dem Erfurter Bischof Joachim Wanke über dieses Thema gesprochen. Unter den Bischöfen ist Wanke nicht irgendwer: Der gebürtige Schlesier ist nicht nur der mittlerweile dienstälteste Ortsbischof, er steht auch seit fast zehn Jahren an der Spitze der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz und hat von dieser Stelle aus unter anderem die Rückbesinnung auf das Thema „Missionarisch Kirche sein“ maßgeblich befördert.
Das Gespräch mit Bischof Wanke erschien in Montag-Ausgabe der FAZ in leicht gekürzter Form. In der etwas längeren Form möchte ich es an dieser Stelle dokumentieren.
Bischof Wanke, Priester segnen Rosenkränze, Motorräder und Feuerwehrautos, selbst Waffen. Was ist der Sinn einer solchen Handlung?
Maschinen könnn in der Tat kirchlich gesegnet werden, aber nicht Maschinengewehre. Das ist zumindest in den Ritualbüchern nicht vorgesehen. Jeder Segen gilt vornehmlich Personen. Wenn Gegenstände gesegnet werden, dann sind ebenfalls die Personen im Blick, die diese Gegenstände gebrauchen. Der Segen soll alles Tun, Denken und Planen des Menschen auf Gott und die Erfüllung seines heiligen Willens hin ausrichten. Im „Vater unser“ beten alle Christen: Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Und Gottes Wille ist unsere Heiligung, anders ausgedrückt: unsere volle „Menschwerdung“, frei von Sünde und Leid.
Segnungen gehören in die Rubrik der „Sakramentalien“. Was ist der Unterschied zwischen Sakramentalien und eine Sakrament?
Sakramentalien bewegen sich im Vorhof der Sakramente. Die Sakramente, die spätestens seit dem Konzil von Trient im 16. Jahrhundert in ihrer Sieben-Zahl festgelegt sind, bleiben die entscheidenden Heilszeichen, die dank der Gnade Gottes bewirken, was sie anzeigen. Das hat nichts mit Magie zu tun, sondern ist etwa einer Versöhnung zwischen verfeindeten Menschen vergleichbar, die von der einen Seite gewährt und von der anderen angenommen werden muss, damit ein Handschlag oder eine Umarmung als Zeichen der Versöhnung authentisch ist.
Sakramentalien sind so etwas wie die „Alltagsmünzen“ der sakramentalen Zeichen. Wie viele es gibt, ist von der Kirche nicht festgelegt, so dass sie im Laufe der Frömmigkeitsgeschichte unterschiedlichste Gestalt angenommen haben und auch heute annehmen können. Sie wollen das, was in den Sakramenten grundlegend geschenkt wird, in den Alltag der Menschen hinein verlängern. Für Christen sind Sakramentalien Erinnerung an das schon von Gott Geschenkte. Für ungetaufte Menschen können sie Hinweisschilder hin zu dem sein, was Gott noch schenken will. Das macht sie übrigens als „missionarische Instrumente“ interessant.
Die katholische Kirche verweigert zwei Menschen, die in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung leben, nicht nur das Sakrament der Ehe, sondern auch die „Sakramentalie“ Segen?
Der einzelne homosexuelle Mensch kann durchaus gesegnet werden, nicht aber eine homosexuelle Verbindung. Das hängt mit der Überzeugung der Kirche zusammen, homosexuelle Praxis sei – wie es in der Sprache der Ethik heißt – eine „objektiv ungeordnete Handlung“. Was die Kirche aber „nicht gut“ heißt, kann sie nicht durch einen Segen gutheißen. Diese Einstellung darf nicht als Diffamierung von Menschen verstanden werden, die homosexuell veranlagt sind. Auch der homosexuell veranlagte Mensch ist zum Heil berufen und muss seinen ganz persönlichen Weg in der Nachfolge Christi gehen. Dabei will ihm die Kirche seelsorglich beistehen.
Im Bistum Limburg hat der Bischof jüngst einen Priester gemaßregelt, der in einer kirchlichen Zeremonie zwei Männer gesegnet hatte, die zuvor ihre Lebenspartnerschaft hatten standesamtlich eintragen lassen. Bis heute ist der Protest gegen das Vorgehen des Bischofs auch in der katholischen Kirche viel heftiger als die Missbilligung des Priesters. Offenbar wird die Lehre der Kirche bis weit in die eigenen Reihen hinein nicht mehr verstanden.
Ich bedaure außerordentlich, dass durch solche Vorkommnisse die Möglichkeit von Segnungen generell in Misskredit gerät. Was als Lebenshilfe für Menschen gedacht und als Zuspruch von Gott her für unseren immer angefochtenen Glauben gemeint ist, wird hier für kirchen- und gesellschaftspolitische Ziele benutzt und missbraucht. Schon das allein macht eine Mitwirkung der Kirche bei einer solchen Segnung undenkbar.
Doch darüber hinaus ist in der Tat in neuerer Zeit die gesellschaftliche Überzeugung verbreitet, homosexuelle Praxis und homosexuelle Verbindungen als eine Art Grundrecht zu verstehen, das gleichsam erkämpft werden muss. Ich bin der Überzeugung, dass die kirchliche Sicht von Homosexualität, die zwischen objektiver Veranlagung und der frei gewollten Ausübung oder Nichtausübung dieser Veranlagung unterscheidet, der Würde des homosexuellen Menschen mehr entspricht als eine Sicht, die den Menschen auf seine Geschlechtlichkeit und die nahezu zwanghafte Notwendigkeit ihrer Betätigung festlegt. Das ist letztlich demütigend.
Auch wenn das heute wenig verstanden wird: Die Kirche appelliert auch beim homosexuellen Menschen, wenn sie ihn zu geschlechtlicher Abstinenz ermutigt, an jene grundlegende Freiheit, die die menschliche Person als solche charakterisiert und die ihr ihre besondere Würde verleiht. Im übrigen weiß die Kirche aus ihrer langen seelsorglichen Erfahrung, dass jede Heiligung des Lebens gemäß dem Gebot des Herrn immer ein langer Weg ist. Auf ihm gibt es Höhen und Tiefen. Und es gibt Vergebung und Neuanfang. Das gilt auch für Verheiratete und für Zölibatäre.
Die katholische Kirche beruft sich außer auf das Naturrecht („homosexuelle Handlungen nicht in Ordnung“) auf das Zeugnis der Bibel: Im Alten wie im Neuen Testament gälten homosexuelle Handlungen als „schlimme Abirrung“. In der evangelischen Kirche, die sich auf dieselbe Bibel beruft, ist die Segnung eingetragener Lebenspartnerschaften nicht per se ausgeschlossen. Welche Kirche steht in diesem Punkt nicht auf dem Boden der Schrift?
Bei der Ablehnung homosexueller Praxis kann man sich nicht allein auf isolierte Schriftworte berufen. Für mich ergibt sich die biblische Begründung der Ablehnung homosexueller Praxis (wohlgemerkt: nicht der Veranlagung) aus dem Menschenbild der Bibel insgesamt. Das fängt an bei den Aussagen der Schöpfungsgeschichte über die Gottebenbildlichkeit des Menschen (die Gottes lebensspendende Schöpferkraft mit einschließt), bezieht die Aussagen des Apostels Paulus ein und achtet vor allem auch auf das durchgängige Zeugnis der kirchlichen Tradition, das für die Auslegeung der Bibel immer von Bedeutung ist. Man kann nicht einfach alles, was in der Bibel sperrig ist, als zeitgebunden erklären und damit als nicht mehr maßgeblich. Ich fürchte, da könnten künftig noch andere sittliche Gebote als überholt erklärt werden.
Die Lehre der katholischen Kirche über Homosexualität ist nicht unveränderlich. Bis vor wenigen Jahrzehnten galt eine homosexuelle Veranlagung als Sünde. 1986 veröffentlichte die von Kardinal Ratzinger geleitete vatikanische Kongregation für die Glaubenslehre ein Dokument, in dem von dieser Vorstellung Abstand genommen wurde. Woher der Sinneswandel?
Ohne Zweifel durch vertiefte Einsicht in das, was in jüngerer Zeit Anthropologie und Medizin an Erkenntnissen gewonnen haben. Dazu bekennt sich das genannte Schreiben der Glaubenskongregation ausdrücklich. Die Zeitgebundenheit auch kirchlicher Lehre, die unterhalb der unverbrüchlich geltenden (definitiven) Verkündigung der Kirche anzusiedeln ist, ist eine Selbstverständlichkeit.
Im „Katechismus der Katholischen Kirche“ heißt es: „Eine nicht geringe Anzahl von Männern und Frauen ist homosexuell veranlagt. Sie haben diese Veranlagung nicht selbst gewählt; für die meisten von ihnen stellt sie eine Prüfung dar. Ihnen ist mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgendeiner Weise zurückzusetzen.“ Was soll das heißen?
Seelsorge an und mit homosexuellen Menschen darf kein Tabu sein. Aber sie darf sich nicht auf die Problematik der geschlechtlichen Praxis allein fixieren. Auch auf anderen sittlichen Bewährungsfeldern sind diese Menschen wie alle übrigen gefordert. Dazu brauchen sie Hilfen, persönliche und unter Umständen auch gemeinschaftliche Begleitung. Dazu brauchen sie auch den Segen Gottes. Dass homosexuelle Veranlagung oftmals mit besonderen Begabungen einhergeht, die auch für das kirchliche Leben ein Gewinn sein können, ist kein Geheimnis.
Zum anderen halte ich es für sehr wichtig, die seelsorgliche Zuwendung zu homosexuellen Menschen nicht zu sehr von der allgemeinen Seelsorge zu isolieren. Seelsorge zeichnet Empathie und Liebe zu allen Menschen aus, und zwar zu den Menschen, nicht wie sie sein sollten, sondern wie sie sind. Mitleid allein wäre auf diesem speziellen Feld der Seelsorge ein schlechter Ratgeber. Gott hält für alle Menschen Zumutungen bereit. Aber er lässt keinen mit sich und seinen schwachen Kräften allein. Alle sollen bei Gott gut ankommen. Und wenn es auch humpelnd und mit Wunden und Narben bedeckt wäre. Die Solidarisierung aller in der Gemeinde im Wissen um ihre je eigene Bedürftigkeit vor Gott ist eine gute Voraussetzung für die Seelsorge.