Die Adresse: 515 Malcolm X Boulevard. Im Schomburg Center der New York Public Library wird die Tradition der schwarzen Bürgerrechtsbewegung gepflegt. Doch diese passivische Formulierung ist zu museal, sie trifft die Sache nicht, obwohl wir in einer Bibliothek sind. Hier lebt diese Tradition, sie schwirrt und brummt, sie ist eine vitale, ansteckende Stimmung. Erinnerungen müssen nicht künstlich konserviert werden, weil noch so viele Erwartungen an ihnen hängen. Im großen Vortragssaal ist MSNBC eingestellt. Der Ton ist abgedreht. Immer wenn das blaue Porträtfoto des Präsidenten mit blauem Häkchen erscheint, geht eine Welle des Wohlgefallens durch den Saal.
Auf der Bühne ziehen schwarze Intellektuelle und Aktivisten eine kritische Bilanz der ersten Amtsperiode des ersten schwarzen Präsidenten. Wird Barack Obama nach seiner Wiederwahl weniger taktisch agieren, wird er sich noch als der überzeugte Progressive entpuppen, als der er von seinen Feinden hingestellt wird? Jeder progressive Präsident, lautet eine These, hat Antreiber nötig, die sichtbaren Druck auf ihn ausüben. Franklin Roosevelt habe solche fordernden Freunde gebraucht, um zu tun, was er tun wollte. Jemand ruft dazwischen: „Was Eleanor tun wollte.“ Gewaltiges Gelächter. Eine Empfindlichkeit für Genderfragen, die sich in ironische Souveränität übersetzen lässt, ist ein Charakteristikum des hier versammelten Milieus.
Zum Abschluss der Podiumsdiskussion wird ein fabelhaftes Video des Komikers Chris Rock aus Brooklyn vorgeführt: ein Aufruf an die Weißen, Obama zu wählen, wenn sie einen verlässlichen Weißen im Weißen Haus haben wollen. Die „kulturelle“ Beweisführung geht von Lebensstilvignetten aus – Obama spielt Golf und geht zum Bowling -, berührt aber auch heikle Punkte der Familiensoziologie: Romney ist der Schwarze unter den Kandidaten – er hat viel mehr Kinder! Obama ist für die Schwulenehe – viele schwarze Männer seien aber noch nicht einmal für die heterosexuelle Ehe… Der Moderator möchte über die Gefahr der Verdinglichung in diesem Spiel mit Klischees diskutieren lassen, aber es herrscht Einigkeit darüber, dass Chris Rocks Pointen nach zweieinhalb Jahren eines Wahlkampfs der Projektionen, Ausflüchte und Euphemismen einfach nur wohltuend sind.
Die aus Deutschland gebürtige Modejournalistin und Imagetheoretikerin Michaela Angela Davis, nicht mit Angela Davis zu verwechseln trotz identischer Frisur, spricht ein beschwörendes Schlusswort: Sie wolle Michelle und Barack Obama weiter im Weißen Haus sehen, ein Spektakel der ehelichen Liebe, wie es das dort noch nicht gegeben habe. Die Clintons? Ein Bund zur Machtgewinnung. Die Reagans hätten einander geliebt. „Aber hatten sie Sex im Weißen Haus?“ Jubel. (pba.)