Die Zahl der Offenen Briefe an den neuen Präsidenten Barack Obama dürfte in die Tausende gehen: Fast alle Welt hat einen Ratschlag parat für den 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Jetzt hat Barack Obama selbst einen Offenen Brief geschrieben – an seine beiden Töchter Malia und Sasha, die zehn und sieben Jahre alt sind. Der Brief begleitet die Titelgeschichte des kostenlosen Wochenmagazins „Parade“, das an Samstagen und Sonntagen mehr als 400 amerikanischen Tageszeitungen beigelegt wird. „Parade“ ist mit einer Auflage von mehr als 32 Millionen Exemplaren und gut 71 Millionen Lesern das am weitesten verbreitete und meistgelesene Magazin in Amerika.
Das „Multiplikationspotential“ eines Magazins wie „Parade“ ist nicht zu unterschätzen, und deshalb haben Barack und Michelle Obama – gewiss gemeinsam – entschieden, einer Bitte von „Parade“ zu entsprechen: Der künftige Präsident, der ja auch „ein hingebungsvoller Familienmensch“ sei, möge kurz vor seiner Amtseinführung „persönlich werden und uns sagen, was er sich für seine Kinder wünscht“. Also schrieb Obama den Offenen Brief an Malia und Sasha, der vorab auf der Website von „Parade“ zu lesen ist und bis zur Amtseinführung am 20. Januar von Millionen Menschen gelesen werden wird.
Es ist nicht nur ein Brief an die Töchter, sondern an alle Kinder in Amerika und recht eigentlich – wie es eben die Art ist bei großen Reden und Schriften von „Führern der freien Welt“ – an alle Menschenkinder. Obama konzediert, dass die vielen Reisen der vergangenen beiden Jahre während des schier unendlich langen Wahlkampfes und zumal das viele „junk food“ unterwegs ein großer Spaß gewesen sein mögen. Doch es sei für sie beide und auch für Mutter Michelle „nicht immer leicht gewesen“. Und selbst das bald einzulösende Versprechen, ein Haustier ins Weiße Haus mitzunehmen, könne „nicht all die Zeit wiederbringen, die wir getrennt waren“.
Übrigens scheint die Entscheidung, welcher Hunderasse der künftige „First Dog“ angehören wird, unmittelbar bevorzustehen: entweder wird es ein „Portuguese Water Dog“ (links) sein oder ein „Labradoodle“, eine Kreuzung aus einem Pudel und einem Labrador.
In jedem Fall muss der „First Dog“ hypoallergen sein, weil Malia Allergikerin ist. Übrigens hat eine repräsentative Umfrage ergeben, dass die Amerikaner im Verhältnis zwei zu eins einen gekreuzten „First Dog“ im Weißen Haus sehen wollen statt einen reinrassigen Hund. Obama selbst hat diese Präferenz schon lange geäußert im Zusammenhang mit dem Wunsch, einen Hund aus einem Tierheim ins Weiße Haus zu holen statt das bald berühmteste Haustier der Nation bei einem Züchter zu kaufen. Die Hunde in Tierheimen seien schließlich meist „Kreuzungen wie auch ich es bin“, sagte Obama, und das, was man im Deutschen eine Promenadenmischung zu nennen pflegt, würde deshalb gut zu ihm und seiner Familie passen. Wenn sechs von zehn Amerikanern ein Haustier besitzen und wenn der „First Dog“ wie sein Herrchen im Weißen Haus den amerikanischen Traum verkörpern – ein Mischling aus einfachsten Verhältnissen kann es nach ganz oben schaffen -, dann darf man sicher sein, dass bei der Entscheidung Obamas für ein Haustier und bei dessen Auswahl politisch-philosophische Erwägungen eine ebenso große Rolle gespielt haben wie praktische.
Freilich handelt der Brief Obamas an seine Töchter nicht in erster Linie vom verwirklichten amerikanischen Traum eines Hundes im Weißen Haus. Vielmehr erklärt Obama, was er für seine beiden Töchter und für alle Kinder in Amerika erhofft und warum er seine Familie überhaupt „auf dieses Abenteuer mitgenommen“ habe. Tatsächlich ist der Offene Brief an Malia und Sasha (englischer Wortlaut siehe unten) so etwas wie eine vorweggenommene Inaugurationsrede für Kinder. Jedes Kind solle die Möglichkeit haben, „eine Schule zu besuchen, die seinem Potential gerecht wird“, es solle ein Hochschulstudium beginnen können „auch wenn die Eltern nicht reich sind“, es solle dann einen guten Job finden, späterhin Zeit für die eigene Familie haben und „in Würde in den Ruhestand treten“ können. Es ist eine weitere Version des amerikanischen Traums, wonach es eine Welt zu errichten gelte, „in der Eure Träume an keine Grenzen stoßen und keine Errungenschaften außer Reichweite bleiben“. Amerika, so erinnert Obama an einen Lehrsatz seiner Großmutter aus Kansas, sei „nicht groß, weil es perfekt ist, sondern weil es immer besser gemacht werden kann“.
In ersten Reaktionen wurde der Offene Brief Obamas bald als großes Manifest eines großen Mannes gefeiert, andere fanden den „Saccharin-Stil“ schwer verdaulich.
Jedenfalls hat sich auch die amerikanische Post USPS nicht lumpen lassen und ebenfalls einen Obama-Brief herausgebracht. In dem steht aber nichts drin. Es ist nur der Umschlag eines Ersttagsbriefes mit dem Stempel vom Wahltag. Es ist ein Sammelstück für Philatelisten und ein Andenken an einen historischen Tag. Für acht Dollar ist der Brief mit einer Aufnahme Obamas bei seiner Chicagoer Rede in der Wahlnacht (Fotografie von Jewel Samad für AFP/Getty Images) bei jedem Postamt zu haben.
(Fotohinweis: Parade, FoxNews, Marie Kopcsik)
Und hier der Wortlaut des Briefes an die „First Daughters“:
Dear Malia and Sasha,
I know that you’ve both had a lot of fun these last two years on the campaign trail, going to picnics and parades and state fairs, eating all sorts of junk food your mother and I probably shouldn’t have let you have. But I also know that it hasn’t always been easy for you and Mom, and that as excited as you both are about that new puppy, it doesn’t make up for all the time we’ve been apart. I know how much I’ve missed these past two years, and today I want to tell you a little more about why I decided to take our family on this journey.
When I was a young man, I thought life was all about me – about how I’d make my way in the world, become successful, and get the things I want. But then the two of you came into my world with all your curiosity and mischief and those smiles that never fail to fill my heart and light up my day. And suddenly, all my big plans for myself didn’t seem so important anymore. I soon found that the greatest joy in my life was the joy I saw in yours. And I realized that my own life wouldn’t count for much unless I was able to ensure that you had every opportunity for happiness and fulfillment in yours. In the end, girls, that’s why I ran for President: because of what I want for you and for every child in this nation.
I want all our children to go to schools worthy of their potential – schools that challenge them, inspire them, and instill in them a sense of wonder about the world around them. I want them to have the chance to go to college – even if their parents aren’t rich. And I want them to get good jobs: jobs that pay well and give them benefits like health care, jobs that let them spend time with their own kids and retire with dignity.
I want us to push the boundaries of discovery so that you’ll live to see new technologies and inventions that improve our lives and make our planet cleaner and safer. And I want us to push our own human boundaries to reach beyond the divides of race and region, gender and religion that keep us from seeing the best in each other.
Sometimes we have to send our young men and women into war and other dangerous situations to protect our country – but when we do, I want to make sure that it is only for a very good reason, that we try our best to settle our differences with others peacefully, and that we do everything possible to keep our servicemen and women safe. And I want every child to understand that the blessings these brave Americans fight for are not free – that with the great privilege of being a citizen of this nation comes great responsibility.
That was the lesson your grandmother tried to teach me when I was your age, reading me the opening lines of the Declaration of Independence and telling me about the men and women who marched for equality because they believed those words put to paper two centuries ago should mean something.
She helped me understand that America is great not because it is perfect but because it can always be made better – and that the unfinished work of perfecting our union falls to each of us. It’s a charge we pass on to our children, coming closer with each new generation to what we know America should be.
I hope both of you will take up that work, righting the wrongs that you see and working to give others the chances you’ve had. Not just because you have an obligation to give something back to this country that has given our family so much -although you do have that obligation. But because you have an obligation to yourself. Because it is only when you hitch your wagon to something larger than yourself that you will realize your true potential.
These are the things I want for you – to grow up in a world with no limits on your dreams and no achievements beyond your reach, and to grow into compassionate, committed women who will help build that world. And I want every child to have the same chances to learn and dream and grow and thrive that you girls have. That’s why I’ve taken our family on this great adventure.
I am so proud of both of you. I love you more than you can ever know. And I am grateful every day for your patience, poise, grace, and humor as we prepare to start our new life together in the White House.
Love, Dad