Washington Watch

Geschichte schreiben am zweiten Tag

Präsident Barack Obama hat am zweiten vollen Arbeitstag seiner Amtszeit Geschichte geschrieben: Er hat den Krieg gegen den Terrorismus für beendet erklärt. So jedenfalls wird es in mehreren amerikanischen Medienkommentaren vom Donnerstag und Freitag dargestellt, am klarsten wohl in der Tageszeitung „Washington Post“ in einer Analyse von Dana Priest mit dem Titel „Bushs ,Krieg‘ gegen den Terror kommt zu einem abrupten Ende“.
Für diese Sicht spricht manches. Mit den drei Dekreten vom 22. Januar im Weißen Haus hat Obama die Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo Bay binnen eines Jahres verfügt; er hat „harsche“ Verhörmethoden wie das simulierte Ertränken (Waterboarding) als Foltermethode eingestuft und mithin untersagt; und er hat schließlich die seit gut zwei Jahren wohl ohnedies nicht mehr bestehenden Geheimgefängnisse des Auslandsgeheimdienstes CIA offiziell aufgelöst. Damit wurden mit einem dreifachen Federstrich wesentliche Instrumente des „Krieges gegen den Terrorismus“ ausgelöscht. Und es wurden mit den gleichen Federstrichen jene Dekrete zum Führen dieses niemals offiziell erklärten Krieges außer Kraft gesetzt, die Obamas Amtsvorgänger George W. Bush an gleicher Stelle ebenfalls per Federstrich erlassen hatte.

Zwar hat Obama in seiner Rede zur Amtseinführung ausdrücklich davon gesprochen, dass sich „unsere Nation im Krieg gegen ein weitreichendes Netzwerk der Gewalt und des Hasses befindet“. Und er hat jenen zugerufen, „die ihre Ziele verfolgen, indem sie Terror schüren und Unschuldige töten“: „Ihr werdet nicht länger durchhalten als wir, und wir werden euch besiegen.“ Doch sowohl in seiner „Inaugural Address“ vom 20. Januar wie bei der Unterzeichnung der Dekrete im Weißen Haus und schließlich später am Donnerstagnachmittag beim Antrittsbesuch im State Department, wo die neue Hausherrin Hillary Clinton soeben triumphal von den Mitarbeitern empfangen worden war, bekräftigte Obama, dass die Nation bei diesem Kampf „nicht zwischen Sicherheit und unseren Idealen“ wählen müsse.

Es ist, als sei mit dem 22. Januar 2009 jener Ausnahmezustand zu einem Ende gekommen, der dem Land mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auferlegt worden war. Viele Umfragen legen nahe, dass Obama damit dem Wunsch der Mehrheit der Amerikaner entsprochen hat.

Doch die Verkündung des Endes des Ausnahmezustands kam gerade nicht abrupt, sondern sie bringt einen Prozess zu einem vorläufigen Abschluss. Schon Bush selbst hat vor gut zwei Jahren den Wunsch ausgesprochen, Guantánamo zu schließen. Die frühere Außenministerin Condoleezza Rice hat das Wort geprägt, die Vereinigten Staaten wollten „nicht der Gefängniswärter der Welt“ sein. Doch man wisse nicht, wohin mit den Gefangenen. Wohin mit den gut 60 nicht mehr als gefährlich eingestuften Gefangenen, die niemand haben will und die in ihren Heimatländern übel behandelt werden könnten? Wohin mit den etwa 80 gefährlichen bis sehr gefährlichen Gefangenen, die insgesamt angeklagt werden sollen – bisher liegen Anklagen gegen 21 Verdächtige vor? Wohin schließlich mit den restlichen gut 100 Inhaftierten, die zwar keine Drahtzieher und Chefplaner waren und deshalb trotz jahrelanger Haft nicht angeklagt wurden, aber noch immer als gefährlich gelten?

Seit 2002 wurden mehr als 525 Gefangene aus Guantánamo in ihre Heimatländer oder in Drittstaaten geschickt, die sich zu deren Aufnahme bereitgefunden hatten. Fünf Häftlinge starben während ihrer Gefangenschaft – vier von ihnen erhängten sich, ein weiterer erlag einem Krebsleiden. Nach Angaben des Pentagons sind bisher 61 ehemalige Guantánamo-Gefangene nach ihrer Freilassung zum Terrorismus zurückgekehrt. In 18 Fällen gebe es geheimdienstliche Beweise, dass die Gefangenen den „Terrorkampf“ wieder aufgenommen haben, in 43 Fällen liege ein starker Verdacht vor, sagte Pentagon-Sprecher Geoff Morell.

Trotz aller Bemühungen, das im Dezember 2001 eröffnete Gefangenenlager mit dem Einsatz von hunderten von Millionen Dollar zu einem Gefängnis nach dem Standard westlicher Demokratien auszubauen, war das Lager von Beginn an eine „verlorene Sache“. Die ersten Fotos der in Käfigen untergebrachten Gefangenen, in orangefarbene Häflingskleidung gesteckt, gefesselt und mit verbundenen Augen auf dem Boden hockend, haben sich unauslöschlich ins kollektive Gedächtnis der Zeitgeschichte eingeprägt. Da helfen auch all die vollklimatisierten, geradezu komfortablen Gefängnisbauten nichts, die seither auf dem Lagergelände errichtet wurden.

Schon wird auf dem amerikanischen Festland in jenen Bundesstaaten Widerstand laut, die auf ihren Militärstützpunkten die künftigen Gefangenenlager beherbergen sollen. „Not in my backyard!“ (Nicht in meinem Garten!) schallt es von überall her – aus Fort Leavenworth in Kansas und aus Charleston in South Carolina. Auch die europäischen und anderen Verbündeten wollen die Gefangenen nicht haben. Manche schlagen vor, die 1963 geschlossene und inzwischen zum Nationalpark umgewandelte Gefängnisinsel Alcatraz im Pazifik in der Bucht von San Francisco für die Unterbringung von Terrorverdächtigen oder abgeurteilten Terroristen zu nutzen.

Auch wenn noch niemand weiß, was auf den folgenden weißen Seiten stehen wird, wird mit dem bisher nur symbolischen Akt, die Schließung Guantánamos zu verfügen, eine Seite im Buch der Geschichte umgeblättert und ein neues Kapitel aufgeschlagen.

(Fotohinweis: AP/Charles Dharapak (2); AP/Kevin Wolf; US Navy/Shane T. McCoy; PBS)

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