Zu den ersten greifbaren Ergebnissen des Moskauer Gipfeltreffens der Präsidenten Barack Obama und Dmitrij Medwedjew gehört das Abkommen über die Wiederaufnahme der militärischen Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften Russlands und der Vereinigten Staaten. Der russische Generalstabschef General Nikolai Makarow und der Vorsitzende der Vereinigten Stabschchefs der amerikanischen Streitkräfte Admiral Michael Mullen unterzeichneten die Übereinkunft am Montagabend in Moskau.
Alle militärische Kooperation zwischen Moskau und Washington war nach dem Krieg in Georgien vom August 2008 ausgesetzt worden. Gemäß neuem Abkommen, auf dessen Unterzeichnung beim Moskauer Gipfel die russische Seite besonders gedrängt hatte, soll es noch in diesem Jahr zu 20 Begegnungen ranghoher Offiziere sowie zu gegenseitigen Besuchen kommen. Vorgesehen sind unter anderem „strategische Diskussionen“ zwischen Angehörigen der Stabschefs der beiden Staaten, eine Reise von Kadetten der russischen Militärakademie in Moskau zur amerikanischen Militärakademie nach West Point im Bundesstaat New York, die Planung eines gemeinsamen Manövers zur Befreiung eines entführten Zivilflugzeuges in jeweils nationalem und in internationalem Luftraum sowie ein Besuch von Lehrkräften der russischen Militärakademie beim Strategiezentrum des amerikanischen Heeres in Fort Leavenworth (Kansas). Als „globale Mächte“ trügen die Vereinigten Staaten und Russland „eine gemeinsame Verantwortung für Frieden und Stabilität in der Welt“, heißt es in einer Mitteilung des Weißen Hauses.
Trotz der Bekräftigung der amerikanisch-russischen Zusammenarbeit kann man nicht umhin, deutliche Unterschiede zwischen dem russischen und dem amerikanischen Militär festzustellen, die viel mit Tradition und auch mit Physiognomie und sogar mit Uniformen zu tun haben.
In einem Interview mit der F.A.Z. hat Admiral Mullen die gemeinsamen strategischen Interessen, aber auch den fortbestehenden Dissens zwischen Moskau und Washington in wichtigen Fragen umrissen.
Die ungekürzte Fassung des Gesprächs mit Mullen am Ende dieses Blogs.
(Fotohinweis: Alle Fotos – außer AP-Aufnahme von Mullen und Makarow – Matthias Rüb.)
Interview mit Admiral Michael Mullen, Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs der amerikanischen Streitkräfte
Admiral Mullen, Ihr erster Besuch in Moskau ist ein weiteres Zeichen der Wiederannäherung zwischen Russland und den Vereinigten Staaten nach dem Streit über den Krieg in Georgien. Worüber haben Sie mit dem russischen Generalstabschef General Nikolai Makarow gesprochen?
Wir haben unseren im Oktober in Helsinki bei unserem ersten Treffen aufgenommenen Dialog fortgeführt. Es ging unter anderen um die Fortsetzung und Intensivierung unserer Kooperation in Afghanistan und Pakistan, im Atomstreit mit Iran und Nordkorea sowie um den gemeinsamen Kampf gegen Terrorismus, Drogenhandel und Piraterie. Seit wir uns das letzte Mal getroffen haben, hat das Pentagon eine neue Strategie zur Befriedung Afghanistans erarbeitet, über welche ich General Markarow unterrichtet habe.
Daneben ging es um die europäische Sicherheitsarchitektur, wo wir unseren Dialog fortsetzen müssen, auch wenn wir in dieser Frage kaum rasch zu einem Konsens kommen werden. Eine der schwierigsten Fragen ist der fortwährende Streit über die Raketenabwehr in Polen und in der Tschechischen Republik. Mit der Wahl des Standorts wollen wir uns gegen mögliche Angriffe aus Iran wappnen. Moskau sieht das bekanntlich anders und glaubt seine strategischen Interessen berührt.
Präsident Barack Obama hat mich zudem gebeten, ihn zum Gipfeltreffen mit Präsident Dmitri Medwedew vom 6. bis 8. Juli in Moskau zu begleiten. Dabei werden General Makarow und ich ein Abkommen über militärische Zusammenarbeit unterzeichnen. Dieses Abkommen soll dazu beitragen, dass aus unserer allgemeinen Dialogbereitschaft bald konkrete Schritten bei der Zusammenarbeit unserer Streitkräfte erwachsen.
Gibt es einen Konsens mit Blick auf die nuklearen Ambitionen Irans und Nordkoreas?
Über die jüngste Krise in Iran nach den Präsidentenwahlen haben wir nicht gesprochen. Doch wir sind uns einig, dass wir nicht wollen, dass sich Iran nuklear bewaffnet. Russland ist über das Kaspische Meer ein Nachbarland Irans, die Vereinigten Staaten sind viel weiter von Iran entfernt. Wir sind uns gleichfalls einig, dass von der Zusammenarbeit Moskaus und Washingtons in dieser Frage eine wichtige Signalwirkung ausgeht.
Auch mit Blick auf Nordkorea stimmen wir überein, dass die nukleare Bewaffnung Pjöngjangs die Region destabilisieren würde. Die neue Resolution des UN-Sicherheitsrates sendet ebenfalls das wichtige Signal aus, dass Russland und die Vereinigten Staaten zusammenarbeiten.
Freilich haben auch die jetzt beschlossenen Sanktionen und deren Durchsetzung – etwa auf hoher See bei der Kontrolle nordkoreanischer Frachter – ihre Grenzen. Es kann nicht alleine unsere Aufgabe oder die Russlands und Chinas sein, die Sanktionen durchzusetzen. Sondern es muss ein Anliegen der Staatengemeinschaft insgesamt sein, die Krise um Nordkoreas Atomwaffenprogramm und um die Raketen mit diplomatischen und politischen Mitteln zu lösen.
Wie hat Moskau auf das neue Abkommen Washingtons mit Kirgistan zur fortgesetzten Nutzung der Luftwaffenbasis Manas bei Bischkek reagiert?
Ich habe aus allen meinen Gesprächen – aus den persönlichen Begegnungen wie aus den Konsultationen am Telefon – die Gewissheit gewonnen, dass es Russland sehr ernst meint mit der Zusammenarbeit zum Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan. Moskau hat keinerlei Interesse daran, dass die Taliban in Afghanistan wieder die Macht erlangen und das Land abermals zur Ausgangsbasis und zum Rückzugsgebiet für Terroristen machen. Auch der pakistanische Armeechef General Ashfaq Parvez Kajani hat jüngst Moskau besucht und mit General Makarow über die Bedrohung für sein Land durch Al Qaida gesprochen.
Nach der ursprünglichen Entscheidung des Parlaments in Bischkek vom Februar, unseren Pachtvertrag für Manas zu kündigen, hatten wir mit uns darauf vorbereitet, den Luftwaffenstützpunkt zu räumen. Jetzt sind wir sehr zufrieden, dass wir Manas als wichtigen Umschlagsplatz für den Nachschub und die Ausrüstung unserer Truppen in Afghanistan weiter nutzen können.
Wie schätzen Sie die Lage in Afghanistan ein?
Wir implementieren soeben unsere neue Strategie für Afghanistan. Zudem gibt es bei uns neues militärisches und auch politisches Führungspersonal. Die Verlegung zusätzlicher Truppen nach Afghanistan ist noch nicht abgeschlossen. Es wird also einige Zeit dauern, bis wir konkrete Ergebnisse der neuen Strategie sehen werden.
Unzweifelhaft ist, dass rasch etwas geschehen muss. Wir müssen in den kommenden zwölf bis 18 Monaten die Wende in Afghanistan erreichen. Andernfalls schaffen wir es womöglich gar nicht. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die Taliban in bestimmten Landesteilen so frei bewegen können wie sie das in den vergangenen drei Jahren tun konnten.
Daneben wird unser neuer Kommandeur General Stanley McChrystal sofort alles daran setzen, einen besseren Schutz der Zivilbevölkerung zu erreichen. Der Maßstab unseres Erfolgs in Afghanistan wird nicht sein, wieviele Taliban wir töten, sondern wieviele Zivilisten wir schützen. Zumal beim Einsatz unserer Luftwaffe gilt es zu bedenken, dass wir bei einzelnen Gefechten – etwa bei jenem von Ende Mai in der Westprovinz Farah – zwar einen taktischen Sieg erringen mögen, zugleich aber eine strategische Niederlage erleiden, wenn neben den Aufständischen Zivilisten getötet werden. Wir können in Afghanistan nicht gewinnen, wenn wir weiter afghanische Zivilisten töten.
Die wichtigste Messlatte für unseren Erfolg wird sein, ob wir im Lauf der Zeit eine signifikante Verbesserung der Sicherheitslage in verschiedenen Regionen und Provinzen erreichen. Zudem müssen wir ein robustes Wirtschaftswachstum ermöglichen und die Schaffung rechtsstaatlicher Strukturen durchsetzen helfen. Schließlich müssen die Verwaltungen auf Provinz- und Landesebene der Bevölkerung jene Dienstleistungen anbieten, die sich die Menschen seit langem und oft vergebens erhofft haben.
Ich bin zuversichtlich, dass unsere neue Strategie für Afghanistan erfolgreich sein wird. Wir haben im Irak mit der Truppenaufstockung von Anfang 2007 sowie beim Kampf gegen Aufständische wichtige Erfahrungen gesammelt, die uns auch in Afghanistan zugutekommen werden.
Werden die amerikanischen Truppen trotz der jüngsten Welle der Gewalt wie geplant im Irak bis Ende Juni aus den Städten abziehen?
Obwohl auch ich besorgt bin angesichts der Zunahme der Gewalt im Irak halten wir daran fest, wie im amerikanisch-irakischen Sicherheitsabkommen vereinbart unsere Truppen bis zum 30. Juni aus den irakischen Städten abzuziehen. Trotz der Selbstmordattentate der letzten Tage mit vielen Opfern ist das Niveau der Gewalt so niedrig wie zuletzt 2003.
Der Kommandeur der Truppen im Irak, General Raymond Odierno, und der Chef des für die Region zuständigen Zentralkommandos, General David Petraeus, haben mir in allen Gesprächen ihre Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass die irakischen Sicherheitskräfte in der Lage sind, künftig aus eigener Kraft für Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu sorgen.
Aus vielen Städten des Iraks sind unsere Truppen schon vor gut einem Jahr abgezogen. Die Hauptstadt Bagdad und Mossul im Norden des Landes bleiben die größten Herausforderungen.
Wir haben schon vor Monaten gesagt, dass Al Qaida im Irak vor dem Rückzugstermin vermehrt Anschläge verüben wird. Und so ist es, tragisch genug, auch gekommen. Entscheidend ist, dass es uns gelingt, die Zahl der Gewalttaten bis zu den für Januar geplanten Wahlen weiter zu reduzieren. Letztlich sind es jetzt die irakischen Politiker, die Kompromisslösungen für die fortbestehenden Konflikte des Landes finden müssen. Wir können ihnen dabei helfen, indem wir gemeinsam mit den irakischen Sicherheitskräften ein möglichst sicheres Umfeld schaffen.
Befürchten Sie nach den verheerenden Anschlägen der vergangenen Woche ein Wiederaufflammen der Gewalt zwischen Schiiten und Sunniten im Irak?
Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass es heute wieder zu einem Ausbruch grassierender Gewalt zwischen Schiiten und Sunniten wie nach dem Anschlag von Samara vom Februar 2006 kommt. Man kann es aber auch nicht ausschließen. Im Ganzen bin ich mit Blick auf den Irak optimistich, sofern wir uns weiter auf das konzentrieren, was seit Anfang 2007 Erfolg hatte.
Obamas Besuch in Moskau...
Obamas Besuch in Moskau verleitete einige Kommentatoren, von einem „Wechsel der US-Außenpolitik“ zu faseln. Tatsächlich änderten weder die Amerikaner noch die Russen ihre Außenpolitik im Geringsten. Vielmehr ist es die wachsende Erkenntnis, dass eine Zusammenarbeit beiden Seiten gleichermaßen Vorteile bringen kann, wo gemeinsame Interessen bestehen. Afghanistan ist ein gutes Beispiel.