What’s left

What’s left

Muss links sein, wer für eine gerechte und soziale Welt eintritt? Eine Debatte über neue Haltungen und alte Weltanschauungen.

Links sein ist etwas „für feine Leute“

| 22 Lesermeinungen

Der Schriftsteller Michael Kleeberg hat bis heute noch keinen revolutionären Arbeiter gefunden.

Der Schriftsteller Michael Kleeberg © Julia ZimmermannDer Schriftsteller Michael Kleeberg

Es gab auch ganz andere Sozialisationen. Ich bin in einer Arbeiterstadt (Böblingen) groß geworden, wo niemand meiner Generation auf die Idee gekommen wäre, Flugblätter mit Revolutionsaufrufen am Daimler-Tor zu verteilen. Man kannte ja die Väter seiner Freunde. Stolz auf die Lohntüte, stolz darauf beim Daimler zu schaffen, ein kleines eigenes Haus und einen 200er Diesel vor der Tür stehen zu haben. Dasselbe galt für die damals noch so genannten Gastarbeiter.

Die DDR als Alternative? Ein Scherz! Meine Eltern, ebenfalls aus Arbeiterfamilien in die kleinbürgerliche Obdachlosigkeit entlassen, haben Willy Brandt 1969 ein Glückwunschtelegramm gesendet und ab 1972 CDU gewählt. Die ersten Linken habe ich mit 16 mit dem Umzug in den wohlhabenden Hamburger Vorort entdeckt. Wie alle Linken (außer einigen katholischen Arbeiterpriestern), die ich jemals kennengelernt habe, kamen sie aus gutbürgerlichen, wohlhabenden Bildungsfamilien. Wenn sie anfingen, von der DDR oder Nicaragua oder Kuba zu schwärmen, wurden sie von den anderen als ‘Salonbolschewisten’ bezeichnet. Sie kritisierten das Auftreten der USA in Vietnam, aber ihr Traum (oft genug erfüllt) war es, mit den Eltern in den Sommerferien nach Florida zu verreisen und Disneyland zu besuchen.

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Einen revolutionär gesinnten Arbeiter habe ich in Deutschland nie gesehen (mit Ausnahme eines Veteranen in der Hamburger Jarrestadt, den 1933 die Nazis eingelocht hatten, weil er bei der SPD war. Aber der war kein Arbeiter mehr 1980, sondern ein gutbestallter Rentner, der mit TUI nach Kuba und Haiti reiste). Ein Linker ist für mich immer jemand gewesen, der es sich leisten kann.

Cohn-Bendit macht sich vom Acker

Und ich habe hierzulande auch nie einen Linken kennengelernt, der seine Menschheitsbeglückungsparolen anderswoher als aus einem gemachten Nest losgelassen hätte (so wie Cohn-Bendit, der Anfang der Siebziger auf dem Balkon eines besetzten Frankfurter Hauses die Polizei provozierte und dann, wenn sie stürmte, durch den Hinterausgang verschwand und in die eigene, von der Familie zur Verfügung gestellte komfortable Wohnung verschwand, die nie kollektiviert worden ist). Marxismus, so meine Jugenderfahrung, ist etwas, wie Golo Mann über Adorno sagte, „für feine Leute“.

Erstes Aufeinandertreffen mit Linken (KBWlern und KBlern) 1976 auf der Brokdorf-Demo: Es waren aggressive Paranoiker, die auf der Landstraße Guerilla-Krieg spielten, und uns Schülerzeitungsredakteure als vermeintliche agents provocateurs des Klassenfeinds verprügeln wollten. Keine Sekunde ernstzunehmen. Ebensowenig wie 1984 die Berliner Hausbesetzerszene der dritten Generation.

Kindsköpfe aus gutem Provinz-Hause (Notare, Ärzte und Anwälte aus Rottweil oder Villingen-Schwenningen), die mit ihrem Kriegspielen gegen den Kapitalismus einfach die Verantwortungslosigkeit und Abenteuerlust der Jugend ausdehnen wollten – manche Künstler unter ihnen bis ins Rentenalter. Cowboy und Indianerspielen for ever. Im Politologiestudium im Pferdestall in Hamburg auch erste Erfahrungen anlässlich von Solidaritätsaktionen für Palästina mit dem Antisemitismus der Linken (was mich an die jüdischen Remigranten-Professoren an deutschen Unis 1968 erinnerte, die das Gefühl hatten, die SA marschiere wieder).

Sympathie mit den Polizisten

1980 entdeckte ich dieses Gedicht von Pasolini: IL PCI ai Giovani _

„Ich nicht, Freunde. Als ihr euch gestern geprügelt habt mit der Polizei/ habe ich mit den Polizisten sympathisiert/ Weil die Polizisten die Kinder armer Leute sind/ Gestern erlebten wir demnach ein Stück Klassenkampf: Und ihr Freunde (obwohl auf der Seite der Vernunft) wart die Reichen/ während die Polizisten (auf der Seite des Unrechts) die Armen waren. Ein schöner Sieg also, den ihr da errungen habt!“

Dahrendorf also – und nicht Rudi Dutschke!

Und was die määnschliche Kuhwärme (Clawdia Chauchat), der linken Gemeinsamkeit betrifft, so bin ich seit jeher der Ansicht gewesen: „Three is a crowd“.

 

Von Michael Kleeberg, Jahrgang 1959, ist zuletzt unter dem Titel „Vaterjahre“ der zweite Roman seiner der Karlmann-Trilogie erschienen.


22 Lesermeinungen

  1. djangohatnemonatskarte sagt:

    ausnahmen von der regel
    nun lieber freund, es gibt ausnahmen auch beim daimler: willi hoss war sicher links und beim daimler, gelernter schweisser und dann war er mit sicherheit links……………andere, wie j.fischer kamen aus einer nicht definierbaren schicht und haben wie frau nahles nie eine werkbank bedient oder sogar noch nie eine gesehen. vom leuten wie cohn bendit ganz zu schweigen, warum geht der eigentlich immer noch straffrei aus für dinge, für die andere zurecht bestraft werden ????????

  2. mariedt sagt:

    What's left...
    Der Grad der humanen Vernunft, der Menschheit, bestimmt den Grad ihres humanen Sein…Erde-Paradiesgrad…Erde-Höllengrad.
    Die Gegenwart-“Wunden”-Folgen aus…links-sein?, rechts-sein?, centrum-sein?, …s. Gegenwartgeschichte,
    sind in der “R”(atio)lösung Evolutionsweg Human als
    Heilungsweg, Genesis(Genesungweg), als “WundeR”(atio), enthalten.
    Im “Human-Sein” mit notwendigem, Not wendendem Reifegrad der
    humanen Vernunft, Links-Not, Rechts-Not,…Gleichgewicht-Not des Geistes, Unreife des Geistes wenden, braucht es keine andere Richtung
    als humaner werden/sein als heute.
    Humanes Vernunft-Sein, vernünftiges Human-Sein…Reifegrad!
    Wer das erkennt, der macht sich keine unnötigen Gedanken über
    Links-, Rechts-und andere Not bringende Geschichten mehr.
    Er strebt, reift, für sich allein zur “R”Lösung, Mensch-Nöte befreiter
    Human.

    Gruß
    W.H.

  3. […] Der Schriftsteller Michael Kleeberg hat bis heute noch keinen revolutionären Arbeiter gefunden. Der Schriftsteller Michael Kleeberg Es gab auch ganz andere  […]

  4. DuncanReign________________ sagt:

    Die westlichen Paradigmen Liberalismus und Sozialismus scheitern an der Natur des Menschen.
    I. Der endgültige Triumph des Liberalismus ist sein Tod:

    Die hehren Ideale der Aufklärung führen zwangsläufig zum Selbstmord des Systems, sobald es keine legitimen Gegenkräfte zu ihrer Metaideologie, welche aus den Brüdern im Geiste Liberalismus und Sozialismus bestehen, mehr gibt. Beide streben ein utopisches Ideal an und erheben ein Monopol absoluter Wahrheit über alle Lebensbereiche. Trotz aller scheinbaren Kämpfe zwischen diesen Ideologien eint sie das Ziel, realistisches (=rechtes bzw. reaktionäres) Denken als böse und krank zu diffamieren. Dadurch erzeugt die westliche Moderne einen jakobinischen Totalitarismus, der an der Abschaffung aller bewährten Selbstverständlichkeiten (Tradition, Religion, Nation, Familie) arbeitet. Im Westen entsteht der an nichts mehr gebundene, kultur- und identitätslose neo-barbarische Mensch.

    Seine heimatlose Entseeltheit macht ihn übernahmereif zur Konvertierung zu dem den Liberalismus abschaffenden Islam.

    II. Die EUdSSR verbindet in historischer Einmaligkeit den Sozialismus mit dem Liberalismus.

    Sozialisten, die an die Macht gekommen in einer Demokratie (aber nicht in im Brüsseler Sowjet) schnell wieder abgewählt werden, weil der Schaden, den sie in einer Volkswirtschaft anrichten, nicht unbemerkt bleibt, arbeiten Hand in Hand mit der liberalen Finanzindustrie und globalen Konzernen, die nur ihren Profit im Sinn haben, an einer neuen für sie genehmen Umgebung – beide wollen Nationalstaaten, historisch gewachsene Identitäten und alle kulturellen Unterschiede zwischen Island und Sizilien zerstören bzw. einebnen.

    Die einen um den “neuen Menschen” (natürlich rasse-, klasse- und vorurteilsfrei), die anderen um den perfekten “Arbeitssklaven und Konsumenten” für ihre Zwecke zu erschaffen.

    Der entstehende an nichts mehr gebundene, kultur- und identitätslose neo-barbarische Mensch wird jedoch massenweise zum Islam konvertieren, da dieser die spirituelle Leere des Westens erschließen wird.

    So verendet die westliche Zivilisation der Links-Liberalen, um die es nicht schade wäre, hätten diese meine nicht zerstört.

    • michirt sagt:

      @Duncan Reign
      Die Gleichung “realistisches (=rechtes bzw. reaktionäres) Denken” an sich ist unlogisch. “Reaktionäres Denken” würde schließlich einen linearen Verlauf der Geschichte vorraussetzen, dem man sich entgegensetzen müsse.

      Würde nun “Die Linke” eine Wiedereinführung der DDR fordern, wäre das also reaktionär und damit rechts und realistisch?

      Die altbewährten Selbstverständlichkeiten, die Sie so sehr feiern, finden Sie zum staatlichen Leitbild erhoben gerade in den Ländern, die sich islamistisch nennen. Ist das eine Gesellschaft, in der Sie sich wohlfühlen würden?

      In der Realität sind doch gerade die USA, also ein in seinen Grundzügen zutiefst liberales (liberal im klassischen nicht im linken Sinne), das dafür bekannt ist, dass die Menschen dort ihre Vorstellungen von Tradition, Religion, Nation, Familie ungestört leben können – ohne irgendein “Monopol absoluter Wahrheit über alle Lebensbereiche”.

  5. DuncanReign________________ sagt:

    Als ich noch ein Kind war, waren die Linken die Guten und das Böse war rechts.
    Es war so böse, so tabu, daß man nicht weiter darüber sprach bzw. nicht sprechen durfte. Das linkische Wolkenkuckucksheim durfte zahlreiche schöne – an sich gute – Ideen einer entwickelteten Zivilisation durch die pseudoreligiöse Trinitas aus ideologischen Scheuklappen, Elfenbeinturm-Weltfremdheit und sicherer Überzeugung des unausweichlich progressiven Fortschritts zum Endzielsozialismus in zahlreichen bedauerlichen Fällen soweit zur erbärmlichen Karikatur seiner selbst verfremden (z.B. wurde das zu gewährende Asylrecht stillschweigend zum einforderbaren Recht des Wohlstandssuchenden auf Einwanderung, aus Toleranz entwickelte sich jakobinischer Toleranztotalitarismus, aus Menschenrechten wurde Menschenrechtsimperialismus), daß bereits in meiner Jugendzeit das Rechte zum Richtigen, zum Gerechtfertigtem und zum Rechtmäßigem wurde. Als Erwachsener muß ich nun feststellen, daß – ebenso banal wie wahr – rechts mit deutsch gleichgesetzt wird. Heutzutage ist bereits rechts, wer deutsch ist und es auch bleiben möchte.

  6. Jaeger500 sagt:

    Wunderbar auf den Punkt gebracht wird hier der Grundsatz:
    Links reden, rechts leben…oder
    Die abstrakte Menschlichkeit predigen, aber oft die zwischenmenschliche Misanthropie leben.

  7. Guido.wirtz sagt:

    Danke fürs Gespräch
    Genauso ist es. Der real existierende Sozialismus ist was Tolles, wenn man ihn nach dem Bestaunen – früher in der DDR, heute auf Kuba – wieder verlassen darf. Gleiches gilt fürs Warenangebot. Vor einem kapitalistischen Supermarktregal philosophiert es sich prächtig darüber, ob man wirklich zehn verschiedene Sorten Toilettenpapier braucht. Für den vom Chavismus geplagten Venezolaner sind das äußerst luxuriöse Gedankenspiele, wenn er auf der Suche nach selbigem vor leeren Regalen steht. Und interessanterweise haben gerade die unreflektierten proletarischen Massen, die eine wohlsituierte linke Elite zu erwecken versucht, ein feines Gespür dafür, welche Wirtschaftsordnung ihnen in Summe ein besseres Leben verspricht. Mit Toilettenpapier.

    Hinzu kommt: Die Linke neigt dazu, alles und jeden zu politisieren. Und was total politisiert ist, wird auch gern total kontrolliert. Weil ja auch jedes persönliche Verhalten politisch ist und deswegen in seiner Wirkung überwacht werden muss. Am liebsten 24 Stunden am Tag. Die Arbeiter finden den Kapitalismus schon deswegen nicht schlecht, weil er sie vielleicht am Arbeitsplatz ausbeutet, sie aber am Feierabend in Ruhe lässt. Da können sie den Wein trinken, den die Revolutionäre am liebsten gegen das Wasser tauschen würden, das sie predigen. Ohne zu wissen, wovon sie sprechen. Wie der Plantagenbesitzersohn Fidel Castro. Der dem Großbürgertum entstammende Che Guevara. Der Abkömmling reicher Bauern Mao Tse-Tung. Der Filius eines Lehrers Lenin. Der Anwaltsspößling Karl Marx. Der Fabrikant Engels.

  8. ClausM sagt:

    Keinen revolutionären Arbeiter? Was ist die Arbeiterbewegung?
    Sicher ist, dass jene Linken, von denen hier die Rede ist, revolutionäre Arbeiter nie wahr haben wollten. Schließlich würde sonst ihr Alleinvertretungsanspruch der Arbeiterklasse in Frage gestellt und wohin dann mit der Anmaßung.
    Diese Linken, …, sind Komplizen des Großkapitals, in dem Bestreben die Menschen zu entmündigen. Sehr erfolgreich wie feststellen muss.
    Das Gerangel dieser Komplizen um die Beute, wird uns als grundlegende Auseinandersetzung dargeboten.

    P.S. “What’s left” ist einer Erörterung wert.

    • tberger sagt:

      Als Vertreter des Großkapitals...
      …darf ich Ihnen versichern, dass wir keineswegs Linke als Komplizen haben.

  9. ClausM sagt:

    Keinen revolutionären Arbeiter? Was ist die Arbeiterbewegung?
    Sicher ist, dass jene Linken, von denen hier die Rede ist, revolutionäre Arbeiter nie wahr haben wollten. Schließlich würde sonst ihr Alleinvertretungsanspruch der Arbeiterklasse in Frage gestellt und wohin dann mit der Anmaßung.

    Diese Linken, …, sind Komplizen des Großkapitals, in dem Bestreben die Menschen zu entmündigen. Sehr erfolgreich wie feststellen muss.

    Das Gerangel dieser Komplizen um die Beute, wird uns als grundlegende Auseindersetzung dargeboten.

    P.S. “What’s left” ist einer Erörterung wert.

  10. raem sagt:

    Bourgeois-Marxisten
    Wir hatten im Dorf einen “roten” Apotheker. Der hatte zwei Autos: Mit dem Benz-Kombi zog er am Wochenende sein Reitpferd durch die Gegend; mit dem 2 CV fuhr er an Wochentagen vor die Werkstore einer nahen Fabrik, um Aufrufe zur Arbeiterrevolution zu verteilen.

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