Der Schriftsteller Michael Kleeberg hat bis heute noch keinen revolutionären Arbeiter gefunden.

Es gab auch ganz andere Sozialisationen. Ich bin in einer Arbeiterstadt (Böblingen) groß geworden, wo niemand meiner Generation auf die Idee gekommen wäre, Flugblätter mit Revolutionsaufrufen am Daimler-Tor zu verteilen. Man kannte ja die Väter seiner Freunde. Stolz auf die Lohntüte, stolz darauf beim Daimler zu schaffen, ein kleines eigenes Haus und einen 200er Diesel vor der Tür stehen zu haben. Dasselbe galt für die damals noch so genannten Gastarbeiter.
Die DDR als Alternative? Ein Scherz! Meine Eltern, ebenfalls aus Arbeiterfamilien in die kleinbürgerliche Obdachlosigkeit entlassen, haben Willy Brandt 1969 ein Glückwunschtelegramm gesendet und ab 1972 CDU gewählt. Die ersten Linken habe ich mit 16 mit dem Umzug in den wohlhabenden Hamburger Vorort entdeckt. Wie alle Linken (außer einigen katholischen Arbeiterpriestern), die ich jemals kennengelernt habe, kamen sie aus gutbürgerlichen, wohlhabenden Bildungsfamilien. Wenn sie anfingen, von der DDR oder Nicaragua oder Kuba zu schwärmen, wurden sie von den anderen als ‘Salonbolschewisten’ bezeichnet. Sie kritisierten das Auftreten der USA in Vietnam, aber ihr Traum (oft genug erfüllt) war es, mit den Eltern in den Sommerferien nach Florida zu verreisen und Disneyland zu besuchen.
“What’s left”: Rainer Hank erklärt unser neues Blog
Einen revolutionär gesinnten Arbeiter habe ich in Deutschland nie gesehen (mit Ausnahme eines Veteranen in der Hamburger Jarrestadt, den 1933 die Nazis eingelocht hatten, weil er bei der SPD war. Aber der war kein Arbeiter mehr 1980, sondern ein gutbestallter Rentner, der mit TUI nach Kuba und Haiti reiste). Ein Linker ist für mich immer jemand gewesen, der es sich leisten kann.
Cohn-Bendit macht sich vom Acker
Und ich habe hierzulande auch nie einen Linken kennengelernt, der seine Menschheitsbeglückungsparolen anderswoher als aus einem gemachten Nest losgelassen hätte (so wie Cohn-Bendit, der Anfang der Siebziger auf dem Balkon eines besetzten Frankfurter Hauses die Polizei provozierte und dann, wenn sie stürmte, durch den Hinterausgang verschwand und in die eigene, von der Familie zur Verfügung gestellte komfortable Wohnung verschwand, die nie kollektiviert worden ist). Marxismus, so meine Jugenderfahrung, ist etwas, wie Golo Mann über Adorno sagte, „für feine Leute“.
Erstes Aufeinandertreffen mit Linken (KBWlern und KBlern) 1976 auf der Brokdorf-Demo: Es waren aggressive Paranoiker, die auf der Landstraße Guerilla-Krieg spielten, und uns Schülerzeitungsredakteure als vermeintliche agents provocateurs des Klassenfeinds verprügeln wollten. Keine Sekunde ernstzunehmen. Ebensowenig wie 1984 die Berliner Hausbesetzerszene der dritten Generation.
Kindsköpfe aus gutem Provinz-Hause (Notare, Ärzte und Anwälte aus Rottweil oder Villingen-Schwenningen), die mit ihrem Kriegspielen gegen den Kapitalismus einfach die Verantwortungslosigkeit und Abenteuerlust der Jugend ausdehnen wollten – manche Künstler unter ihnen bis ins Rentenalter. Cowboy und Indianerspielen for ever. Im Politologiestudium im Pferdestall in Hamburg auch erste Erfahrungen anlässlich von Solidaritätsaktionen für Palästina mit dem Antisemitismus der Linken (was mich an die jüdischen Remigranten-Professoren an deutschen Unis 1968 erinnerte, die das Gefühl hatten, die SA marschiere wieder).
Sympathie mit den Polizisten
1980 entdeckte ich dieses Gedicht von Pasolini: IL PCI ai Giovani _
„Ich nicht, Freunde. Als ihr euch gestern geprügelt habt mit der Polizei/ habe ich mit den Polizisten sympathisiert/ Weil die Polizisten die Kinder armer Leute sind/ Gestern erlebten wir demnach ein Stück Klassenkampf: Und ihr Freunde (obwohl auf der Seite der Vernunft) wart die Reichen/ während die Polizisten (auf der Seite des Unrechts) die Armen waren. Ein schöner Sieg also, den ihr da errungen habt!“
Dahrendorf also – und nicht Rudi Dutschke!
Und was die määnschliche Kuhwärme (Clawdia Chauchat), der linken Gemeinsamkeit betrifft, so bin ich seit jeher der Ansicht gewesen: „Three is a crowd“.
Ein Hamburger Villenviertel ist nicht die Welt...
Ich habe da eine Neuigkeit für Sie, Herr Kleeberg: Linkssein ist keine Erfindung der 68er und war nie das Privileg von Salonbolschewisten in Blankenese. Aber dort ist die Wahrscheinlichkeit, einen revolutionären “Arbeiter” zu finden, eben auch nicht größer als die Wahrscheinlichkeit, einem irgendwie anders gesinnten Arbeiterkollegen zu begegnen. Dennoch sollte Ihnen auch ohne persönliche Bekanntschaft mit “Arbeitern” eines bekannt sein: Sozialistische Bewegungen bzw. die daraus entstandenen Parteien hatten ihren Rückhalt traditionell im heute so nicht mehr existenten Arbeitermilieu.
bis heute noch keinen revolutionären Arbeiter gefunden …
… es kommt ja ganz darauf, wo man sie sucht: Denn so einfach vor die Füße laufen tun einem die revolutionären Arbeiter ja nicht. Arbeiter, die von Balkonen aus Polizisten provozieren und dann „ab durch die Küche“ wenn’s brenzlig wird, wird man in der Tat so schnell nicht finden – zumal das wohl eine eher folkloristische Vorstellung von „Revolution“ ist. Der Such- bzw. Erfahrungshorizont von Herrn Kleeberg scheint sich auch auf studentisches, akademisches Milieu zu beschränken.
Mein früher soziologischer Lehrer Walter Wangler sprach seinerzeit deshalb von der „Übernahme einer Sozialidee durch die Gegenmacht.“
Deshalb sollten wir vielleicht den Begriff „revolutionär“ definieren, bevor Herr Kleeberg den Mangel an „revolutionären Arbeitern“ konstatiert.
Ich könnte ihm schon ein paar „liefern“…
Aber Spaß beiseite: Kann denn „revolutionär“ nicht auch ganz und gar unspektakulär, unauffällig und „leise“ sein. Kann „revolutionär“ nicht auch „langes, beharrliches Bohren dicker Bretter“ sein? Es ist doch nicht ausgemacht, dass „auf der Landstraße Guerilla-Krieg spielen“ die zutreffende Folie für „revolutionäres Handeln“ ist.
Begriffliche Klarheit zu schaffen stünde m.E. am Anfang der Diskussion. Die von Herrn Hank zitierte Anne sagte es durchaus zutreffend: „Na ja, es wäre noch einiges zu diskutieren.“
Auf jeden Fall aber „Danke“ für diesen inspirierenden Blog … ich komme wieder.
... bis heute noch keinen revolutionären Arbeiter gefunden?
Es kommt wahrscheinlich darauf an, wo man ihn sucht. So einfach über den Weg laufen tun die einem ja nicht. Und zu klären wäre wohl noch, was denn “revolutionär” bedeutet. Von Balkonen besetzter Häuser die Polizei provozieren … und dann ab durch den Hinterausgang ins gemachte Nest – da ist doch eine sehr folkloristische Definition des Begriffs. Kann denn “revolutionär” nicht auch ganz “unspektakulär und unauffällig” sein? KBWler und KBler dienen auch gewiss nicht als “Folie” für “revolutionäre Arbeiter” – das waren sie in der Tat nicht. Mein Soziologielehrer Walter Wangler sprach seinerzeit mit Blick auf diese “Erscheinungen” von der “Vereinnahmung einer Sozialidee durch die Gegenmacht”.
Aber sehr interessant, dieser Blog. Sehr! Dafür schon mal Danke Herr Hank! Ich mache mir mal ein paar Gedanken und komme wieder. Frohe Ostern !
What's left
Die zutreffende Beobachtung des Autors wird geschmälert durch die Ignoranz der durch das NS-Regime getöteten kommunistischen Arbeiter.
Natürlich sind Arbeiter "links", nur ...
Beruflich bedingt hatte ich in den letzten 35 Jahren viel mit den so gerne zitierten “Arbeitern” zu tun, definiert als leute, die einfache, manelle Tätigkeiten in organisierten umgebungen verrichten.
Natürlich sind die “links”. Im eher klassisch-sozialdemokratischen Sinne. Gutes Geld für harte Arbeit, nach Feierabend ein Bierchen zischen können und in ihrer (hoffentlich wachsenden) Freizeit zufriedengelassen werden wäre eine gar nicht bösartig, grob vereinfachende Zusammenfassung.
Und anders als die vielen Salonsozialisten aus “besseren” Elternhäusern haben diese Linken auch nicht die spinnerte Vorstellung, sie könnten alles viel besser als die derzeitigen Manager oder Politiker. Sie wissen um ihre Grenzen. Der Grössenwahn um Gesellschafts, Menschheits- und Weltverbesserung allerdings, das ist nicht ihr Ding.
Links im Sinne von Hanks Beschreibung können nur Kinder besserer Leute sein. Eine Übersprungshandlung zur Kompensation fehlender Härten und Herausforderungen in ihrem eigenen Leben.
Gruss,
Thorsten Haupts
Leben und leben lassen
Das ist paternalistisch und heutzutage sogar links. Weltbild und Menschenbild sind zwei verschiedene Dinge, die zu überbrücken jeden fordert, auch die, die nicht gefühlt zu kurz gekommen sind.
Dient nicht der Versachlichung: argumentum ad hominem
Ein Artikel, der von Emotionen geprägt ist, aber kaum Sachliches beiträgt. Schade. Inwiefern verschiebt sich der Inhalt einer Argumentation, je nach dem, von wem sie stammt. Muss man Kakaobauer sein, um sich für fairen Handel einzusetzen? Dürfen nur ALG-II-Bezieher ein bedingungsloses Grundeinkommen fordern? Dass dies Themen linker Akademiker sind, die im Schnitt finanziell gesichert sind, mag auch daran liegen, dass diese Themen bisher nicht aus ihrer Nische herausgekommen sind. Dennoch haben sie natürlich ihre Berechtigung.
Der Verweis auf diejenigen Linken, die der DDR und anderen ähnlichen Systemen huldigen oder huldigten, dient, wie überhaupt der ganze Artikel, lediglich dazu, die Debatte über die Inhalte zu verhindern. Es gibt viele Linke, die die DDR natürlich ablehnten, Jutta Dittfurt zum Beispiel. Abgesehen davon ändert die Diktatur der DDR nichts am Argument als solchem, ganz egal welches man jetzt nehmen könnte. Hierfür müsste man erstmal den Beweis führen, dass die DDR ein Staat nach dem Vorbild Karl Marx’ war. Ich vermag die Frage nicht zu beantworten, kann es mir aber auch kaum vorstellen. Dieser Punkt wird jedoch immer übergangen, obwohl schon die Apostrophierung “Real existierender Sozialismus” eher ironischen, als bloß konstatierenden Charakters ist.
Neh, is klar
Die DDR war kein Staat nach dem Vorbild von Karl Marx. Natürlich nicht. Die haben nur, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit auf Marx und Lenin referenziert, um das vor ihren eigenen Leuten und dem Ausland zu verschleiern. Das eigentliche Ziel war bestimmt ein ganz anderes. Obwohl ich in diesem Land (DDR) aufgewachsen bin, ist mir aber nicht klar, welches Ziel diese nur scheinbar linke Funktionärsriege der DDR sich stattdessen eigentlich gesetzt haben soll.
Mal im Ernst: Nach meiner Wahrnehmung wurde verbissen und beharrlich nach den Lehren von Marx und Lenin an der Gesellschaft gearbeitet.
Vielleicht sollten Sie sich eine Frage stellen: Wenn es so schwer ist, eine funktionierende Gesellschaft auf den Grundlagen von Marx und Lenin zu errichten, dass ausnahmslos alle bisherigen Versuche grandios gescheitert sind, wie wahrscheinlich ist dann die Annahme, es würde schon funktionieren, wenn man es bloß richtig machen würde?
Und noch ein bißchen Oskar Wilde (seines Zeichens nicht bekannt für Systemkonformität): The way to hell is paved with good intensions.
Viele Grüße
Günther Werlau
Ein alter Popper (Karl Raimund):
Bei dem Versuch, das Paradies auf Erden zu schaffen, ist bisher noch immer die Hölle herausgekommen.
Diese Erkenntnis trifft ausdrücklich auch auf Marxisten zu. Auch wenn Marx mit dem Marxismus genausowenig zu tun haben soll, wie der Islam mit dem Islamismus :-).
Gruss,
Thorsten Haupts