What’s left

Mach Dein Ding, heul nicht rum

Irgendwann war das Bedürfnis, die Welt zu verändern, einfach verschwunden, erzählt Leander Steinkopf (29).

Leander Steinkopf (29)Leander Steinkopf (29)

Irgendwann als ich noch sehr klein war, hatte ich irgendwo das Wort Kommunist aufgeschnappt. Ich fragte meine Mutter: “Mama, was ist ein Kommunist?”, aber sie telefonierte gerade und sagte deshalb nur kurz: “Die wollen, dass alle gleich viel haben”. “Das ist gut”, sagte ich und meine Mutter erwiderte nichts mehr, weil sie ja telefonierte.

Ich war sehr klein damals und hatte immer das Gefühl, dass die anderen mehr hatten: Die anderen Kinder haben mehr Spielzeug und die Erwachsenen haben mehr Geld, mit dem man ja Spielzeug kauft. Ja, ich bin sehr jung Kommunist geworden.

Die Botschaft der “Ärzte”

Als ich dreizehn Jahre alt war, kaufte ich meine erste CD, ein Album von den “Ärzten”. Ein Lied auf dieser Platte hieß “Punk ist…” und es handelte sich um eine Erörterung der Frage, was denn Punk eigentlich sei, wer sich Punk nennen dürfe. Die Definition die Bela B., Sänger dieses Liedes und Schlagzeuger der “Ärzte”, schließlich auf analytischem Wege erreichte, war zugleich der Refrain des Liedes: “Mach Dein Ding / Steh dazu / Heul nicht rum / Wenn andere lachen.” Von da an wollte ich Punk sein, aber es sollte lange dauern, bis es tatsächlich dazu kam.

Ich hatte einen flüchtigen Freund, der ging an die teure Privatschule in der nächstgrößeren Stadt. Erst vor einem Monat hatte ihm seine Mutter eine teure Markenjeans gekauft, ohne die ihm das weitere Leben nicht mehr möglich schien. Schon kurz darauf nannte er sich Punk und schnitt sich Löcher in die teure Jeans. Er rasierte sich die Flanken seines Kopfes und ließ seine Schwester jeden Morgen eine Stunde vor der Badezimmertür warten, weil er sich die Haare aufstellen musste. Einmal wollte ich ihn zu einem Punkkonzert abholen. Ich klingelte an der Tür und platzte ins familiäre Abendessen. Ich nahm Platz, blickte in die offene Terrine und sagte: „Muscheln habe ich noch nie gegessen“. Und der formvollendete Punk antwortete: „Muscheln sind mein Lieblingsessen!“

Als wir kurz darauf in meinem Dorf eine Antifa-Ortsgruppe bildeten, um den Nazis auf die Fresse zu schlagen, verlief sich die Sache bald, weil wir in erreichbarer Nähe keine Nazis fanden. Als wir uns entschieden zumindest als Punks Präsenz zu zeigen, ließen wir uns den entsprechenden Versandkatalog kommen, um uns Schuhwerk und Kleidung auszusuchen, doch schon die Springerstiefel konnten wir uns einfach nicht leisten.

Bald darauf, in der neunten Klasse, begehrten wir gegen die Verhältnisse auf. Damals sahen wir alle Missstände in der Welt und wir sahen, die Politiker, die nichts dagegen taten. Entweder müssen die dumm sein, böse oder beides, dachten wir uns damals, konnten keine dieser Möglichkeiten akzeptieren und sahen nur die Lösung, dass wir die Welt verändern müssen, schließlich waren wir nicht dumm, nicht böse, sondern keines von beidem. Dass wir die Richtigen dafür seien, stand außer Frage, denn offenkundig tat es niemand sonst, wie das Anhalten der Missstände eindeutig bewies. Trotzdem stockte uns der Atem, als einer von uns im Gemeinschaftskundeunterricht, wo junge Menschen zu demokratischen Bürgern erzogen werden, die letzte Konsequenz unseres Denkens zog, den verbotenen Satz sagte: “Diktatur ist doch gar nicht so schlimm, solange ich der Diktator bin!” Mein fragender Freund stammte aus Eritrea, er war der einzige schwarze Junge in meinem Heimatort. Das hatte den Nachteil, dass er ständig von der Polizei kontrolliert wurde, doch den Vorteil, dass er Nazi-Witze machen konnte ohne in ideologische Bedrängnis zu kommen. So war es auch, als er sich als Diktator anbot. Alle schwiegen und dachten sich: Naja, ein neuer Hitler kann der ja nicht werden. Auch die Lehrerin schwieg. Dann schellte es zur Pause.

Das Picknick im Grünen

Viel später, gerade nach Berlin gezogen, dachte ich mir, warum sollte das so schlecht sein, was sich über Generationen bewährt hat? Wieso meinte ich nicht nur cleverer zu sein als alle, die was zu sagen haben, wieso meinte ich sogar cleverer zu sein, als alle, die je etwas zu sagen hatten. Regelmäßige sexuelle Betätigung hatte mir eine innere Ruhe gebracht, die solche Bescheidenheit ermöglichte. Irgendwann, klammheimlich, so wie man die Grenze zwischen Grippe und gesund schwer ziehen kann, verschwand das Bedürfnis die Welt zu verändern aus meinem Leben. Mit dem Bedürfnis die Welt zu verändern, ist es dann doch wie mit dem Wohnungsputz. Man weiß nie in welcher Ecke man anfangen soll und muss damit rechnen, dass sowieso bald alles wieder schmutzig ist. Beides überließ ich fortan gerne meinen Mitbewohnern.

Bewusst wurde mir die Veränderung erst, als ich eine schöne Frau zu einem Picknick ins Grüne einlud. Wir tranken Wein und sie sagte mir, dass sie sich den Kommunismus wünsche, nur ohne Unterdrückung, einen Kommunismus also, in dem die Menschen frei sind. Und ich nickte. Dann schubste sie sich einen Käfer von der Hand und sagte, dass sie sich immer einen Garten gewünscht habe, aber einen sauberen Garten, in dem zwar Blumen blühen und Vögel singen, aber keine Insekten krabbeln. Und ich stutzte. Ich dachte an den Provinzrapper Danger Dan, der in “Ich werde mich isolieren” sagte: “Ich denke ernsthaft darüber nach, der FDP beizutreten, damit man mich nicht mehr mit euch in Verbindung bringen kann”. Das Picknick war dann schnell vorbei.

Enttäuscht von der FDP

Die Sonne schien, als ich vor den Empfang der FDP-Bundeszentrale in Berlin-Mitte trat. “Ich will für die FDP arbeiten”, sagte ich: “für Geld natürlich”. Ich dachte sie warteten auf jemanden wie mich, Eigeninitiative und so, aber erst mal ließ man mich warten. Ich blätterte durch Broschüren, Grußwörter von Philipp Rösler. Dann trat ein junger Mann vor mich, das Haar akkurat gescheitelt, gebügelte Jeans, hellblaues Hemd und genschergelber Pollunder. Er sah aus wie die Menschen, die ich aus Juravorlesungen kannte. Ich nannte ihm mein Anliegen. Er beäugte mich kritisch von oben bis unten, die knittrigen Leinenhosen und die Griechensandalen. Er hatte wohl Angst ich sei hier um eine Bombe zu legen. Auf meine Bewerbung habe ich nie eine Antwort bekommen.

Das war auch der Tag, an dem ich meine Mutter anrief, um mich zu outen. Ich sagte einfach: “Mutter, ich bin konservativ”, und sie sagte lange nichts, hielt es dann für einen Scherz und war am Ende weit schwerer schockiert als mein Vater, wie er seinerzeit die Tür zu meinem Teenagerzimmer öffnete und ich zu einem Punkrocksong grölte: “Sprengt die Banken, sprengt die Schranken, jagt die Bonzen in die Flucht!”

Diese ganze Rückschau wäre nie so vor meinem inneren Auge abgelaufen, hätte sich nicht auf einer Party in Berlin eine unerhörte Begebenheit ereignet. Ich hatte ja schnell gemerkt, dass man hier wenig arbeitet, viel trinkt und kifft, ständig demonstriert und sich in eine linksalternative Bequemlichkeit fläzt, wie in die alten Sessel, die hier in jedem Club und Café zum guten Ton gehören. Das kann harter Tobak sein, nach Jahrzehnten süddeutscher Sozialisation, doch ich war ja hierher gekommen, um der Leichtigkeit im Leben mehr Gewicht zu geben. Auf dieser Party also fragte mich eine junge Dame, was ich denn so mache. Nicht wenig stolz auf die jüngsten Entwicklungen in meinem Leben antwortete ich ihr: “Ich promoviere über eine evolutionsbiologische Theorie in der Psychologie, außerdem schreibe ich für die FAZ”. Der Dame fiel fast die Selbstgedrehte in die Clubmateflasche: “Ein liberal-konservativer Biologist!”, murmelte sie, nur für ihre Notizen, nicht für meine Ohren bestimmt. Sie brach sofort das Gespräch ab, doch die Nachricht von meiner politischen Einstellung sprach sich so schnell rum wie die Einladung zu einer Hausdachparty. Proletarier aller Gender vereinigten sich, trugen mir ihre Thesen vor. Und wenn ich auch nicht zu allem eine Meinung habe, bin ich doch gerne dagegen. So war ich an diesem Abend Gentrifikationsbefürworter, Verteidiger des freien Marktes, Anhänger eines Tanzverbots an kirchlichen Feiertagen und Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens.

Als ich unsortierten Schrittes nach Hause ging, weil man mir trotz aller politischen Gegnerschaft doch reichlich Getränke spendiert hatte, summte ich das alte Lied: „Mach Dein Ding / Steh dazu / Heul nicht rum / wenn andere Lachen“. Ich erinnerte mich an die Schulzeit, als ich rebellieren wollte, aber selbst die linksradikalsten Aussagen bei den Lehrern nur offene Türen einrannten. In der Schule kann man Kommunist sein, aber in Berlin kein Liberaler. Nun, fast schon arriviert, als Doktorand am Lehrstuhl für evolutionäre Psychologie und Artikelschreiber für die FAZ, hatte ich es endlich geschafft: Ich war Punk.

Leander Steinkopf (29) promoviert an der Freien Universität Berlin über den Placeboeffekt und sucht dringend einen Verlag für seine Berlinflaneurerzählung.

Das Buch zum Blog von Rainer Hank gibt es hier:

 
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