What’s left

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Muss links sein, wer für eine gerechte und soziale Welt eintritt? Eine Debatte über neue Haltungen und alte Weltanschauungen.

Liberale müssen behutsam sein

Linke und Rechte wissen überall schon Bescheid. Liberale sind bescheidener, findet Clemens Schneider

Demut© fotocommunity.deDemut

Der Liberalismus steht auf drei Säulen: Offenheit, Respekt und Demut. Friedrich A. von Hayek schreibt, dass „der liberale Standpunkt auf Mut und Zuversicht beruht, auf einer Bereitschaft, der Veränderung ihren Lauf zu lassen, auch wenn wir nicht voraussagen können, wohin sie führen wird.“ Offenheit für das Neue ist unabdingbar, wenn man sich verbessern und weiterentwickeln will. Dass die von der Freiheit ermöglichten und mit ihr einhergehenden Entwicklungen eine der besten Begründungen für die Forderung nach dieser Freiheit sind, hat Hayek in seinem Spätwerk ausführlich dargelegt, in dem er sich besonders dem Wesen kultureller Evolution widmete.

Aus der Offenheit ergibt sich die Haltung des Respekts. Der englische Historiker und Liberale Lord Acton hat in seiner Rede „The History of Freedom in Christianity“ darauf hingewiesen, dass wir einen ganz entscheidenden Schritt in der Entwicklung der Freiheit den protestantischen Sekten des 16. und 17. Jahrhunderts verdanken. Ihre Überzeugung war es, „die Freiheit der anderen zu hegen wie die eigene, sie zu verteidigen aus Liebe zu Rechtschaffenheit und Menschenfreundlichkeit und nicht nur als einen Anspruch.“ Es gehört zur genetischen Struktur des Liberalismus, dass er nicht nur für die eigenen Überzeugungen Respekt einfordert, sondern für jede Überzeugung. Auch der andere hat sich im Zweifel Gedanken gemacht über seine Überzeugungen oder hat sie zumindest aufgrund legitimer persönlicher Gefühle. Pauschal jemandem böse Absichten zu unterstellen, wird in den allermeisten Fällen nicht einmal entfernt die Realität treffen. Anstatt Urteile zu fällen, sollte man besser versuchen, den anderen zu überzeugen.

Demut ist besser als Hochmut

Und da kommt die Demut ins Spiel. Das berühmte sokratische Diktum vom Nichtwissen ist der Nucleus liberalen Denkens. Rechte und Linke wissen genau, wie die Welt auszusehen hat, wie eine Gesellschaft funktionieren muss und was gut für andere Menschen ist. Diesem Hochmut und dieser Anmaßung des Wissens setzt der Liberale die Demut entgegen. So wie wir unsere Vernunft nicht überschätzen sollten, ist es auch geboten, unseren persönlichen Geschmack nicht zum Maßstab für andere zu machen. Wir können nicht beweisen, wie viel am Klimawandel menschengemacht ist (keine der beiden Seiten kann das!). Ebenso wenig können wir sagen, ob Kinder, die in (derzeit) unkonventionellen Verhältnissen aufwachsen, unglücklicher werden als solche aus vermeintlich „klassischen“ Familien. Und erst recht steht es uns nicht zu, das Selbstverständnis von Menschen zu beurteilen, die sich nicht in eine gesellschaftlich vorgegebene Geschlechterrolle einfügen wollen.

Offenheit, Respekt und Demut unterscheiden den Liberalen von den Linken wie von den Rechten. Wer für sich in Anspruch nimmt, liberal zu sein, ein freiheitliches Menschenbild zu vertreten, kommt nicht darum herum, diese drei Säulen zu akzeptieren. Liberalismus ist nicht nur ein Set an Überzeugungen, die sich in einem Parteiprogramm zusammenfassen ließen. Liberalismus ist auch nicht nur ein Rahmen, der gewährleistet, dass Menschen nach ihrer jeweiligen Facon selig werden können. Liberalismus ist ein Ethos.

Die Haltung der Behutsamkeit

Die Antike kannte vier Kardinaltugenden, die den guten Menschen auszeichnen: Gerechtigkeit, Mäßigung, Tapferkeit und Weisheit. Kombiniert man diese vier Tugenden, so entsteht daraus eine Haltung, die Liberalen gut zu Gesicht stünde: die Haltung der Behutsamkeit. Gerecht ist es, den anderen erst zu Wort kommen zu lassen, ihm zuzuhören und sein Anliegen ernst zu nehmen. Maßvoll ist es, andere Meinungen nicht von vornherein und im Bausch und Bogen zu verurteilen, sondern differenziert auf sie einzugehen. Tapfer ist es, auszuhalten, dass jemand eine andere Meinung, eine andere Sicht der Welt hat, als man selbst. Und weise ist es, die anderen Positionen und Einwände genau zu studieren und aus ihnen zu lernen.
Wer diese Regeln beachtet, der wird sich dem Gegenüber behutsam nähern. Er wird ihn weder beschimpfen, noch sich über ihn lustig machen. Er wird Arroganz und Süffisanz keinen Raum einräumen in seinem Denken, Tun und Reden. Und diese Behutsamkeit wird ihn in einen echten Dialog mit dem anderen führen, der im besten Fall für beide ein Gewinn ist. Ja, es mag sogar geschehen – und ich wünsche es! –, dass diese Behutsamkeit am Ende auch manch einen von denen zu gewinnen vermag, die jetzt noch wie waidwunde Tiere um sich schlagen und beißen, weil sie sich von einer gesellschaftlichen Mehrheit unterdrückt fühlen, verfolgt vom Dämon der political correctness.

Die eigentliche Herausforderung für den Liberalismus ist nicht die Abgrenzung zu Rechts (oder Links). Beides geschieht, wenn man den Liberalismus ernst nimmt, ohnehin implizit. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, denjenigen das Handwerk zu legen, die sich als Liberale ausgeben, aber dabei in ihrem Denken, Reden und Tun an dessen Grundfesten rütteln. Man muss ihnen nicht nur das Handwerk legen, weil sie dem Liberalismus einen schlechten Ruf geben. Sondern vor allem deswegen, weil ihre Grobheiten und ihre Unverschämtheiten, ihre Sticheleien und ihre Tiraden, ihre üblen Witze und ihr Schubladendenken, ihre Dialogunwilligkeit und ihre Selbstgerechtigkeit jener Behutsamkeit Hohn sprechen, die das Wesen des Liberalismus ist.

Behutsamkeit im Denken und Behutsamkeit im Umgang mit anderen Menschen – das ist jener feine und liebenswerte Wesenszug, der alle großen Denker der Freiheit von jeher ausgezeichnet hat: von Sokrates bis Hayek, von Kant bis Popper, von Hume bis Buchanan. Diese Behutsamkeit müssen Liberale wiedergewinnen, wenn sie die Sache der Freiheit wirklich voranbringen wollen. Aus den Tiefen der Vergangenheit ermahnt uns noch heute der Philosoph Seneca: „Die Philosophie ist ein guter Rat: einen guten Rat gibt niemand mit lauter Stimme. … Wo es darum geht, dass einer lerne, muss man auf Worte zurückgreifen, die leise gesprochen werden. Denn sie finden leichter Zugang und bleiben besser hängen; nicht viele von ihnen sind nötig, sondern wirksame.“

Clemens Schneider, geboren 1980 in Düsseldorf, ist Mitbegründer und Managing Director des klassisch-liberalen Think Tanks Prometheus – Das Freiheitsinstitut. Außerdem arbeitet er im Augenblick an einer Dissertation in Katholischer Theologie über den liberalen englischen Historiker Lord Acton.

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