Viele Menschen, die tagtäglich den ICE nutzen sind einfach wahnsinnig fleißig. Letztens hatte ich mal wieder solch einen Sitznachbarn. Direkt nach dem Einsteigen stellte er seine Rückenlehne senkrecht, strich seine Krawatte glatt, erweckte sein Notebook aus dem Ruhemodus und plazierte seinen Kaffeepappbecher auf der kleinen Fläche zwischen Tastatur und Touchpad. Quasiakrobatisch hangelte er dann seine Hände am Kaffeebecher vorbei zur Tastatur und tippte völlig unfallfrei gefühlte 200 Anschläge pro Minute in sein Arbeitsgerät.
„Ich kann auch fleißig sein“, dachte ich mir und holte voller Energie eine dicke Arbeitsmarktstudie aus der Tasche, die ich die Tage schon immer mal durchlesen wollte. Konzentrieren konnte ich mich nicht. Denn irgendwie war da dieses Geräusch im Hintergrund. Musik. Leise zwar, aber durchaus ablenkend. Ein bisschen quietschig. Bollywood.
Mein Sitznachbar hatte es auch gehört. Er stoppte die Tipperei, lauschte und fragte dann: „Ein Kinderfilm?“ – „Nein“, sagte ich. „Ein Hindi-Film.“ – „Was? Über diese Länge? Das ging vorhin schon die ganze Zeit so.“ – „Ja, ja“, sagte ich. „Die dauern doch immer Stunden.“ – „Auf dem kleinen Display?“ Mein Sitznachbar schaute verständnislos drein. Ich auch.
Dann verstand ich: Der Mann meinte einen Handy-Film. „Nicht HANDY“, sagte ich. „HINDI. Bollywood.“ – „Ach so.“ Der Krawattenmann lauschte noch mal. „Stimmt“, sagte er dann, und fuhr fort, mit seinem komplizierten Greif-um-den-Kaffee-herum-Griff in die Tastatur zu hämmern. „So kann man doch nicht arbeiten“, murmelte er dabei. Im Hintergrund dudelte es.
Als es Zeit war auszusteigen nahm ich mir vor, im Vorbeigehen die Quelle der Hindi-Musik ausfindig zu machen. Und tatsächlich: Etwa fünf Sitzreihen weiter saß ein kleiner Mann mit einem riesigen Kopfhörer auf den Ohren. Die Rückenlehne hatte er gemütlich zurückgestellt, die Krawatte gelockert, sein Fuß wippte fröhlich im Takt. Und in der Hand hielt er ein winziges Handy auf dessen Display Shah Rukh Khan und seine Schauspielerkollegen tanzten.