Hin und wieder begegnet man in der Bahn Leuten, die wirken, als hätte man sie im falschen Film ausgesetzt. An diesem Morgen als ich um kurz nach sieben zur Arbeit fuhr ist mir das wieder passiert. Ich stieg zwischen all den vielen Menschen in Büroklamotten, mit Kaffeebechern in der Hand und Zeitung unterm Arm in die Regionalbahn zum Kölner Hauptbahnhof.
Da sah ich die drei bunten Gestalten: Ein grün gekleideter Mann mit einem gelben Mexikanerhut, ein Mann im blauen Bauarbeiteroverall mit Helm auf dem Kopf und ein dritter, der ein dunkles Ganzkörperbärenfell trug. Sie hielten Kölschflaschen in der Hand und wirkten heiter. Bald begannen sie zu singen „Unn wenn et Trömmelsche jeht…“ Es kam mir nicht sehr ungewöhnlich vor: Schließlich war es der 11.11. Sessionsbeginn in Köln. Sessionsbeginn in meiner Bahn.
Die Mitreisenden sahen das nicht so. Viele Anzug- und Krawattenträger reckten die Hälse. Damen mit Laptop-Täschchen starrten unverwandt. Manch einer schüttelte den Kopf. Den Jecken entging das keineswegs. Schon nach einem Lied machten sie Schluss mit dem Gesang, nippten halbherzig an ihrem Bier und sahen sich ratlos an, bis der Bär fragte: „Ja wo sindse denn die ganzen Kölner Jecken?“ Er hatte schwäbischen Akzent. „Schau mal, da iss scho die Kirche“, sagte der Bauarbeiter, der ebenfalls schwäbelte. „Des heischt hier Dom“, korrigierte der Mexikaner, der erkennbar ebenso wenig aus Köln stammte, wie aus Mexiko. Leicht beklommen stiegen die drei schließlich aus – erkennbar von Sorge gequält, dass die Party vielleicht ausfallen könnte. Und sie hatten nicht ganz unrecht: Schließlich verbreiten vielerlei Medien mit Lokalkolorit, dass Bützchen in Zeiten der Schweinegrippe einer tödlichen Gefahr gleichkommen und es in diesem Jahr eigentlich nur eine einzige akzeptable Verkleidung gibt: Die der Krankenschwester – mit Mundschutz.
Ich persönlich begab mich jedenfalls in keine weitere Gefahr: Der ICE nach Frankfurt war wie gewohnt jeckenfrei. Auch abends auf der Rückfahrt, als der Ansager auf halber Strecke versuchte, in kölsch-freundlicher Art für das Bord-Bistro zu werben, verdrehten allenfalls ein paar Fahrgäste die Augen. Als ich ausstieg, erkannte ich allerdings den Hauptbahnhof kaum wieder. Da sah ich Prinzessinnen und Funkemariechen, Indianer und Piraten, Bienen, Blumen, ja sogar Kühe. Keine Schweine, keine Krankenschwestern. Und keine Schwaben.
Später in der U-Bahn konnte ich ein Gespräch zwischen zwei Männern im Studentenalter mithören: „Meine Kumpels, die haben krass früh angefangen heute“, sagte der eine. „Wann denn?“, fragte der andere. „So um sieben.“ – „Unglaublich, da war doch noch gar nix los.“ – „Nee, natürlich nicht, vernünftige Leute schlafen noch um die Uhrzeit.“ – „Lass mich raten“, sagte ich. „Sie sind als Mexikaner, Bauarbeiter und Bär verkleidet und kommen aus Schwaben.“ Die beiden Studenten sahen mich komisch an. Ich stieg schnell aus. Bestimmt denken sie jetzt, ich hätte seit sieben Uhr morgens durchgefeiert.
Mundschutz vor aller Munde und...
Mundschutz vor aller Munde und Prinzessinen, Bienen und Blumen in Ehren: hiess die Schweinegrippe zu Beginn nicht Mexikogrippe (derjenige mit Sombrero)? Und unser Bauarbeiter schützt sich mit Helm vor Apokalypse 2012 und auch der (Eis)Bär verliert gefrorenen Boden unter den Füssen. Ein Hoch auf die drei Schwaben in ihren aufrüttelnden Kostümen, die auch an lustigen Tagen die weltweiten Bedrohungen im Auge behalten.
Sind die Teilnehmer an dem...
Sind die Teilnehmer an dem Spektakel eigentlich überwiegend echte Kölner oder doch mehrheitlich Touristen, Angestellte im öffentlichen Dienst in Stuttgart oder Hausfrauen aus der Lüneburger Heide? Und wenn ja, könnte man daraus schließen, daß das Brauchtum in der nächsten oder übernächsten Generation ähnlich afrikanischen Eingeborenentänzen ausschließlich noch für Touristen aufgeführt wird?
@ute: berechtigte frage,...
@ute: berechtigte frage, meiner erfahrung nach. alle! hauptsächlich aber studenten, kölsche angestellte, gemischt mit vielleicht 30-40% touri anteil, die sich für den mist auch noch urlaub genommen haben. ab 12 uhr kommen noch schülerinnen und schüler dazu, die meistens dann gegen 14 uhr mit dem orangen taxi nach hause gefahren werden (wahlweise auch mit dem grün-weißen).
wer das wahre gesicht des karnevals sehen will, der gehe abends über die zülpicher straße (quartier lateng) und guckt sich die üblen reste des tages an.
ein gutes hats, ähnlich wie in einem guten theaterstück, bekommt man komprimiert alle facetten des menschlichen lebens geboten. beziehungsdramen, alkoholvollrausch, schlägereien, neue eroberungen des anderen geschlechts, freundschaftsbekundungen, weltliebe und weltschmerz.
@Don Demenzi
Sie haben den...
@Don Demenzi
Sie haben den Karneval nicht verstanden. Ich empfehle den Umzug nach Hannover oder Essen und Ihr Problem hat sich erledigt.
Das Verhältnis von...
Das Verhältnis von Nicht-Rheinländern zum Karneval finde ich immer wieder spannend. Entweder Liebe oder völliges Unverständnis.
Als rheinländische Ur-Einwohnerin einer Karnevalhochburg ist es für mich so natürlich wie Weihnachten zu feiern und Ausdruck der fröhlichen rheinischen Lebensart.
Insbesondere mit Schwaben hatte ich allerdings einige unerfreuliche Erlebnisse – ungefähr wie ein Treffen von Metzgermeister und Veganer. „Bekehrungsversuche“ sind da völlig zwecklos; schade eigentlich, die wissen gar nicht, was sie verpassen …
<i>"Der ICE nach Frankfurt war...
„Der ICE nach Frankfurt war wie gewohnt jeckenfrei.“
Das fällt mir schwer zu glauben. Ich gehe davon aus, daß sie lediglich nicht offensichtlich verkleidet waren.