Zweiter Klasse

Kakaosuppe im Bord-Restaurant

Die Feiertage sind vorüber und so bin ich wieder zurück an Bord meines geliebten ICE. Es ist das neue Jahr und ich habe einen Pendler-Vorsatz gefasst: Ich werde – nur ein einziges Mal – der einladenden Stimme aus dem Lautsprecher folgen und mich in den Wagen 23 oder 33 begeben, um die „Auswahl an Speisen und Getränken in unserem Bord-Bistro und Bord-Restaurant“ auszuprobieren. Allerdings werde ich nicht irgendwelche Speisen probieren. Sondern ein Gericht aus dem Sternekoch-Projekt, das nun schon seit vielen Monaten läuft und die Bordgastronomie in den Zügen aufpeppen soll.

Das Projekt geht so: Jeden Monat serviert das Bord-Restaurant der Bahn einige Gerichte nach den Rezepten eines Sternekochs aus immer einem anderen deutschen Bundesland. Der jeweilige Edel-Küchenchef und seine – idealerweise regional gefärbten Spezialitäten – werden auf einer Seite des Bord-Magazins ausführlich vorgestellt. Diesen Monat hat Dirk Schröer die Spezial-Gerichte kreiert. „Der Küchenchef im ,Caroussel‘, dem Restaurent des ,Relais & Château Hotels Bülow Residenz Dresden‘ wird für seine Kochkunst seit Jahren mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet“, heißt es in der Bahn-Zeitschrift „Mobil“.

Also kocht das Bord-Restaurant nun Königsberger Klopse á la Schröer oder geschmortes Masthuhn in Dunkelbiersauce mit Kartoffelpüree. Klingt zwar nicht unbedingt nach Sterneküche, aber ganz anständig. Trotzdem entscheide ich mich vorerst für die „cremige Sauerkrautsuppe mit Apfelmost und Kasseler“ – natürlich ebenfalls nach Schröerschem Rezept.

Als der eher wortkarge Bahn-Mitarbeiter das edle Gericht liefert, bin ich sehr gespannt. Doch der Anblick enttäuscht. In der Suppentasse schwimmt eine blasscremefarbene, breiig anmutende Flüssigkeit mit Stückchen. Daneben liegt ein trockenes, automatengebackenes, weißes Brötchen. Allein die eher überschaubare Größe der Portion erinnert an Gourmetküche.

Wenn das Dirk Schröer im schönen Dresden sähe, müsste er sich doch eigentlich gruseln, denke ich, als ich den Löffel eintauche (gar nicht so einfach bei schwankenden 300 ICE-Km/h). Die Suppe ist irgendetwas zwischen lauwarm und kühl. Sauer ist sie jedenfalls nicht, bloß die Stückchen erinnern vage an Sauerkraut. Das Kasseler-Fleisch ist in Quadrate geschnitten, die nach Fließbandproduktion aussehen. Die Fettränder sind noch dran. Meine Sorge um Dirk Schröers Ruf wächst.

Der Suppe hilft nur eine ordentliche Portion Würze, denke ich und greife beherzt nach Pfeffer- und Salzstreuer, die auf dem Tisch stehen. Doch als der Pfeffer auf der Suppe gelandet ist, werde ich stutzig. Er wirkt seltsam staubig. Und seltsam hell. Ich ahne Schlimmes.

Tatsächlich! Die Sauerkrautsuppe schmeckt nicht länger nur nicht-sauer, sondern ziemlich süß. Schokoladig. Ich sehe mir den Pfefferstreuer genauer an und mein Verdacht bestätigt sich: Er enthält Kakaopulver! Wenn das Dirk Schröer wüsste!

Nachdem ich den Kakao so gut wie möglich von der Suppenoberfläche gefischt habe, gelingt es mir den Kellner anzuhalten. Mit dem Inhalt des Pfefferstreuers konfrontiert murmelt er: „Das muss wohl jemand verwechselt haben“ und eilt schnell von dannen. Ein Raunen geht durch das Bord-Restaurant. „Hat er Ihnen tatsächlich keine neue Suppe angeboten?“, fragt meine Tischnachbarin. „Hat er sich tatsächlich nicht entschuldigt?“, fragt die Dame am Nebentisch. Hat er nicht.

Als der Kellner wiederkommt, spult er sofort sein auswendig gelerntes Programm ab. „Darf ich das mitnehmen? Hat es geschmeckt?“ – „Nachdem ich den Kakao abgefischt hatte…“, setze ich an – doch da ist er schon wieder weg. Wenn das Dirk Schröer…

Als die Rechnung kommt schöpfe ich Hoffnung. Bestimmt hat er die Suppe nicht berechnet, sondern nur mein Getränk. Oder er bietet gleich einen Umsonst-Espresso zum Ausgleich an. Oder … Doch nichts passiert. Ich versuche es noch einmal: „Der Kakao in meiner Suppe…“ – „Ach so, ach ja, Sie können noch ein Gratis-Getränk zum Ausgleich haben“, sagt der Kellner und wirkt auf einmal nervös. Beim Geldwechseln verrechnet er sich erstmal. Er tut mir ein bisschen Leid. Sterneküche aus der Mikrowelle bei 300 Km/h ist offenbar einfach zu viel für ihn.

Mit süßlich-schokoladigem Geschmack im Mund verlasse ich in Köln den Zug. Ins Bord-Restaurant werde ich künftig nur noch im Notfall gehen. Nur noch bei sehr großem Hunger. Oder falls ich mal nach Dresden reise. Dann werde ich mir ein Tupperdöschen mitnehmen, eine Sauerkrautsuppe bestellen und sie in einem unbeobachteten Moment heimlich abfüllen. Anschließend werde ich ins Restaurant „Caroussel“ gehen und mein Tupperdöschen dem Küchenchef übergeben. Wenn die Suppe dem Herrn Schröer nicht schmecken sollte, werde ich ihm einen Kakaostreuer reichen – zum Verfeinern. Denn falls er im nächsten Jahr keinen Michelin-Stern mehr bekommen sollte, sollte er doch wenigstens wissen, warum.

Die mobile Version verlassen