Zweiter Klasse

Zweiter Klasse

„Wenn du zur Arbeit gehst am frühen Morgen, wenn du am Bahnhof stehst mit deinen Sorgen, da zeigt die Stadt dir asphaltglatt im Menschentrichter

Kakaosuppe im Bord-Restaurant

| 13 Lesermeinungen

Es ist das neue Jahr und ich habe einen Pendler-Vorsatz gefasst: Ich werde - nur ein einziges Mal - der einladenden Stimme aus dem Lautsprecher folgen und mich in den Wagen 23 oder 33 begeben, um die „Auswahl an Speisen und Getränken in unserem Bord-Bistro und Bord-Restaurant" auszuprobieren. Tatsächlich gibt es bizarre kulinarische Kreationen zu entdecken.

Die Feiertage sind vorüber und so bin ich wieder zurück an Bord meines geliebten ICE. Es ist das neue Jahr und ich habe einen Pendler-Vorsatz gefasst: Ich werde – nur ein einziges Mal – der einladenden Stimme aus dem Lautsprecher folgen und mich in den Wagen 23 oder 33 begeben, um die „Auswahl an Speisen und Getränken in unserem Bord-Bistro und Bord-Restaurant“ auszuprobieren. Allerdings werde ich nicht irgendwelche Speisen probieren. Sondern ein Gericht aus dem Sternekoch-Projekt, das nun schon seit vielen Monaten läuft und die Bordgastronomie in den Zügen aufpeppen soll.

Das Projekt geht so: Jeden Monat serviert das Bord-Restaurant der Bahn einige Gerichte nach den Rezepten eines Sternekochs aus immer einem anderen deutschen Bundesland. Der jeweilige Edel-Küchenchef und seine – idealerweise regional gefärbten Spezialitäten – werden auf einer Seite des Bord-Magazins ausführlich vorgestellt. Diesen Monat hat Dirk Schröer die Spezial-Gerichte kreiert. „Der Küchenchef im ,Caroussel‘, dem Restaurent des ,Relais & Château Hotels Bülow Residenz Dresden‘ wird für seine Kochkunst seit Jahren mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet“, heißt es in der Bahn-Zeitschrift „Mobil“.

Also kocht das Bord-Restaurant nun Königsberger Klopse á la Schröer oder geschmortes Masthuhn in Dunkelbiersauce mit Kartoffelpüree. Klingt zwar nicht unbedingt nach Sterneküche, aber ganz anständig. Trotzdem entscheide ich mich vorerst für die „cremige Sauerkrautsuppe mit Apfelmost und Kasseler“ – natürlich ebenfalls nach Schröerschem Rezept.

Als der eher wortkarge Bahn-Mitarbeiter das edle Gericht liefert, bin ich sehr gespannt. Doch der Anblick enttäuscht. In der Suppentasse schwimmt eine blasscremefarbene, breiig anmutende Flüssigkeit mit Stückchen. Daneben liegt ein trockenes, automatengebackenes, weißes Brötchen. Allein die eher überschaubare Größe der Portion erinnert an Gourmetküche.

Wenn das Dirk Schröer im schönen Dresden sähe, müsste er sich doch eigentlich gruseln, denke ich, als ich den Löffel eintauche (gar nicht so einfach bei schwankenden 300 ICE-Km/h). Die Suppe ist irgendetwas zwischen lauwarm und kühl. Sauer ist sie jedenfalls nicht, bloß die Stückchen erinnern vage an Sauerkraut. Das Kasseler-Fleisch ist in Quadrate geschnitten, die nach Fließbandproduktion aussehen. Die Fettränder sind noch dran. Meine Sorge um Dirk Schröers Ruf wächst.

Der Suppe hilft nur eine ordentliche Portion Würze, denke ich und greife beherzt nach Pfeffer- und Salzstreuer, die auf dem Tisch stehen. Doch als der Pfeffer auf der Suppe gelandet ist, werde ich stutzig. Er wirkt seltsam staubig. Und seltsam hell. Ich ahne Schlimmes.

Tatsächlich! Die Sauerkrautsuppe schmeckt nicht länger nur nicht-sauer, sondern ziemlich süß. Schokoladig. Ich sehe mir den Pfefferstreuer genauer an und mein Verdacht bestätigt sich: Er enthält Kakaopulver! Wenn das Dirk Schröer wüsste!

Nachdem ich den Kakao so gut wie möglich von der Suppenoberfläche gefischt habe, gelingt es mir den Kellner anzuhalten. Mit dem Inhalt des Pfefferstreuers konfrontiert murmelt er: „Das muss wohl jemand verwechselt haben“ und eilt schnell von dannen. Ein Raunen geht durch das Bord-Restaurant. „Hat er Ihnen tatsächlich keine neue Suppe angeboten?“, fragt meine Tischnachbarin. „Hat er sich tatsächlich nicht entschuldigt?“, fragt die Dame am Nebentisch. Hat er nicht.

Als der Kellner wiederkommt, spult er sofort sein auswendig gelerntes Programm ab. „Darf ich das mitnehmen? Hat es geschmeckt?“ – „Nachdem ich den Kakao abgefischt hatte…“, setze ich an – doch da ist er schon wieder weg. Wenn das Dirk Schröer…

Als die Rechnung kommt schöpfe ich Hoffnung. Bestimmt hat er die Suppe nicht berechnet, sondern nur mein Getränk. Oder er bietet gleich einen Umsonst-Espresso zum Ausgleich an. Oder … Doch nichts passiert. Ich versuche es noch einmal: „Der Kakao in meiner Suppe…“ – „Ach so, ach ja, Sie können noch ein Gratis-Getränk zum Ausgleich haben“, sagt der Kellner und wirkt auf einmal nervös. Beim Geldwechseln verrechnet er sich erstmal. Er tut mir ein bisschen Leid. Sterneküche aus der Mikrowelle bei 300 Km/h ist offenbar einfach zu viel für ihn.

Mit süßlich-schokoladigem Geschmack im Mund verlasse ich in Köln den Zug. Ins Bord-Restaurant werde ich künftig nur noch im Notfall gehen. Nur noch bei sehr großem Hunger. Oder falls ich mal nach Dresden reise. Dann werde ich mir ein Tupperdöschen mitnehmen, eine Sauerkrautsuppe bestellen und sie in einem unbeobachteten Moment heimlich abfüllen. Anschließend werde ich ins Restaurant „Caroussel“ gehen und mein Tupperdöschen dem Küchenchef übergeben. Wenn die Suppe dem Herrn Schröer nicht schmecken sollte, werde ich ihm einen Kakaostreuer reichen – zum Verfeinern. Denn falls er im nächsten Jahr keinen Michelin-Stern mehr bekommen sollte, sollte er doch wenigstens wissen, warum.


13 Lesermeinungen

  1. Cao Ky sagt:

    Das Konzept mit der regionalen...
    Das Konzept mit der regionalen Kueche ist recht interessant (machen manche Airlines ebenfalls – wer hat da wohl von wem abgespickt?), aber wenn es mit der Umsetzung so wie von Ihnen geschildert hapert, ist der Gast schnell vergrault! Zumindest die Suppentemperatur haette stimmen sollen. Das mit dem Kakao in dem Pfefferstreuer koennte unter Umstaenden auch ein Streich boeser Mitreisender gewesen sein … immerhin, Sie haben etwas im Bord Bistro erlebt :).

  2. Da haben Sie aber noch Glück...
    Da haben Sie aber noch Glück gehabt, Frau Bös. Normalerweise wird man von einem Mitropa Misanthropen laut beschimpft, wenn man an ihrem lausigem Service etwas auszusetzen hat. Für die nächste Reise empfehle ich Ihnen belegte Brote und eine Thermoskanne. Noch ist bei der Bahn der Flüssigkeitswahn nicht ausgebrochen, Sie dürfen mitgebrachtes ohne Aufschlag verzehren.
    Die Idee, Sterneköchen die Bahn als Plattform anzubieten, ist prinzipiell nicht schlecht. Leider ist die Durchführung unter den Bordbedingungen, mit dem Bordpersonal, einfach nicht möglich. Der Vorstand, der das beschlossen hat, ist offenkundig schon sehr lange nicht mehr mit der Bahn gefahren. Ich würde auch einen Chauffeur bevorzugen, wenn ich könnte.

  3. Merle sagt:

    Köstlich! Das mit der...
    Köstlich! Das mit der Tupper-Dose sollten Sie wirklich machen. Geht auch per Post. Und dann die stammelnde Antwort des „Sterne“-Kochs mitteilen.

  4. Bleiben nur zwei...
    Bleiben nur zwei Möglichkeiten: Anerkennen das es bei der Bahn reicht das ein Gourmet-Koch 50m neben dem Musterkochtopf stand – 1x –, oder gleich den Pride of Africa von Rovos Rail wählen, wo sowas nicht passiert.

  5. Patric Auner sagt:

    Wie immer in Deutschland:...
    Wie immer in Deutschland: Meckern… Ich hätte erstens die kalte Suppe zurückgegeben, wenn wirklich Kakao im Streuer gewesen ist erst recht. Das einzige was ich bestätigen kann sind die Automatenbrötchen… Echt Schlimm… Aber das Bordrestaurant ist im Vergleich zum TGV in Frankreich besser. Und das Personal könnte echt freundlicher sein. Aber wie man zum Personal spricht, so die Antwort. Ich hatte auf meinen Fahrten nach Zürich mit TGV und ICE immer riesigen Spass und gute Unterhaltung mit dem Personal.

  6. Gaston sagt:

    Hihihi, schön, dass die...
    Hihihi, schön, dass die Erfahrungen im ICE-Bordrestaurant irgendwie immer gleich klingen (die Damen und Herren zwischen Hamburg und Dortmund sind auch immer etwas mürrisch drauf – vielleicht müssen die ihr selbst verbrochenes Essen futtern ;-).
    @Kreuzfahrtinspektor: Der Pride of Africa fährt halt blöderweise weder zwischen Frankfurt und Köln noch zwischen Hamburg und Dortmund…
    Und nur zum „lecker essen“ mit Zugfahrt nach Südafrika zu fliegen scheint mir etwas overdone.

  7. elbsegler sagt:

    Der Spesisewagen ist ein ganz...
    Der Spesisewagen ist ein ganz besonderer Ort. Als Kind stnd man bewurndernd vor den Fenstern, sah die kleinen Tischlampen und den Kellner und war fasziniert von der Vorstellung, dass in einem fahrenden Zug richtig gekocht werden kann. Der Besuch im Speisewagen war nur ein Traum. Denn im Gegensatz zur magischen Erscheinung des Wagens am Bahnsteig standen die Kommentare der Erwachsenen: Um Himmels Willen! Viel zu teuer! Und das Essen taugt auch nichts! Ich gebe zu, noch nie in einem Speisewagen gegessen zu haben. Einmal habe ich mir im kleinen Bruder, dem Bistrowagen, Nürnberger Würstel mit Kraut und Kartoffeln zu bestellen gewagt. Dazu ein Bier. Draußen war es kalt, der Regen prasselte an die Scheiben. Irgendwie war die Welt in diesem Moment für mich in Ordnung.
    Eigentlich könnte alles so schön sein. das Problem des Speisewagens ist der unehrliche Umgang mit ihm. Die Bahnoberen schütten die triste Realität mit dem üblichen vernebelnden Marketingdeutsch zu und der Kunde will nicht begreifen, dass es ein Speisewagen ein Luxus ist. Es wäre eben sehr teuer unter den Bedingungen gut zu kochen. Die Personal- und Sachkosten sind eben gemessen an der Zahl der Plätze und deren durchschnittlicher Belegung im Vergleich zu einem stationären Restaurant wesentlich höher. Den Preis dafür will aber niemand zahlen. Also wird an allen Ecken gespart. Relativ bleibt aber der Preis auch für ein mittelmäßiges Mikrowellenessen zu hoch. Zieht die Bahn die Notbremse und erklärt, die Speisewagen abzuschaffen, bricht ein Sturm der Entrüstung los. Auf ein Mal sind alle Deutschen bekennende Speisewagenfreunde auch wenn sie entweder nie mit der Bahn fahren oder wenn doch, den Speisewagen höchstens aufsuchen, um dort den letzten freien Sitzplatz ergattern, den sie dann mit der großzügigen Bestellung eines Glases Mineralwasser bezahlen.
    Lauwarme Sternekochsuppe mit Kakao ist aber ein Problem, dass nichts mit dem Speisewagen als solchem zu tun hat. Wer sich die Bieten läßt ist selber schuld – gleich ob im Speisewagen oder anderswo.
    PS: Einen ICE mit dem Pride of Africa zu vergleichen erscheint mir etwas albern. Dazu kann ich nur sagen, wenn der ICE so langsam wäre, wie der Pride of Africa, würde auch im ICE besser gekocht. 😉

  8. Musil sagt:

    Mich wundert, welch Sternekoch...
    Mich wundert, welch Sternekoch seinen Namen für ein Microwellengericht hergibt. Es gibt eine wundervolle Alternative: Wer einmal in Polen mit einem D-Zug unterwegs ist, suche den Barwagen der Firma „Wars“ auf. Dort bekommt man Bigos (Sauerkrauteintopf) aus einem großen Topf oder eine Bratwurst, die vor den eigenen Augen auf dem Gasherd gebraten wird. Dazu ein kühles Bier oder ein heißer Kaffee, der nicht aus dem Instant-Automaten kommt.
    Das ist kein Sternemenue, aber es wird auch nicht als solches angeboten. Dafür ist es preiswert und schmeckt gut. Was aber will ich mehr?

  9. Die Speisen im Bordrestaurant...
    Die Speisen im Bordrestaurant und Bordbistro der DB-Fernzüge IC/ICE einschl. ICE International (bis auf den Currywurst- und Pizza-Blödsinn) sind wirklich gut. Auch die wechselnden Angebote der „Spitzenköche“. Das Problem ist das Personal (das weiß auch die DB): Die können das nicht richtig erhitzen (nehmen manchmal die Mikrowelle statt den vorgeschriebenen Dampfgarer) und nicht nach Vorlage anrichten! Und die haben auch keine Lust und sind oftmals eben sehr mürrisch und nicht kundenfreundlich. Das neu eingestellte und geschulte ICE-Personal in der 1. Klasse macht seinen Job meilenweit besser und lässt fehlerhaft produzierte Speisen gar nicht erst zum Kunden durchgehen.

  10. seasons sagt:

    @Kreuzfahrtinspektor:

    Im...
    @Kreuzfahrtinspektor:
    Im „Pride of Africa“ tragen die Kellner sicherlich auch weisse Handschuhe und sprechen Sie mit Mister an.

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