Zweiter Klasse

Zweiter Klasse

„Wenn du zur Arbeit gehst am frühen Morgen, wenn du am Bahnhof stehst mit deinen Sorgen, da zeigt die Stadt dir asphaltglatt im Menschentrichter

Kein Schnee von gestern

| 9 Lesermeinungen

In Sachen Schnee und Eis kam es nur in den wenigsten Teilen Deutschlands so schlimm, wie es die Fernseh-Wetterfrösche befürchtet hatten. Sturmtief Daisy - das ist längst Schnee von gestern. Auch bei der Bahn? Ein Reiseprotokoll der vergangenen fünf Tage.

Das Sturmtief „Daisy“ ist beinahe schon zum Synonym für reißerische Übertreibungen sämtlicher Fernseh-Wetterstationen geworden. Wovor war da nicht alles gewarnt worden: 40 Zentimeter Schnee in Köln auf einen Schlag. Schneeverwehungen, die alles lahm legen. Eisige Windböen. Spiegelglatte Straßen. Hamsterkäufe sollten wir tätigen, hieß es und nur noch mit Decke und Thermoskanne bewaffnet ins Auto steigen.

So schlimm wie befürchtet kam es in den wenigsten Teilen Deutschlands. Und in so manchem Bericht der Fernseh-Wetterfrösche über die geplagten Regionen in Ostvorpommern oder Schleswig-Holstein bekam der Zuschauer beinahe das Gefühl, der Berichterstatter sei geradezu dankbar, dass die groß angekündigte Katastrophe doch zumindest in einem kleinen Teil Deutschlands nicht völlig ausgeblieben war. Daisy jedenfalls ist definitiv Schnee von gestern. Heute ist einfach nur noch Schnee. Verschneite Winterlandschaften, Rodeln und ein bisschen Romantik.

Und die Bahn? Auch die Bahn, so hieß es, sei schlecht vorbereitet gewesen auf Daisy – und überhaupt auf Schnee und Eis. Eingefrorene Weichen, vereiste Oberleitungen und dazu noch zu wenige Züge – schlicht: Schlechte Winterausrüstung. Auch alles übertrieben? Auch alles Schnee von gestern? Aus der subjektiven Sicht einer Pendlerin mag folgendes Reiseprotokoll für sich sprechen

Samstag, 9. Januar, Wochenenddienst. Hinfahrt: Einigermaßen pünktlich erreicht mein ICE am Morgen Köln Deutz. Die Freude währt nicht lange: „Meine Damen und Herren, aufgrund der Witterung ist es auf der Strecke zu Zugausfällen gekommen. Deshalb hält unser Zug heute außerplanmäßig auch in Köln/Bonn Flughafen, Siegburg/Bonn, Montabaur und Limburg Süd. Die dadurch entstehende Verspätung bitten wir zu entschuldigen.“ Ankunft in Frankfurt am Main: 20 Minuten zu spät.

Samstag, 9. Januar, Rückfahrt. Der ICE International, planmäßige Abfahrtszeit in Frankfurt Hauptbahnhof 18.29 Uhr entfällt. Keine weitere Erklärung. Später wird klar, dass die Züge nach Brüssel und Amsterdam die ganze Woche über nicht fahren werden. Als Grund für das eingeschränkte Angebot heißt es, die Bahn käme mit der Wartung der Züge nicht hinterher, da sie regelmäßig aufwändig enteist werden müssten. Dann vielleicht der ICE um 18.10 Uhr? Auf Bahn.de heißt es dazu lapidar: „+20 Minuten“. Ich entscheide mich für eine Verbindung mit Umstieg in Frankfurt Flughafen. Doch schon in Frankfurt Stadion ist wieder Schluss: „Meine Damen und Herren, wegen einer Weichenstörung wird sich unsere Weiterfahrt auf unbestimmte Zeit verzögern.“ Die „unbestimmte Zeit“ dauert 45 Minuten.

Sonntag, 10. Januar, immer noch Wochenenddienst. Der Morgen-ICE ist halbwegs pünktlich in Köln Deutz, fährt aber statt 300 km/h  die meiste Zeit  nur 160. „Aus Sicherheitsgründen.“ Verspätung: ca. 30 Minuten.

Sonntag, 10. Januar, Rückfahrt. Der Ausfall des ICE-International ist einkalkuliert. Der Zug um 18.10 Uhr ist pünktlich. Der Spuk scheint halbwegs überstanden. Wirklich?

Montag, 11. Januar. Pünktlich um 7.44 Uhr erreicht der ICE Köln Deutz. Wie gewohnt stehe ich im hinteren Bereich des Bahnsteigs. Doch der ICE hält gefühlte 500 Meter von mir entfernt: Ein Zugteil ist ausgefallen, der Zug nur halb so lang wie normalerweise, es gibt nur halb so viele Plätze. Mir bleibt ein ca. DIN-A-4-Blatt-großer Stehplatz. „Aufgrund eines technischen Defekts verkehrt unser Zug heute nur mit einem Zugteil. Wir bitten die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen.“ Verspätung bei Ankunft in Frankfurt am Main: Ca. 15 Minuten.

Montag, 11. Januar. Rückfahrt. Kurz hinter Montabaur. „Meine Damen und Herren, aufgrund einer Signalstörung ist unser Zug außerplanmäßig zum Halten gekommen. Unsere Weiterfahrt wird sich daher auf unbestimmte Zeit verzögern.“ – „Den Rest der Woche geh ich zu Fuß, das ist schneller“, murmelt ein Mitreisender schräg gegenüber. Verspätung an diesem Abend: Ca. 30 Minuten.

Dienstag, 12. Januar, Spätdienst. Der Zug ab Köln Hauptbahnhof Richtung Frankfurt entfällt. Ohne Begründung. Verspätung bei Ankunft: Ca. 20 Minuten.

Rückfahrt um 23.10 Uhr. Ankunft in Köln 0.39 Uhr. Verspätung: Keine. Endlich!

Mittwoch, 13. Januar. Morgens am Bahnhof sehe ich den Mann wieder, der eigentlich den Rest der Woche zu Fuß gehen wollte. Aus dem Vorsatz wurde wohl nichts. Hätte sich  diesmal auch nicht gelohnt. Verspätung an diesem Morgen: „Nur“ knapp 10 Minuten

Mittwoch, 13. Januar, Rückfahrt. Da der ICE International natürlich entfällt, muss ich wieder früher zum Bahnhof als sonst. Es lohnt sich nicht. Schon bei Ankunft in Frankfurt hat mein Zug 20 Minuten Verspätung. Die hält er tapfer bis ca. 50 Meter vor dem Kölner Bahnhof. Vor der Einfahrt noch einmal 5 Minuten Aufenthalt auf der Hohenzollernbrücke: „Leider ist unser Einfahrgleis noch belegt.“ Zeitverlust an diesem Abend: 25 Minuten.

Fünf Tage nach Daisy ist es nun Zeit für eine Bilanz. Zusammengerechnet haben mich die Bahnverspätungen wegen Schnee und Eis drei Stunden und 15 Minuten meiner Freizeit gekostet. Das ist mehr als zwei Kinofilmlängen. Oder drei Trainigseinheiten im Fitnessstudio. Oder zwei Fußballspiele. Drei Waschmaschinen Wäsche, mindestens sechs Einkäufe im Lebensmittelladen, zweieinhalb Besuche beim Zahnarzt. Immerhin: Wenn ich mir demnächst mal wieder Vorwürfe mache, wegen zu wenig Sport, zu viel Fastfood oder wegen des schon wieder aufgeschobenen Zahnarztbesuchs, werde ich gelassen bleiben. Der Schuldige ist identifiziert. Es ist die Bahn.


9 Lesermeinungen

  1. Ariadne sagt:

    Mir fällt immer der schöne...
    Mir fällt immer der schöne alte Spruch über die vier größten Feinde der Deutschen Bahn ein: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Im real existierenden Sozialismus kamen noch Tag und Nacht dazu…

  2. "Oder drei Trainigseinheiten...
    „Oder drei Trainigseinheiten im Fitnessstudio. Oder zwei Fußballspiele. Drei Waschmaschinen Wäsche, mindestens sechs Einkäufe im Lebensmittelladen, zweieinhalb Besuche beim Zahnarzt.“
    Aber, aber – auch dort muss man warten! Ob in der Schlange oder weil Trainingsvorgänger entschieden haben länger bleiben (weil sie sich selber verspätet haben), der Halbzeitpause oder einem langweiligen Spiel, ödem Waschmaschinenbefüllen oder mehreren Steinzeiten warten beim Zahnarzt.
    Das Gute daran war und ist doch: bei der Bahn ist es immer warm (wenn die Heizung nicht ausgefallen ist und man nicht mehr auf dem Bahnhof steht), selber lenken und fahren muss man auch nicht (man zahlt nur dafür das es andere tun), man kann sogar aufrecht stehen (im PKW meist nicht möglich), und – grade bei Schneewehen sehr begrüßenswert – man kann nicht von der Fahrbahn abkommen.

  3. BlackJack66 sagt:

    Schön wenn wir alle immer...
    Schön wenn wir alle immer einen Schuldigen finden. Ist irgendwie wie die Reise nach Jerusalem, wer nicht schnell genug mit dem Finger auf einen anderen zeigt hat verloren. Ich frage mich nur auf wen Daisy zeigt, am Ende gar auf uns??

  4. BlackJack66 sagt:

    @ Ariadne: genialer Spruch!...
    @ Ariadne: genialer Spruch! Chapeau Madame chapeau

  5. Fischkopp sagt:

    Nachdem ich 2 Jahre mehr in...
    Nachdem ich 2 Jahre mehr in Fliegern und Zügen in Großbritannien verbracht hatte, fahre ich nun seit Oktober wieder regelmäßig längere Strecken mit der Deutschen Bahn. Unabhängig von Daisy habe ich den Eindruck gewonnen, dass die technisch bedingten Ausfälle und Verspätungen bei der Bahn rapide zugenommen haben. Ich habe daher meine eigene kleine Statistik angefertigt. Bei 3 von 4 Verbindungen kam es zu Verspätungen von mehr als 10 Minuten, zwei mal zu Komplettausfällen und regelmäßig zu Teilausfällen (fehlender Zugteil, gesperrte Abteile). Oft waren die angegebenen Gründe widersprüchlich (Im Bahnhof: „Wegen Überlastung im Streckenbereich…“ Zugführer: „Aufgrund eines technischen Defektes am Triebwagen“ ….und das bei einem ICE 3 ohne Triebwagen?). Aber in etwa der Hälfte der Fälle wurde ein technisches Problem angegeben. Mein Fazit: Ich sehne mich nach der ach so schrecklichen brittischen Bahn zurück.

  6. deLondres sagt:

    @Fischkopp: Wirklich? ich...
    @Fischkopp: Wirklich? ich kenne die britischen Eisenbahnen (inkl Eurostar) nach 2 1/2 Jahren auf der Insel inzwischen auch ganz gut und ganz ehrlich sehne mich mir eher die Deusche Bahn zurück (Ok, Virgin Rail ist ggf besser als die Bahn): In England fallen auch Züge aus, allerdings ist das Informationsmanagement viel schlechter als das der Bahn und die Entschädigungsregelungen sind auch unklar bzw. nicht vorhanden. Eurostar entschädigt z.b. nach Gütdünken und erst bei >10 Stunden Verspätung… bei der Bahn weiß ich immerhin, dass es ab 1 Std. anteilig Geld zurück gibt (natürlich haben viele Züge dann „nur“ 56 Minuten Verspätung…) und die Kundenrechtslage ist deutlich klarer.
    nevertheless: Die Zugausfälle nach brüssel und Amsterdam sind blamabel für die Bahn!

  7. cj sagt:

    @ Fischkopp

    da kann ich Ihnen...
    @ Fischkopp
    da kann ich Ihnen nur zustimmen. Ich hatte in England vielleicht vier oder fünf Verspätungen im Jahr und die waren aller unter einer Stunde! Hier hat mein ICE vier mal die Woche Verspätung wenn nicht gar ein Zugteil, o.ä. ausfällt
    Wobei man der DB eines zugestehen muß: in England habe ich für 40 Meilen 45min gebraucht – hier ist man in einer Stunde knapp 120km weit gekommen

  8. @Ariadne: wie wahr.... :)...
    @Ariadne: wie wahr…. 🙂

  9. Fischkopp sagt:

    @deLondres: Das war natürlich...
    @deLondres: Das war natürlich als Provokation gedacht. Ich wünsche mir weder die „Schnelligkeit“ noch die „Übersichtlichkeit“ oder gar die Preise (besonders bei kurzfristigen Buchungen) der britischen Bahnen nach Deutschland. Aber die derzeitige Unverlässlichkeit der DB ist erschreckend.

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