Neulich fuhr ich mit dem ICE durch das Schwabenländle. Am Fenster rauschten alle möglichen und unmöglichen Ortsschilder mit „ingen“-Endungen vorbei. Ich war ganz in Gedanken an schwäbische Tugenden und die schwäbsche Eisenbahn versunken, als eine ältere Dame mit Pelzkappe den Zug bestieg.
Es war in Augsburg – technisch gesehen also noch in Bayern – und die Frau fiel mir sofort auf. Sie war um die Siebzig und auffällig opulent gekleidet. Neben dem Fellhut war sie auch ansonsten ganz und gar in Pelz gehüllt – und offensichtlich stolz darauf. Denn trotz der sehr warmen Heizungsluft im Waggon legte sie weder Kappe noch Mantel ab, als sie sich auf einem der Sitzplätze niederließ.
Als später der Fahrkartenkontrolleur den Waggon betrat, sagte die Pelzdame, sie habe noch keine Fahrkarte. Der Schaffner lächelte freundlich und erkundigte sich, wohin die Reise denn gehen solle. „Nach Frankfurt“, sagte die Pelzdame. „Bahncard?“, fragte der Kontrolleur. „Nein“, sagte die Pelzdame und der Schaffner begann Zahlen in sein mobiles Fahrkartenausdruckgerät zu tippen. „Macht dann 81,40 Euro.“
„Ich hab gar koi Geld doboi“, sagte die Dame schwäbelnd und seelenruhig. „Wir nehmen auch Kreditkarte“, antwortete der Schaffner ebenso seelenruhig, wenn auch eher mit sächsischer Intonation. „Hab ich auch koine“, sagte die Dame. „Ja, so geht es aber nicht“, sagte der Schaffner. „Kann ich denn bitte mal Ihren Ausweis sehen?“ – „Noi“, sagte die Pelzkappendame. „Den hab ich auch net doboi.“
Der Schaffner lief im Gesicht leicht rosé an, doch die erwartete heftige Reaktion blieb aus. „Sie wissen aber schon, dass Bahn fahren Geld kostet“, sagte er. „Hab ich koins doboi“, beharrte die Pelzdame. „Dann ist der nächste Halt Ihrer“, sagte der Schaffner. „Hää?“, sagte die Dame. „Aussteigen sollen Sie“, sagte der Schaffner. „Beim nächsten Halt.“ – „Ich muss aber doch nach Frankfurt“, erwiderte die Pelzdame. – „Sie sind ja ganz schön gelassen dafür, dass Sie hier ohne Ticket im ICE sitzen“, sagte der Kontrolleur. Ich erwartete, dass er spätestens jetzt die Polizei anrufen würde.
Statt dessen geschah – gar nichts. Der Schaffner kontrollierte weiter Fahrkarten, die Pelzdame behielt ihren Pelz auf dem Kopf und der Zug fuhr an weiteren Orten mit „ingen“-Endungen vorbei bis nach Ulm. Dort angekommen spähte der Schaffner noch einmal kurz in unseren Waggon, um sicherzugehen, dass die Frau auch wirklich ausstieg.
Ich jedenfalls bin nun um eine Einsicht reicher: Wenn ich lediglich am nächsten Halt aussteigen muss, falls ich schwarz beim ICE-Fahren erwischt werde, kann ich mir die 3800 Euro für meine Bahncard 100 demnächst sparen. Ich werde mir einen Pelzmantel und eine Pelzkappe kaufen, mir ein paar Altersfältchen ins Gesicht schminken und meinen Personalausweis geflissentlich zu Hause lassen. Falls ein Kontrolleur kommt, steige ich eben einfach in Frankfurt-Flughafen aus, statt in Frankfurt Hauptbahnhof. Dann nehme ich mir für den Rest der Strecke eine S-Bahn. Für 3,80 Euro.
<p>Hätte der arme Kontrolleur...
Hätte der arme Kontrolleur sich aufgeführt wie ein preussischer Affe, Polizei geholt, Strafe angedroht, wie wäre denn dann der Komentar ausgefallen? Ich finde, er hat wirklich cool reagiert. Und wenn die Pelzdame wirklich nach Frankfurt wollte, muss sie ja in Ulm ein Ticket kaufen und das Geld irgendwo erbetteln. Ich glaube auch nicht, dass Nadine Bös immer nur eine Station weit fährt. Und deshalb soll sie ruhig weiter wie jeder ordentliche Mensch das Geld für ihre Bahncard 100 berappen
@Gretel Schmid: Der Kommentar...
@Gretel Schmid: Der Kommentar verfehlt das Thema des Beitrags, nämlich die Frage, ob (1) es Weisungen der DB gibt, wie mit Schwarzfahren umzugehen ist und (2) ob diese Weisungen hier diskriminierungsfrei angewandt wurden.
Ist es tatsächlich so, dass die Schaffner einen Beurteilungsspielraum haben, ob sie einen erhöhten Fahrpreis berechnen? Oder sind die Schaffner nicht vielleicht sogar verpflichtet, in diesen Fällen den Anspruch ihres Arbeitsgebers durch Feststellung der Personalien, ggf. durch die Polizei, durchzusetzen? Ist es dem Schaffner tatsächlich erlaubt, auf diese Weise die Strafverfolgung nach § 265a StGB unmöglich zu machen?
Ich kenne die Antworten auf diese Fragen nicht. Aber man wird da wohl legitimierweise drüber diskutieren dürfen, wie es Frau Bös hier tut. Albern ist es hingegen, den Kontrolleur als „arm“ zu bezeichnen, dessen Aufgabe es gerade auch ist, die Interessen seines Arbeitsgebers zu wahren. Albern ist es ferner, ihn als „preussischen Affe[n]“ in dem Fall zu titulieren, in dem er genau das tut, was das deutsche Zivil- und Strafrecht für diesen Fall vorsieht.
Welch kleinliche...
Welch kleinliche Conclusio!
Statt einmal die Tatsache zu feiern, dass es noch Pelze in dieser Sklavenbahn gibt. Freie Menschen tragen Pelze, sonst niemand mehr.
Grüße! 🙂
<p>@Hr. Remy - Ich weiß...
@Hr. Remy – Ich weiß nicht, ob ich Ihre Argumentation nachvollziehen kann. Für Schwarzfahrer zahlen ja effektiv alle mit, die eine Fahrkarte gelöst haben, insoweit besteht, wenn auch ohne funds flow, eine Übertragung von Werten von Frau Bös an die mitfahrende Dame.
Wenn ich Ihnen nun zusichere, daß ich einen sehr stilvollen Smoking besitze (bespoke von Radermacher in Düsseldorf), überweisen Sie mir dann auch ein paar Euro…?
Freie Menschen tragen keine...
Freie Menschen tragen keine toten Tiere 🙂
Mit der gleichen...
Mit der gleichen (Pelz)-Masche, passivem Durchsetzungsvermögen, und aktiver Gelassenheit bekommt die Dame sicherlich auch ein dutzend Semmeln beim Bäcker, wenn sie nach dem Kauf mitteilt das sie doch gar kein Geld beihabe.
Erstaunlich dennoch – wenn man mal die zuletzt häufig aufgetauchten „1-Euro-gefehlt-Kinder-Aussetz-Fälle“ betrachtet.
Freifahrt nach Ulm ... Wenn in...
Freifahrt nach Ulm … Wenn in solche Faellen die Polizei gerufen wird, fuehrt das im Allgemeinen zu Verspaetungen weil meistens am naechsten Bahnhof erst einmal auf die Beamten gewartet werden muss, also hier eine Risikoabwaegung – sonst gibt es gleich wieder die ueblichen Klagen wegen Unpuenktlichkeit. Daneben hat der Zugbegleiter sicher auch die mutmassliche Schlagzeilen vorausgesehen, wie „Schaffner laesst Oma abfuehren,“ die hier zu der beschrieben Reaktion fuehrten. Und wenn schon als „preussischer Affe“ (siehe 1. Kommentar) gilt, wer das normale Recht der Allgemeinheit durchsetzen will, braucht man sich nicht zu wundern wenn halt der Weg des geringsten Widerstands gewaehlt wird. Dazu haette sich die alte Dame gar keinen Pelz anziehen muessen, sie waere wohl auch im Wollmantel umsonst bis Ulm gekommen. Und von dort vielleicht in den naechsten Zug und wieder frei bis zum naechsten Stop bis sie dann in Frankfurt ist (wenn das ueberhaupt das wahre Ziel war). – P.S.: Wer keine Pelze mag darf auch keine ledernen Schuhe tragen 😉
<p>Also die Frau im Pelz hat...
Also die Frau im Pelz hat die Bahn um sagen wir 100 Euro geschädigt.
Deswegen braucht man doch keinen Aufstand net nicht zu machen. Es gibt Manager innerhalb des Konzerns, die die Bahn jedes Jahr um Millionen schädigen.
Der CTO der DB Netz zum Beispiel, der völlig unsinnige IT-Dienstleistungen an IBM vergibt (indirekt versteht sich, also über einen unabhängigen Hauptauftragnehmer), oder bei DB Projektbau oder bei DB Systel, wo jedes Jahr Millionen zum Fenster herausgeschmissen werden, weil gewisse Leute in Führungspositionen davon profitieren. Der ganze Laden stinkt zum Himmel und ich wünschte es würden alle nur noch schwarz fahren.
<p>@Cao Ky</p>
<p>"Dazu haette...
@Cao Ky
„Dazu haette sich die alte Dame gar keinen Pelz anziehen muessen, sie waere wohl auch im Wollmantel umsonst bis Ulm gekommen.“
Das glaube ich kaum – der Pelz und das entsprechende Verhalten sind essentiell.
Wer wie ein „Penner“ aussieht, wird auch wie einer behandelt. D.h. die Dame wäre garantiert abgeführt worden, denn die Schlagzeile „Obdachlose aus ICE geworfen“ hätte es nicht mal ins Vermischte geschafft.
Bei einer mutmasslich wohlhabenden, gleichwohl vergesslichen alten Dame sieht die Sache anders aus. Die Schlagzeile „Hilflose Oma des Zugs verwiesen“ klingt da doch viel spannender.
Ganz ehrlich weiß ich bei der Geschichte nicht, wie ich sie finde.
Einerseits finde ich den Schaffner wirklich cool, andererseits käme ich mir als zahlender Fahrgast auch ein wenig verarscht vor.
<p>Hallo,</p>
<p>ist die Frau...
Hallo,
ist die Frau denn in Ulm auch wirklich ausgestiegen ?
Grüße von einem Bahncard100-Besitzer