Zweiter Klasse

Zweiter Klasse

„Wenn du zur Arbeit gehst am frühen Morgen, wenn du am Bahnhof stehst mit deinen Sorgen, da zeigt die Stadt dir asphaltglatt im Menschentrichter

Fahrplanmäßige Logik

| 10 Lesermeinungen

"Ein planmäßiger Aufenthalt ist planmäßig und kann keine Verspätung sein." Diese Logik der Bahn hört sich einsichtig an. Deshalb tut die Bahn auch einiges, um ihr zu folgen - auch wenn sie dafür schon mal ihre Fahrpläne neu drucken lassen muss.

Gestern hatte ich mal wieder Spätdienst. Das bedeutet für mich rein reisetechnisch gesehen immer einen gewissen Stress: Der Dienst endet um 23 Uhr – der letzte Zug nach Köln fährt um 23.10 Uhr. Mit dem Fahrrad schaffe ich die Strecke vom Büro bis zum Bahnhof zwar in zehn Minuten, aber inklusive Fahrrad aus der Tiefgarage holen, aufschließen, am Bahnhof wieder abschließen und zum Gleis gehen, ist die Zeit doch so knapp, dass ich mich hinterher regelmäßig fühle als hätte ich an einer Etappe der Tour de France teilgenommen.

Allerdings bietet die anschließende Fahrt im letzten ICE des Tages genügend Zeit zur Entspannung: Der Zug hält an quasi jedem Unterwegsbahnhof – Frankfurt Flughafen, Limburg Süd, Montabaur, Siegburg/Bonn. Auf diese Art verliert er so viel Zeit, dass er deutlich länger unterwegs ist als die sonst gewohnte eine Stunde. Nun gut. Auch die späten Limburger und Siegburger Pendler wollen wohl gern noch nach Hause kommen.

Gestern allerdings blieb mein Zug schon in Frankfurt Flughafen einfach stehen und rührte sich nicht mehr von der Stelle. Nach zehn Minuten erbarmte sich der Ansager und gab folgende Durchsage bekannt: „Meine Damen und Herren, wir haben hier in Frankfurt Flughafen einen planmäßigen Aufenthalt von 27 Minuten. Unsere Weiterfahrt erfolgt planmäßig um 23.49 Uhr.“

Ich verstand gar nichts mehr. Schließlich nehme ich diesen Zug schon seit Monaten immer nach dem Spätdienst und noch nie hatte ich eine halbe Stunde Aufenthalt in Frankfurt Flughafen und wenn, dann jedenfalls nicht planmäßig sondern immerhin wegen eines fortgeschrittenen Schneechaos oder ähnlichen Unwägbarkeiten.

Ich konsultierte den Falt-Fahrplan. Tatsächlich, dort stand es schwarz auf weiß: 23.49 Uhr. Ich zweifelte an meinem Erinnerungsvermögen. Konnte es sein, dass ich nach den Spätdiensten und dem hektischen Fahrradfahren immer so müde gewesen war, dass ich die halbe Stunde Aufenthalt einfach verschlafen hatte? Aber wieso nahm ich denn überhaupt schon um 23.10 Uhr den Zug, wenn ich auch gemütlich und viel später mit der S-Bahn zum Flughafen fahren und dort erst um kurz vor Mitternacht in den Zug steigen könnte? Und war ich tatsächlich nach den Spätdiensten immer erst um 00.57 Uhr zu Hause gewesen? Fast zwei Stunden nach Abreise? Mir kam das alles sehr merkwürdig vor.

Glücklicherweise kam bald der Schaffner und ich konnte meine Fragen loswerden. „In Montabaur haben wir gerade eine Baustelle, wo Nachts gearbeitet wird. Deshalb ergeben sich für den letzten Zug derzeit immer diese Wartezeiten in Frankfurt Flughafen“, klärte er mich auf. „Dann haben Sie extra wegen der Baustelle die Fahrpläne neu gedruckt?“, fragte ich. „Ja“, sagte er. „Das mit der Baustelle dauert ja mehrere Wochen. Und ich bin heilfroh, dass wir das jetzt hier alles schwarz auf weiß haben. Sonst wäre das ja jeden Tag eine dicke Verspätung. So ist es wenigstens planmäßig.“

 Er lächelte schief. Ich säuerlich. „Sie schreiben tatsächlich die Verspätung in den Fahrplan und dadurch ist die Verspätung dann keine Verspätung mehr?“- „Naja – ein planmäßiger Aufenthalt ist ja planmäßig und kann keine Verspätung sein. Ist doch logisch.“ – „Und was machen Sie mit dem Fahrplan, wenn die Baustelle wieder weg ist? Sind die Züge dann außerplanmäßig verfrüht? Das wäre mal was Neues!“ – „Natürlich nicht. Wir drucken dann natürlich wieder neue Fahrpläne. Ist doch logisch.“


10 Lesermeinungen

  1. pardel sagt:

    Die Bahn sollte die Fahrpläne...
    Die Bahn sollte die Fahrpläne nachträglich erst nach Ende der Reise drucken lassen. Wenn sie dann die tatsächlichen vorgekommenen Zeiten eintragen würden, gäbe es nie mehr Verspätungen. Wäre doch logisch und sehr konsequent.

  2. Sie haben Recht, es ist eine...
    Sie haben Recht, es ist eine Frechheit, dass Bauarbeiten ausgerechnet nachts durchgeführt werden und dadurch ihr später Zug so lange warten muss. Die Bauarbeiten sollten tagsüber durchgeführt werden, am besten jedoch gar nicht! Und die Verspätung in den Fahrplan schreiben ist ja auch die Höhe! Wie kann man Kunden nur so informiert auf die Reise schicken!?
    Bitte keine „Oh-Nein!!-Die-Bahn-war-wieder-10-min-zu-spät-bei-meiner-6h-Reise“-Kommentare mehr bitte! BITTE! Es gibt wesentlich spannendere Themen!

  3. fahrer sagt:

    @unenschieden: Bin jetzt...
    @unenschieden: Bin jetzt unentschieden, ob Sie nicht lesen oder Bahn-Angestellter sind. Die Autorin kam vom Spätdienst und weiß bestimmt, daß nachts Arbeiten notwendig ist.
    Wichtiger jedoch: „Die-Bahn-hat-39min-Verspätung-bei-einer-1:08h-Reise-als-fahrplanmässig-deklariert-und vorher-niemandem-Bescheid-gesagt“-Themen sind durchaus interessant, also BITTE was anderes lesen.

  4. hgebhardt sagt:

    ...
    Die-Bahn-war-wieder-10-min-zu-spät-bei-meiner-6h-Reise“-Kommentare kann es gar nicht genug geben. Warum?
    Damit man weiss, wie die ehemalige Bundesbahn neuerdings tickt.
    Wenn schon neu gedruckte Fahrpläne, warum nicht mit einem Hinweis auf die Baustellenpause?

  5. Hallo Weintrinker
    es gibt ne...

    Hallo Weintrinker
    es gibt ne nette Alternative die sich Mitfahrgelegenheit nennt. Und da könnten die FAZ Leser doch ihre schönen Autos auch einmal anbieten…

  6. streit sagt:

    Es kann nicht oft genug gesagt...
    Es kann nicht oft genug gesagt werden: Die tausende Beschwerden, die zahlreichen Hinweise darauf, dass in anderen Ländern solch ein Dauerchaos undenkbar ist, gehen alle ins Leere – das Immunsystem der Bahn gegenüber Kundenkritik ist ausgereift und robust.
    Andererseits: die Bahn gehört dem Staat. Wann wird endlich die Politik ihren Einfluss geltend machen, um diesen Misständen abzuhelfen? Welche der politischen Parteien wäre wohl am ehesten bereit, sich hier energisch und effektiv zum Fürsprecher der Bürger zu machen? Wie kann man die Politik dazu bewegen, dem Dauerfrust der Bürger und der enormen Verschwendung vieltausendfacher Wartezeiten abzuhelfen?

  7. pina sagt:

    Ob in diesem Fall nirgendwo...
    Ob in diesem Fall nirgendwo was von baumaßnahmenbegründeten Fahrplanänderungen stand, kann ich nicht beurteilen. Allgemein habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass auf den Aushängen in den Bahnhöfen durchaus steht, wenn sich wegen Bauarbeiten die Abfahrtszeiten o.ä. ändern. Ich kann mir vorstellen, dass man das als Gewohnheits-einen-speziellen-Zug-Nehmer nicht mitkriegt, weils eben, so jedenfalls ist es mir bisher gegangen, nicht von vornherein auch im Zug oder am Bahnhof durchgesagt wird. Das kann man kritisieren. Insgesamt stimme ich aber (außer im Ton 😉 ) unentschieden zu: lieber Baustellen als Unfälle, lieber nachts, wo es weniger Leute betrifft, und lieber „fahrplanmäßige“ Verspätung, denn so kann ich mich (zumindest bei der nächsten Fahrt, in diesem Fall) darauf einstellen, wenn sowieso feststeht, dass es eine Verspätung gibt. Es gibt bestimmt Punkte, bei denen sich Beschwerden über die Bahn eher lohnen.

  8. Rozi sagt:

    <p>Natürlich könnten...
    Natürlich könnten Eisenbahn und natürlich auch alle andere Verkehrsdienstleister in ihre Fahrpläne haarklein hereinschreiben, warum an welchen Haltepunkten so und soviel Minuten angehalten wird … wegen Aufsammels von Anschlussreisenden, wegen nicht früher freigebbarer Strecke, wegen im Fahrplan berücksichtigter Baustelle, wegen Lokführerwechsels, wegen Sackbahnhofswende, wegen wegen wegen. Für den einen wär’s interessant, für den anderen egal, für den nächsten ärgerlich, daß ausgerechnet ihn dieser läppische Grund so hart trifft.
    Falls man denn auf einer bestimmten Strecke oder gar mit einer bestimmten Verbindung regelmäßig fährt oder zumindest schon vor Eintritt des Aufenthaltsgrundes fest gebucht hat und man dem Unternehmen auch seine modernen Erreichbarkeitsdaten mitteilen möchte, dann könnte theoretisch sicher eine SMS oder E-Mail verschickt werden. Aber es ist ja auch nicht so, daß der Aufenthalt nur in den ausliegenden Fahrplänen überraschend und für eine Gegenreaktion zu spät ausgewiesen würde. In unserer schönen, neuen Netzwelt ist diese Information selbstverständlich längst verfügbar.
    Andererseits trifft selbst den tagtäglichen, aber konkret uninformierten Dauerreisenden so eine Baustellenfahrplanänderung ja nur einmal überraschend. Ab dem nächsten Tag ist ja alles von vornherein klar und der Reisende kann im konkreten Fall entweder besagte S-Bahn nehmen, oder den 14 Minuten nach dem ICE vom Hauptbahnhof zum Flughafen fahrenden IC 2020. Und was soll’s, wenn man einmal spätnachts einmal ungeplant eine halbe Stunde später eintrifft? Wichtig ist doch, daß man erstens überhaupt noch vom Start zum Ziel kommt, normalerweise sogar flott und selbst mit der Verzögerung immer noch eine Stunde schneller als auf der alten und alternativen Strecke.
    Es gibt viele Gründe, sich über die Eisenbahn aufzuregen – im konkreten Fall jedoch kaum, falls man nicht gerade sein Cholerikpotential ausbauen möchte. Am Hauptbahnhof, im Zug und am Flughafenbahnhof wären Lautsprecherdurchsagen angebracht, die auf den Flughafenaufenthalt hinweisen, auch wenn das nur in seltenen Fällen zu Handlungsalternativen führen würde. Aber das wär’s dann auch schon.

  9. ..."boes" der nachname, genau...
    …“boes“ der nachname, genau wie der blog !! — gut&weiter so !!

  10. Natürlich wäre es nett, wenn...
    Natürlich wäre es nett, wenn die Bahn etwa durch Aushänge im jeweiligen Zug auf derartige Änderungen im Vorhinein hinwiese. Bei den Bauarbeiten an der Rheinstrecke wurde das im Übrigen im Regionalverkehr gemacht. Aber dass die Bahn unvermeidliche Verspätungen jetzt „einplant“ ist zwingende Folge des sich sonst ergebenden Entschädigungsanspruchs. Man kann ja wohl kaum verlangen, dass die Bahn bei Bauarbeiten für jeden Passagier Entschädigung zahlt, wenn sie vorher (d.h. bei Ticketkauf) nie versprochen hatte schneller da zu sein. Dass BC-100-Kunden sich die Fahrpläne oft nicht mehr ansehen und daher dann überrascht sind kann die Bahn aber nur mühsam verhindern…

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