Das letzte Wort

Endlich gilt die Steuermoral zivilisierter Staaten

Bundeskassenwart Peer Steinbrück gilt nicht jedermann als Sympathieträger. Polternde Wortwahl und chronisch herunter gezogene Mundwinkel verstellen mitunter den Blick auch auf jene Argumente, mit denen der Sozialdemokrat durchaus Recht hat. Empört zeigten sich nun viele Schweizer, dass er im Steuerstreit den Eidgenossen mit der „Peitsche” drohte und sie – nach ihrem Einknicken gegenüber dem internationalen Druck – auch noch mit Indianern verglich, die vor der „Kavallerie” Reißaus nehmen. Selbst Nazi-Vergleiche und das Bild vom “hässlichen Deutschen” wurden aus der Mottenkiste voller Antifaschismus-Keulen hervorgeholt.

Doch diese Reaktionen machen Steinbrücks Vorgehen (und das seiner Partner in den führenden Industriestaaten der G-20) nicht unehrenwert. Die Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg und auch die Alpenrepublik Österreich haben viel zu lange ein Geschäftsmodell daraus gemacht, Steuerhinterziehern in den großen Industrieländern eine Fluchtburg zu bieten; für Kapitaleinkünfte und Schwarzgeld, die besser Betuchte dem heimischen Fiskus vorenthalten. Zollfahnder sprechen von „BMW-Kunden” – nicht wegen der Automarke, sondern als Synonym für „Bäcker, Metzger, Wirt”. Denn ein erheblicher Teil der einschlägigen Kriminellen-Klientel sind prosperierende Mittelständler, nicht rare Top-Manager wie der einstige Post-Chef Klaus Zumwinkel.

Mit zwischenstaatlichem Steuerwettwettbewerb hat ein solches Absaugen des Abgabensubstrats in Wirklichkeit nicht das Geringste zu tun – mit einem fairen Wettstreit jedenfalls nicht. Eher ist es eine systematische Anstiftung und Beihilfe zu Steuerstraftaten. Die feinsinnige Unterscheidung zwischen „Steuerbetrug” und „Steuerhinterziehung” ist einer der Tricks jener Länder, um Fluchtgeld abzuschotten. Kein Wunder, dass die deutschen Behörden bei solch hohen Hürden bisher kaum Gelegenheiten fanden, einmal einen Antrag auf Amts- oder Rechtshilfe zu stellen. Bei solcher Paragrafenverdreherei durch Winkeladvokaten in jenen Ministerien und Volksvertretungen blieb das einfach zwecklos.

Besonders perfide ist das Argument, dass man die eigenen Staatsbürger ja genauso behandele: Ein Zwergstaat wie das Fürstentum Liechtenstein, das kaum Einwohner hat und weder über Gefängnis noch Bahnhof verfügt, kann seine bescheidene Infrastruktur locker mit jenen Zuflüssen bestreiten, die Ausländer ihrem eigenen Gemeinwesen vorenthalten.

Wie bigott in diesen Ländern häufig argumentiert wird, zeigt an diesem Sonntag ein Interview des Vontobel-Privatbankiers Herbert Scheidt. Er bedauert darin „persönlich”, dass sich die Schweiz nun „für ausländische Bankkunden auch auf ein System einlässt, das kleine Fehler in der Steuererklärung sofort kriminalisiert”. „Kleine Fehler” ? „Sofort” ? „Kriminalisiert” (zur Erinnerung: So nennen es sonst die linksradikalen Autonomen, wenn der böse Staat militante Straftaten aus ihren Kreisen verfolgen will) ?

Ehrlicher zeigte sich da am Samstag der Schweizer Schriftsteller Alex Capus. „Und eines muss jeder aufrichtige Schweizer zugeben: dass Steinbrück in der Sache recht hat. Selbstverständlich weiß jeder Schweizer, dass das Bankgeheimnis in seiner bisherigen Form den Steuerbetrügern dient – nicht nur, aber auch”, schreibt er. „Denn dem Durchschnittsschweizer, auch das ist die Wahrheit, ist das Bankgeheimnis von Herzen egal; er hat nichts zu verstecken. Er will sich nur nicht schämen müssen, wenn er nächsten Sommer in die Ferien fährt.”

Nun muss die internationale Staatengemeinschaft aufpassen, dass Schweiz und Liechtenstein, Luxemburg, Österreich sowie all jene anderen kleineren Steueroasen wie Monaco, die ebenfalls gelobt haben einzulenken und abzuschwören, sich nicht auf Lippenbekenntnisse beschränken. Den Ankündigungen zur Zusammenarbeit müssen Taten folgen. Der Gerechtigkeit und Gleichheit im Steuerrecht wird das nützen. Und manch einer wird sich genauer überlegen, ob er ein demokratisch beschlossenes Steuergesetz nicht fortan doch lieber befolgt, statt sein Geld nunmehr in Verstecke in exotischen Ländern zu transferieren (auf deren politische Stabilität man doch lieber nicht vertrauen mag und bei denen sich nicht bei einer Stippvisite diskret Kontoauszüge einsehen lassen oder Bargeld deponiert werden kann). Die Ehrlichen und Redlichen werden nicht länger die Dummen sein.

Viel wäre also gewonnen, wenn jetzt jene Länder auf die Linie von Staaten mit Rechtskultur einschwenkten, deren Finanzindustrie bislang voller Schließfächer und Tresore für Schwarzgeld steckt. Zusammen geschlossen sind diese zivilisierten Steuerstaaten übrigens in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die seit Jahrzehnten entsprechende Standards für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Finanzverwaltung anpreist  (die so genannten Muster-Doppelbesteuerungsabkommen).

Anlass für eine unverdiente Sonderamnestie für die dortigen Steuersünder darf dieser Schritt allerdings nicht sein. Ein automatisierter Datenaustausch, wie ihn sich Steinbrück überdies wünscht, gehört hingegen nicht zu diesen weltweiten Gepflogenheiten im OECD-Club. Obwohl eine solch flächendeckende Kontrolle innerhalb von Deutschland für Arbeitnehmer (Stichwort: Lohnsteuerkarte) seit Jahrzehnten eine unumstrittene Selbstverständlichkeit ist.

Dass etwa Liechtenstein künftig bei konkretem Verdacht (und der ist für einen an den Datenschutz gefesselten Finanzbeamten ohnehin verdammt schwer zu gewinnen !) vielleicht auch solche Informationen über einen deutschen Staatsbürger an deutsche Behörden weiter leitet, die das Fürstentum bei eigenen Einwohnern womöglich nicht interessieren würden, ist jedoch keineswegs schändlich. Umgekehrt vollstreckt schließlich auch Deutschland Bußgeldbescheide beispielsweise aus Palermo oder Bukarest an Bundesbürgern, die mit ihrem Auto im Urlaub oder auf einer Dienstreise gegen die dortigen (!) Verkehrsregeln verstoßen haben sollen.

Ach ja – wenigstens wird das Steuerrecht meist noch von Politikern gemacht, die man wählen oder abwählen kann. Bedenklicher wird es, wenn Richter ihre Unabhängigkeit für einen Feldzug nutzen. Michael Balke, seines Zeichens Mitglied des Niedersächsischen Finanzgerichts (7. Senat), hat jetzt am Wochenende in einer Presseerklärung die Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale begrüßt. „Eine Erfolgsgeschichte mutiger Bürger samt ihrer Berater sowie einiger Richterinnen und Richter, die die Verfassung unseres Landes, damit die Grundrechte der Bürger, ernst nehmen”, schreibt Balke.

Warum es Mut brauchen sollte, in einem Rechtsstaat mit Hilfe von Verbänden und Rechtsschutzversicherungen gegen den eigenen Steuerbescheid zu klagen, erläutert der Robenträger nicht. Erwähnt dafür aber ausdrücklich die Vorreiterrolle des „Siebten Senats”, dem er – siehe oben – selbst angehört. Dort verweist der Urteilsfinder überdies auf seine eigene private Homepage. Wer es noch nicht weiß, kann es dort erfahren: Balke kandidiert außerdem in Dortmund, wo er lebt, selbst für den nächsten Bundestag („parteifrei und unabhängig”). Das ist konsequent. Denn gesetzesgleiche Entscheidungen sollte das gewählte Parlament und nicht die unkontrollierte Justiz treffen – ob die jeweiligen Richter nun in Hannover, Karlsruhe, Luxemburg oder Straßburg sitzen. Alles andere wäre ein Richterstaat. Oder haben wir den etwa schon (wie namhafte Juraprofessoren wie Bernd Rüthers seit langem beklagen) ?

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