Nicht nur in der Wirtschaftskrise geht es in deutschen Betrieben manchmal heiß her. Bemerkenswert ist, wie schwer Arbeitsgerichte es Unternehmen mitunter machen, einen Beschäftigten zu entlassen – selbst bei krassem Fehlverhalten. Das Bundesarbeitsgericht hat jetzt in einem solchen Fall wenigstens das Landesarbeitsgericht Nürnberg zum “Nachsitzen” vergattert.
Die Umstände waren krass, die Vorwürfe offenbar berechtigt: ” ‘Neckerei’ mit Pistole – Chef quälte Kollegen” titelte die Lokalpresse. Auch in der Schilderung des Bundesarbeitsgerichts lesen sich die Vorfälle beeindruckend: Der geschasste Abteilungsleiter einer EDV-Firma soll “mit einer Soft-Air Pistole auf ihm untergebene Mitarbeiter geschossen, einem Mitarbeiter eine Gaspistole an die Schläfe und ein Messer an die Kehle gehalten, einem Mitarbeiter mit einer elektrischen Fliegenklatsche einen Stromschlag versetzt, einen Mitarbeiter mit einer Lederpeitsche oder einem Streifen aus einer Ledertischablage geschlagen und dazu aufgerufen (haben), die im Winter 2003 bevorstehende Inventur zu boykottieren”.
Selbst wenn man bedenkt, dass auch vor Gerichten gelogen wird, dass sich die Balken biegen, und dass für Außenstehende schwer zu entscheiden ist, wer wirklich der Mobber und wer das Opfer ist: In der Firma war bekannt, dass der damals 39-jährige Chef eine “cholerische Ader” hatte und einen “vehementen Umgangsstil” pflegte. Der mutmaßliche Piesacker verteidigte sich hingegen mit dem Argument, die Anschuldigungen seien maßlos aufgebauscht. Solche “Neckereien und Spielereien” seien in der Firma absolut üblich gewesen.
Haarsträubend ist jedenfalls, dass sechs Jahre nach den Querelen noch immer kein endgültiges Urteil der Justiz vorliegt. Gut für alle Beteiligten, dass der Mann wenigstens im Oktober 2003 das Unternehmen verließ (womöglich allerdings Anspruch auf Lohnfortzahlung hat). Übrigens hatten sich in der Computerfirma, die nur 80 Mitarbeiter zählt, auch sonst etliche Angestellte hilfesuchend an die Geschäftsleitung gewandt.
Um so schlimmer, dass die Arbeitsgerichte deren Versuch, ihrer Fürsorgepflicht für die Belegschaft nachzukommen, mit überzogenen Anforderungen vereitelten. Die erste Instanz befand: Vor der Kündigung hätte eine Abmahnung ausgesprochen werden müssen. Wie bitte? Wie lange hätten Kollegen und Untergebene sich denn die Zumutungen eines solchen Wüterichs noch bieten lassen sollen, bevor er gefeuert werden durfte? Schließlich war dem Ausspruch der Entlassung eine ganze Serie von einschlägigen Vorfällen vorausgegangen. Und das in einem Kleinbetrieb, in dem man sich kaum aus dem Wege gehen kann.
Nicht besser die zweite Instanz. Der Anwalt des Unternehmens habe sich in der Berufung nicht ausreichend mit der Frage auseinander gesetzt, ob nicht auch eine Änderungskündigung ausgereicht hätte, meinte man dort. Andere Aufgaben in solch einer Mini-Firma für jemandem mit solch anstrengendem, womöglich gar wirklich einschüchterndem und gewalttätigem Sozialverhalten? Ein Beispiel mehr, dass Mittelständler mit dem ausgeuferten deutschen Arbeitsrecht schlichtweg überfordert sind – selbst wenn sie sich mangels eigener Rechtsabteilung einen Fachanwalt nehmen.
Das Bundesarbeitsgericht zeigte sich nun immerhin lebensnäher. “Prozessuale Mängel” bescheinigte die Erfurter Letztinstanz den Urteilen der Untergerichte. Das Landesarbeitsgericht wurde dazu verdonnert, sich jetzt endlich einmal inhaltlich mit den Vorwürfen zu beschäftigen. Die Mühen einer Beweisaufnahme und anschließenden Bewertung bleiben den Nürnberger Robenträgern also nicht länger erspart. Wenn es in dem bisherigen Tempo weiter geht, könnte ziemlich genau zehn Jahre nach den Vorfällen ein rechtskräftiger Richterspruch gefällt werden. Manche Firma kann froh sein, wenn es sie überhaupt noch gibt, wenn die Mühlen der Justiz so langsam mahlen.