Das letzte Wort

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Die Welt ist voller Paragraphen und Aktenzeichen. Hendrik Wieduwilt und Corinna Budras blicken auf Urteile und Ereignisse im Wirtschaftsrecht.

Dauerbaustelle Hartz IV

| 3 Lesermeinungen

Das Bundesverfassungsgericht hat schon so manches Mal mit seinen Grundsatzentscheidungen die Bundesregierung das Fürchten gelehrt. Und auch in Sachen "Hartz IV" scheinen die Karlsruher Richter an einem großen Wurf zu arbeiten. Am Dienstag verhandelten sie zum ersten Mal über die umstrittene Arbeitsmarktreform, die vor inzwischen fast fünf Jahren eingeführt wurde - und äußerten ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regeln.

Das Bundesverfassungsgericht hat schon so manches Mal mit seinen Grundsatzentscheidungen die Bundesregierung das Fürchten gelehrt. Und auch in Sachen “Hartz IV” scheinen die Karlsruher Richter an einem großen Wurf zu arbeiten. Am Dienstag verhandelten sie zum ersten Mal über die umstrittene Arbeitsmarktreform, die vor inzwischen fast fünf Jahren eingeführt wurde – und äußerten ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regeln.

In der mündlichen Verhandlung stellten alle acht Bundesrichter mehrfach kritische Nachfragen zur Berechnung des Regelsatzes, der derzeit bei 359 Euro im Monat für eine alleinstehende Person liegt. Familien bekommen pro Person einen geringeren Betrag, der nach dem Alter der Kinder gestaffelt ist. Auf Bedenken stieß zudem, dass das Arbeitslosengeld II kaum Ausnahmeregelungen für Sonderbelastungen zulässt, etwa, wenn Hartz-IV-Empfänger wegen chronischer Erkrankungen dauerhaft teure Medikamente kaufen müssen. Außerdem sorgte auf der Richterbank für Unverständnis, dass die jährliche Anpassung des Regelsatzes an die Renten und nicht etwa an die Preisentwicklung gekoppelt ist.

Für die Regierung steht viel auf dem Spiel: Eine Verfassungswidrigkeit der Hartz-IV-Regelsätze könnte erhebliche Belastungen für den Bundeshaushalt bedeuten. Denn derzeit erhalten rund 7,3 Millionen Menschen in Deutschland Arbeitslosengeld II. Auch verfassungsrechtlich ist die Sache interessant: Die Richter begnügen sich nämlich nicht mit einer Prüfung des Gleichheitsgebotes, sondern bringen nichts Geringeres als den Maßstab der Menschenwürde ins Spiel. Erstmals würden sie Inhalt und Grenzen des menschenwürdigen Existenzminimums abstecken, kündigte der Gerichtspräsident Papier an – und sorgte damit bei allen Verfahrensbeteiligten für erhebliche Verwirrungen. Hatten sich alle doch in ihren Stellungnahmen zwar sorgsam auf Artikel 3 des Grundgesetzes mit seinem Gleichheitsgebot vorbereitet, aber eher weniger auf die Grundsäule der Verfassung in Artikel 1 (“Menschenwürde”).   

Dieser Schwenk traf vor allem die Bundesregierung, die unter der Führung von Staatssekretär Detlef Scheele mit insgesamt 28 Vertretern tapfer versuchte, die Bedenken zu zerstreuen. Scheele verwies darauf, dass die Berechnung auf die alle fünf Jahre neu erhobene Einkommens- und Verbrauchsstichprobe gestützt wird, die verlässliche Daten von 60 000 Haushalten verarbeitet. „Bedarfe lassen sich nicht ausschließlich mathematisch berechnen, sie bedürfen immer auch Wertentscheidungen”, betonte er. Die Regierung bewege sich in einem Spannungsfeld zwischen den Hilfebedürftigen, die eine höhere Leistung forderten, und den Steuerzahlern, die das Fürsorgesystem finanzierten und sich teilweise auch nur sehr begrenzt ihre Bedürfnisse erfüllen könnten.

Hintergrund der höchstrichterlichen Überprüfung sind drei Verfahren, die derzeit vor dem Hessischen Landessozialgericht und vor dem Bundessozialgericht anhängig sind. Beide Gerichte kamen in zu der Auffassung, dass die Regelungen über die Höhe der Zahlungen an Kinder verfassungswidrig sind, und legten diese Frage dem Bundesverfassungsgericht vor. Sie rügten, dass der Gesetzgeber für Kinder lediglich eine Staffelung von 60, 70 oder 80 Prozent der Unterstützung für Erwachsene vorsieht, anstatt den tatsächlichen Bedarf zu ermitteln. Danach bekommen derzeit Kinder bis fünf Jahre 215 Euro, zwischen sechs und 13 Jahren 251 Euro und ab Beginn des 15. Lebensjahres 287 Euro. Ehegatten oder Partner erhalten ebenfalls nicht den vollen Satz, sondern 323 Euro. Das Hessische Landessozialgericht hält darüber hinaus auch die Höhe des Grundregelsatzes selbst für verfassungswidrig.

In Karlsruhe bemühte sich auch einer der Kläger im hessischen Fall, Thomas Kallay, in den teilweise sehr nüchternden Ausführungen über statistische Werte und Berechnungsmethoden die Lebenswirklichkeit der Hartz-IV-Empfänger nicht aus dem Blickfeld geraten zu lassen. „Ich hätte mir gerne einen Anzug gekauft, um hier ordentlich aufzutreten”, sagte der großgewachsene Kallay, der in Jeans, Pullover und schwarzer Weste in Karlsruhe erschien. Doch das habe er sich von den 700 Euro, die er, seine Frau und sein Kind im Monat zur Verfügung hätten, nicht leisten können, monierte er.

Dass sich Herr Kallay in absehbarer Zukunft einen teuren Anzug leisten kann, ist kaum zu erwarten, wenn er weiterhin arbeitslos bleibt. Schließlich wird Hartz IV niemals ein Gehalt in einem ordentlich bezahlten Job ersetzen können. Allerdings scheint es nach der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht klarer denn je, dass sich bei den Vorschriften der Arbeitsmarktreform einiges ändern wird.


3 Lesermeinungen

  1. Hein sagt:

    <p>Hoffentlich ändert sich...
    Hoffentlich ändert sich die politische und gesellschaftliche Grundeinstellung zu Hartz4 möglichst rasch und Durchgreifend.
    Es ist keine 3 Jahre her, da konnte man öffentlich noch eine Halbierung! von Hartz4 als Vertreter des Arbeitsamtes befürworten.
    Quelle: http://www.jobkrise.de/…/jobsuche-gruendung-business-645.html
    Wer auch nur mal 2 Monate (nach einem Monat sind die Vorräte ja erst aufgebraucht) von Hartz4 leben musste, wer weiß, was es heisst wöchentlich Lebensmittel für 15 € pro Person einzukaufen und die Angst kennt, das irgendetwas kaputt geht, eine Untersuchung ansteht – die die Kasse nicht zahlt – oder sonst etwas Unvorhergesehenes eintritt, dass man nicht schon Monate im Vorraus mit in das Geld einplanen konnte, wird ALG2 zum Teufel wünschen.
    Wer von Hartz4 auch nur einmal leben musste, wird hoffentlich ein für alle Mal ein anderes Verhältnis zu armen Menschen, Geld und zu seinem Leben haben.

  2. Anne sagt:

    <p>@muscat:</p>
    <p>Und ist die...

    @muscat:
    Und ist die Würde des arbeitslosen Jugendlichen, chronisch Kranken oder studierten Dauerpraktikanten billger zu haben, als die des 53-jährigen Dachdeckers? Würde ist nicht teilbar. Entweder das Existenzminimum garantiert sie oder nicht, aber dann auch für alle!
    Tatsache ist, dass es deshalb vorne und hinten nicht reicht und auch nicht reichen soll, weil Deutschland ein Paradies für Unternehmer und Superreiche ist, ganz im Gegensatz zu dem, was uns allen immer weisgemacht wird. Man sollte da wirklich mal über den Tellerrand (sprich die Landesgrenzen) sehen. Und bevor nun einer wieder mit der Kapitalflucht kommt, die USA haben ein probates Mittel dagegen, es wird jeder Amerikaner und jedes amerikanische Unternehmen besteuert, egal wo es tätig ist oder wo derjenige lebt. Sowas ließe sich auch für Deutsche beschließen. Allein – der Wille ist nicht da.

  3. muscat sagt:

    Hoffentlich kümmern sich die...
    Hoffentlich kümmern sich die Gerichte bei nächster Gelegenheit auch mal um den eigentlichen Skandal, dass nämlich z.B. ein 53-jähriger ALG II-Empfänger, der über 35 Jahre in die Sozialversicherungssysteme eingezahlt hat, mit dem gleichen Satz wie alle anderen auskommen muss, die deutlich kürzer (wenn überhaupt) eingezahlt haben. Einen neuen Job, um die Zeit bis zur Rente zu überbrücken, wird er freilich selten finden.
    Bei den Kindern von Transfer-Empfängern bezweifle ich, dass man rein mit einer Erhöhung der Regelsätze das Problem an der Wurzel packen kann. Kinder benötigen Zuwendung und Förderung. Wenn dies die Eltern aufgrund ihrer eigenen miserablen Lage nicht hinbekommen, müssen staatliche Einrichtungen einspringen. Dafür muss Geld ausgegeben werden!

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