Das letzte Wort

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Die Welt ist voller Paragraphen und Aktenzeichen. Hendrik Wieduwilt und Corinna Budras blicken auf Urteile und Ereignisse im Wirtschaftsrecht.

Richterliche Förmelei bei Continental

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Wie unabhängig muss ein Aufsichtsrat sein? Diese Frage beschäftigt nicht nur Verfechter der Corporate-Governance-Bewegung, sondern auch die Justiz. Im Machtkampf zwischen der fränkischen Unternehmerin Maria-Elisabeth Schaeffler und dem von ihr übernommenen Autozulieferer Continental hat das Landgericht Hannover ein neues Urteil gesprochen. Spektakulär ist es nur auf den ersten Blick - fragwürdig bleibt es trotzdem.

Wie unabhängig muss ein Aufsichtsrat sein? Diese Frage beschäftigt nicht nur Verfechter der Corporate-Governance-Bewegung, sondern auch die Justiz. Im Machtkampf zwischen der fränkischen Unternehmerin Maria-Elisabeth Schaeffler und dem von ihr übernommenen Autozulieferer Continental hat das Landgericht Hannover ein neues Urteil gesprochen. Spektakulär ist es nur auf den ersten Blick – fragwürdig bleibt es trotzdem.

Die Richter in der niedersächsischen Landeshauptstadt hatten sich schon etliche Male mit dem Dauerstreit um die feindliche Übernahme des Reifenherstellers an der Leine zu befassen. Corporate-Governance-Matador Christian Strenger, in seinen aktiven Berufszeiten Chef der Deutsche-Bank-Fondstochter DWS, steckt auch hinter diesem Prozess. Mit dem streitet das stets freundliche Mitglied der Regierungskommission auch höchstselbst für die Einhaltung des von ihr verabschiedeten Verhaltenskodex. So verbindet Strenger Theorie und Praxis, vereint er (nicht ganz im Geiste rechtsstaatlicher Gewaltenteilung) die Funktion des Quasi-Gesetzgebers mit der des Quasi-Staatsanwalts.

Und mit einem kleinen Paukenschlag befanden die Richter wunschgemäß: Rechtsanwalt Rolf Koerfer, Sozius der Linklaters-Rückabspaltung Oppenhoff & Partner in Köln, sei zu Unrecht in das Kontrollgremium von Continental gewählt worden. Denn als Advokat sei Koerfer standesrechtlich allzu einseitig auf die Wahrung der Interessen der Schaefflerschen Unternehmensgruppe verpflichtet, deren Berater er nämlich ist.

Nun ist es im deutschen Konzernrecht allerdings keineswegs unüblich, dass ein Großaktionär seine Interessen im Aufsichtsrat einer Tochtergesellschaft durchsetzt. Im Gegenteil: Das ist das gute Recht der Eigentümer (auch wenn dies die Europäische Kommission in Brüssel zwischenzeitlich einmal in Frage gezogen hatte). Und dass gerade Rechtsberater Investoren in den Kontrollorganen vertreten, ist ebenso naheliegend wie häufig. Insofern befremdet der Richterspruch von der Leine, der bislang erst mündlich verkündet worden ist. In einem ähnlichen Verfahren hatten die Landrichter auch – nach anfänglichen Vorbehalten – letztlich den Durchmarsch des fränkischen Wälzlagerproduzenten gebilligt.

Denn weder das Aktiengesetz noch der Corporate-Governance-Kodex verbieten eine solche Mitgliedschaft. Ganz und gar “neutral” und “unabhängig” muss ein Aufsichtsratsmitglied durchaus nicht sein. Weil ein Aufseher aber die Interessen des gesamten Unternehmens zu wahren hat, wenn er einen Vorstand überwacht, und nicht nur die des von ihm vertretenen Anteilseigners, muss er sich in Konfliktfällen der Stimme enthalten (oder notfalls sogar den Raum verlassen; siehe auch: “Aufsichtsrat darf nicht jeder werden”, F.A.Z. vom 14. Januar). Eine abstrakte Aufteilung in Rollen und Einflusssphären im deutschen Recht, die schon im Strafverfahren um die Mannesmann-Prämien in der angloamerikanischen Finanzwelt und Medienöffentlichkeit auf massives Unverständnis gestoßen war. Doch im germanischen Paragraphenkosmos stehen die Anliegen eines Unternehmens – ganz idealistisch gedacht – über denen der Investoren, Beschäftigten und sonstiger “Stakeholder”.

Bei näherem Hinsehen ist es hier aber bloß so gewesen: Die Richter haben die Rolle Koerfers gar nicht inhaltlich bewertet, als sie seine Wahl durch die Hauptversammlung annullierten. Vielmehr nahmen sie Anstoß daran, dass die Aktionäre vor der Abstimmung nicht ausreichend über die Interessenkonflikte des Kandidaten belehrt worden seien. Das aber verlange die Firmen-Führungs-Fibel (Ziffer 5.5.3), deren Befolgung (oder Nichtbefolgung) nach dem Aktiengesetz (Paragraph 161) bekannt gegeben werden muss. Und ein Fehler dabei wäre in der Tat ein Verstoß, den der Bundesgerichtshof erstmals im Dauerclinch des Ex-Medienmoguls Leo Kirch mit der Deutschen Bank abgestraft hat (was er dann im Fall der Springer AG erneuert hat, soweit es die spätere Entlastung betrifft; siehe auch: “Erklärung zum Governance-Kodex muss stimmen”, F.A.Z. vom 30. September 2009).

Damit wäre das Verdikt über die Koerfer-Wahl bloß wegen eines Formfehlers ergangen. Sicher: Auch Regeln zum äußeren Ablauf müssen eingehalten werden, zumal ein Verstoß dagegen inhaltliche Folgen haben kann. Aber sie dürfen auch nicht überdehnt werden. Und die Interessenverwicklungen Koerfers waren nun wirklich allgemein bekannt, als er sich zur Wahl stellte – das musste den Anlegern im Saal nicht noch einmal ausdrücklich unter die Nase gerieben werden. Ein Konflikt, der damals schließlich die Schlagzeilen beherrschte und dazu führte, dass der Anwalt im letzten Moment auf die ursprünglich angepeilte Rolle des Vorsitzenden verzichten musste.

An solche Fällen mögen auch die Bundesrichter gedacht haben, als sie in ihren beiden Grundsatzurteilen der Erklärungspflicht Grenzen zogen. “An der Relevanz für den Aktionär kann es fehlen, wenn der Interessenkonflikt und seine Behandlung bereits aus allgemeinen Quellen bekannt sind”, schrieben sie ausdrücklich. Wie wahr: Sonst wird aus der Einhaltung von Formvorschriften eine Förmelei, die den ursprünglich guten Sinn totreitet. Schaeffler hat bereits angekündigt, in Berufung zu ziehen. Und damit könnte der Fall irgendwann nicht nur vor dem Oberlandesgericht Celle, sondern schließlich auch noch in Karlsruhe landen.


1 Lesermeinung

  1. TM sagt:

    <p>Sehr hilfreich ist es bei...
    Sehr hilfreich ist es bei Urteilsbesprechungen ein Aktenzeichen zu nennen, damit das Urteil im Wortlaut nachvollzogen werden kann. Das fehlt hier leider.
    Anm. der Redaktion: Sie haben völlig recht — ich habe das Az. sofort beim Gericht angefragt und werde es gleich nach Erhalt nachtragen. (jja.)
    P.S.: Da ist es nun: 23 O 124/09.

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