Das letzte Wort

Watschen

Wer vor Gericht zieht (oder gezogen wird), hat ein Anrecht darauf, dass man ihm zuhört. Das gilt auch in Zivilprozessen. An dieses Gebot des Grundgesetzes hat der Bundesgerichtshof jetzt das Oberlandesgericht Köln erinnert. Mit Formulierungen, die so drastisch sind, dass man sie nur als “Watschen” bezeichnen kann.

Das Oberlandesgericht habe sich „dem wesentlichen Kern des Parteivortrags” verschlossen, heißt es in zwei aktuellen Urteilen zu einer Klage von Fondsanlegern. Gleich mehrere “Gehörsverletzungen” hat der Karlsruher Gesellschaftsrechtssenat ausgemacht. Die Interpretation der vorgebrachten Argumente durch die Domstadt-Justiz habe allenfalls deren „äußeren Wortlaut, nicht aber den Sinn” erfasst. Einen zentralen Vortrag der Kläger habe sie übergangen. Und weiter: Mit dem, was deren Anwälte geäußert haben, sowie mit den vorgelegten Urkunden hätten sich die Kölner Richter „in keiner Weise auseinandergesetzt”. Dabei hätte sich dies „aufdrängen” müssen. Schließlich: Die Kläger hatten einen Zeugen benannt, der über Schulungen auf Vertriebsveranstaltungen berichten sollte. Dessen mögliche Aussagen habe das Oberlandesgericht aber als unerheblich abgetan, indem es ihren Sinn entstellte, sie „offensichtlich verfehlt” interpretierte und „nur bruchstückhaft und allenfalls vordergründig” in den Blick nahm. Damit hätten sich die rheinischen Richter „in nicht mehr nachvollziehbarer Weise” dem wesentlichen Kern des Vorbringens verschlossen. Eine weitere Erwägung des Gerichts bezeichnen die Karlsruher Bundesrichter gar als „denkfehlerhaft”.

Starker Tobak. Es kommt gar nicht einmal selten vor, dass sich der Bundesgerichtshof Zivilgerichte zur Brust nimmt, weil sie kein offenes Ohr für Kläger oder Beklagte hatten. Mehr als das verlangt die Verfassung in Artikel 103 Absatz 1 ja auch gar nicht. Entscheiden können Richter ohnehin weitgehend nach eigenem Gutdünken. Selbst falls sie ihr Urteil schon vor Beginn der Verhandlung (oder am Beginn des Verfahrens) im Kopf haben sollten, wird sich dies praktisch nie nachweisen lassen – eine echte und unvoreingenommene Beschäftigung mit dem Anliegen, das ihnen angetragen wird, lässt sich nun einmal nicht erzwingen.

Aber wenn die Betroffenen das Gefühl vermittelt bekommen, dass man auf der Richterbank ihre Argumente durchdacht und gewogen hat, ist durchaus schon etwas gewonnen. Zumal selbst eine rein formale Befassung damit die Urteilsfinder automatisch zwingt, sich die Position der anderen Seite noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. So sehr auch die Gefahr besteht, dass die obersten Revisionsrichter gelegentlich den Blick für das praktische Leben innerhalb und außerhalb der Gerichtssäle verlieren: So viel dürfen sie den “Vorderrichtern” in den untergeordneten Tatsacheninstanzen wirklich abverlangen. Das ist kein rechtsstaatlicher Dogmatismus, sondern das Mindeste, was Staatsbürger von ihrer Justiz erwarten dürfen.

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