Das letzte Wort

Das letzte Wort

Die Welt ist voller Paragraphen und Aktenzeichen. Hendrik Wieduwilt und Corinna Budras blicken auf Urteile und Ereignisse im Wirtschaftsrecht.

Die Rechtsgrundlage ist sicher

| 14 Lesermeinungen

Für das „Moratorium", das die Bundesregierung für die sieben ältesten Kernkraftwerke ausgerufen hat, muss ein Gesetz her. Sagt die Opposition und wirft der Regierung Trickserei vor. Doch braucht es keinen Bundestagsentscheid, wo es längst einen gibt.

Für das „Moratorium”, das die Bundesregierung für die sieben ältesten Kernkraftwerke ausgerufen hat, muss ein Gesetz her. Sagt die Opposition und wirft der Regierung Trickserei vor. Doch braucht es keinen Bundestagsentscheid, wo es längst einen gibt.

Zur Erinnerung: Die umstrittene Verlängerung der Laufzeiten („Ausstieg aus dem Ausstieg”), die die Regierungskoalition kürzlich am Bundesrat vorbei beschlossen hatte, hat keine Pflicht zum Betrieb der Atommeiler geschaffen. Sondern nur die Genehmigungen dafür verlängert. Wenn die Energieversorger jetzt also aus Angst vor öffentlicher Anprangerung „freiwillig” die ältesten Reaktoren abschalten, verstößt dies nicht gegen das Atomgesetz oder gegen die Verlängerungsnovelle. Und auch nicht gegen die Gewaltenteilung (wie selbst einzelne Abgeordnete der Union argwöhnen).

Es geht also auch nicht um eine Nichtanwendung von Gesetzen, die das Parlament beschlossen hat, durch die Exekutive. Was diese Regierung bedenklich freihändig beim Verzicht auf Internetsperren gegen Kinderpornographie, dem Aussetzen der Wehrpflicht und letztlich auch dem Boykott einer (EU-rechtlich vorgeschriebenen und vom Bundesverfassungsgericht nur teilweise gekippten) Vorratsdatenspeicherung zum Überdruss vorexerziert hat.

Hinzu kommt: Die Bundesregierung hat sich mit den jeweiligen Ministerpräsidenten darauf verständigt, alle Register des obrigkeitlichen Verwaltungsrechts zu ziehen. Nach § 19 Absatz 3 Satz 2 Nr. 3 des Atomgesetzes wird von den Aufsichtsbehörden die (zunächst vorübergehende) Abschaltung und Stilllegung verfügt. Die Voraussetzung: Es bestehen „Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter”.

Nun wirkt das auf den ersten Blick in der Tat ziemlich weit herbei geholt, denn die Anlagen werden längst mit staatlicher Billigung betrieben. Und an deren Technik hat sich ebenso wenig geändert wie an den Umweltbedingungen. Doch kann die Regierung dem entgegen halten: Die Naturgewalten in Japan haben (erstmals) gezeigt, dass bei den einstigen Genehmigungsverfahren vielleicht manche Aspekte noch nicht (ausreichend) bekannt waren. Auch das ist eine neue Sachlage.

Außerdem möchte man den deutschen Verwaltungsrichter (der ohnehin im Zweifel auf Seiten der Bürgerrechte steht) sehen, der sich – falls doch ein Kraftwerksbetreiber klagen sollte – auf die Seite der „Atomindustrie” stellt. Zumal deren Grundrecht auf Eigentum („kalte Enteignung”) im Grundgesetz die Schutzpflichten des Staates für die Bürger und die Umwelt gegenüber stehen, die ebenfalls in der Verfassung verankert sind.

Und falls in letzter Instanz ein Energieversorger doch eine Anfechtungsklage oder gar einen Schadensersatzprozess gewönne, hätten sich längst die Gemüter (und manche erregten Medienkommentatoren) abgekühlt. Die Politik wäre jedenfalls den „Schwarzen Peter” los.

Einen „Geheimvertrag” oder einen neuen „Deal” mit der Atomwirtschaft muss man der Regierung also nicht unterstellen – trotz der drei demnächst anstehenden Landtagswahlen. Sie setzt auf hoheitliche Befugnisse. Das hat überdies den Vorteil, dass Vorstände der Energieversorger nicht grübeln müssen, ob das Aktienrecht sie womöglich verpflichtet, im Interesse ihres Unternehmens oder ihrer Anteilseigner für einen Fortbetrieb zu kämpfen.

Eine freiwillige Einwilligung in eine Produktionspause („Moratoriumsvertrag”) mag tatsächlich juristisch nicht ganz unproblematisch sein. Der Verzicht auf Rechtsmittel gegen die nun erlassenen Stilllegungsverfügungen dürfte hingegen ziemlich unverfänglich sein. Schließlich dient ein solcher Schritt – zumal angesichts der mutmaßlichen Rechtmäßigkeit der Behördenanordnungen (s.o.) – der angeschlagenen Reputation der Energiewirtschaft, der der politische Wind ins Gesicht weht. Und ist damit aktienrechtlich wohl genauso zulässig. wie es Spenden an politische Parteien oder öffentlichkeitswirksames Sponsoring aus der Firmenkasse anerkanntermaßen sind.


14 Lesermeinungen

  1. Studiurs sagt:

    Sehr geehrter Herr Jahn,

    mir...
    Sehr geehrter Herr Jahn,
    mir hat sich bisher noch nicht erschlossen, wie genau man einen Fall des § 19 Absatz 3 Satz 2 Nr. 3 des Atomgesetzes konstruieren könnte. Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter haben sich nicht auf die Schnelle ergeben. Auch Fehlbewertungen in der Vergangenheit lassen meiner Meinung nach noch nicht auf eine konkrete Gefährdung schließen, die die Bundesregierung hier zu den vorgenommenen Maßnahmen ermächtigen könnte.
    Ich möchte nicht falsch verstanden werden, ich bin sehr froh darüber, dass die tickenden Zeitbomben zumindest vorerst abgeschaltet werden. Leider sehe ich aber Staatshaftungsansprüche der Kraftwerksbetreiber heranrollen, wenn die Rechtsgrundlage der Abschaltung nicht völlig einwandfrei ist. Dies könnte natürlich dem politischen Kalkül der industriefreundlichen Regierung entsprechen, die die guten Beziehungen zur Lobby nicht vor die Hunde gehen lassen möchte…
    Daneben bleibt natürlich das generelle Problem bestehen, dass hier eine Bundesregierung ein parlamentarisches Gesetz außer Kraft setzen will. Würde die Regierung tatsächlich auch nach den anstehenden Landtagswahlen zu ihrem veränderten Kurs stehen wollen, könnte sie binnen Tagen ein Aufhebungsgesetz durch den Bundestag jagen, beim momentanen politischen Klima ist wohl nicht mit oppositionellem Gegenwind zu rechnen, und Schadensersatzansprüchen so aus dem Weg gehen.

  2. colorcraze sagt:

    Es wäre doch auch seltsam,...
    Es wäre doch auch seltsam, wenn nur das Parlament Überprüfung und Abschaltung der AKWs verfügen könnte, und nicht die Regierung – das würde bei Gefahrensituationen doch zu lange dauern.

  3. Ich bin zwar "nur" Physiker...
    Ich bin zwar “nur” Physiker und kein Jurist, auch kein politische Spindoctor.
    Ich wüßte nicht, was eine verantwortungsvolle (!) Regierung in diesem Falle anders hätte veranlassen können als “Halt, stop. Wir haben eine Reihe schwerwiegender neuer technischer und organisatorischer Evidenzen, auf die wir reagiern müssen. Wir überprüfen mit unserem aktuellen Wissen die bisher geltenden Annahmen und müssen sie mit Daten und Fakten beantworten, nicht mit adhoc Demos und juristischen Spielchen – und zwar sofort.
    Dass sich “Terrorismus, Endlagerung, menschliches Risiko, sonstige Anti-Atom Rhetorik nicht geändert haben”, ist dabei doch völlig irrelevant.
    In Japan kämpfen 50 namenlose, aber sehr mutige Männer unter Einsatz ihres Lebens dafür, Tausende vor eine Katastrophe zu bewahren.
    Betrachten wir doch vor diesem Szenario Herrn Gabriel und Konsorten, wie sie mit Genugtuung versuchen, das Grauen in politisches Kleingeld zu wechseln.
    Übrigens: wer waren doch nochmal während der letzten drei Legistraturperioden die Umweltminister?
    Sehr geehrter Herr Jahn,
    ich finde Ihren Artikel sehr gut.

  4. jjaa sagt:

    @ Jonas: Stimmt -- Herr Papier...
    @ Jonas: Stimmt — Herr Papier ist auch längst zurück gerudert (F.A.Z. vom 16.9.2010). Da ging es um die Frage, ob der Bundesrat bei der Verlängerung hätte gefragt werden müssen.

  5. Sehr geehrter Herr...
    Sehr geehrter Herr Jahn,
    Überschrift und Artikel stimmen nicht überein. Es handelt sich letztlich nicht um eine dogmatische, sondern eine pragmatische Argumentation. Die Rechtsgrundlage ist nämlich alles andere als sicher. Gefahren für Leben, Gesundheit und Güter bestehen heute in gleicher Weise wie in der letzten Woche. Tsunami und Erdbeben japanischer Ausmaße drohen nicht. Die bekannten Gefahren (terroristischer Anschlag, menschliches Versagen, veraltete Technik, ungelöste Endlagerung etc.) haben sich nicht verändert. Von daher ist, so sehr ich selbst die Abschaltung der AKW begrüße, das konkrete Vorgehen von schwarz-gelb eine Verhöhnung rechtsstaatlicher und parlamentarischer Prinzipien. Die Erfindung des ‘Aussetzens’ gerade beschlossener Gesetze ist abenteuerlich.
    Auf der pragmatischen Ebene mag Herr Jahn recht haben. Die AKW-Betreiber werden ihre letzten verbliebenen Getreuen nicht vergrätzen wollen und von daher – wenn sie vernünftig sind – nicht klagen.
    Aber mit Recht hat das nichts zu tun. Nicht die Rechtsgrundlage, sondern die Interessenlage ist sicher: legal – illegal – sch…egal.
    — jcmt

  6. Jonas sagt:

    Sehr geehrter Herr Jahn,
    dann...

    Sehr geehrter Herr Jahn,
    dann darf ich also auch davon ausgehen, dass Herr Hans-Jürgen Papier (ehem. Präsident des BVerfG) sich irrt, wenn er das Vorgehen der Bundesregierung für verfassungswidrig hält? Oder habe ich nur seine Einwände falsch verstanden?
    Gleichzeitig halten Sie selbst es ja auch nicht für unmöglich, dass ein Verwaltungsgericht ggf. anders entscheiden würde. Wie das dann mit dem “schwarzen Peter” ist, sollte doch zumindest aus juristischer Sicht keine Rolle spielen.
    Vielleicht könnte man sich darauf einigen, dass die Bedenken des Bundestagspräsidenten und der Opposition zumindest nicht abwegig sind – und dementsprechend vertretbar.
    Die von den zuständigen Länder gegenüber den Stromversorgern zu erlassenden Verfügung stehen somit zumindest auf “wackeligen Füßen”, insbesondere auf Grund des § 19 Absatz 3 Satz 2 Nr. 3 AtG.
    Die Frage wird tatsächlich sein, ob die Stromversorger sie überprüfen lassen wollen(nach meiner Information hat RWE angekündigt, für den Fall, dass nun auch eine Verfügung gegen Biblis A ergehen sollte, rechtliche Schritte einzuleiten). Ein solcher “Rechtsmittelverzicht” führt jedoch nicht dazu, dass die Rechtsgrundlage als solche “sicherer” wird.
    Dementsprechend bleibt abzuwarten, in wie weit die Regierung hier nicht zu schnell gehandelt hat…

  7. Tricksereien wie wir sie...
    Tricksereien wie wir sie gewohnt sind.
    https://img858.imageshack.us/i/eventuell.jpg/

  8. Klaus sagt:

    Das ist doch toll, dass Sie...
    Das ist doch toll, dass Sie das alles so genau wissen. Rufen Sie doch mal die Leute an, die da irrtümlich was anderes zu wissen glauben und erzählen sie’s ihnen. Die werden sich sicher bedanken.
    Wenn sogar Herr Lammert – immerhin Parteimitglied von Frau Merkel und zur Zurückhaltung geforderter Bundestagspräsident – wenn sogar dieser Mann juristische Ennwände hat, kann man durchaus von “in erster Linie” schreiben, denn er steht an erster Linie in dieser Sache.
    Auch Artikel und Kommentare in seriösen Zeitungen vermerken vor allem (vulgo: in erster Linie) Herrn Lammerts Einwendungen.
    .

  9. jjaa sagt:

    <p>@ Daniel Lehnertz: "In...
    @ Daniel Lehnertz: “In erster Linie” würde ich nicht sagen: Herr Lammert hat sich zurückhaltender geäußert als SPD, Bündnisgrüne und Linksfraktion. Aber dass es auch zweifelnde Unionsabgeordnete gibt, wird ja gleich im zweiten Absatz erwähnt. — jja.

  10. Sehr geehrter Herr Jahn,

    darf...
    Sehr geehrter Herr Jahn,
    darf ich sie höflichst darauf hinweisen, dass der juristische Einwand hinsichtlich des Moratoriums nicht allein von der Opposition sondern in erster Linie von Herrn Lammert, seines Zeichens Präsident des Deutschen Bundestages kommt! Das spricht wohl für sich!
    Mit freundlichen Grüßen
    Daniel Lehnertz

Kommentare sind deaktiviert.