Ganz langsam kommt die Aufarbeitung der Bankenkrise voran: Der Bundesgerichtshof hat jetzt entschieden, dass Anleger von der IKB Schadensersatz verlangen können, wenn sie durch eine verlogene Pressemitteilung der Bank aus dem Jahr 2007 geschädigt wurden. Ein schönes Grundsatzurteil, das auch sonst ein paar Fragen um einen noch relativ neuen Paragraphen klärt. Im Rückblick ist es um so bedauerlicher, dass die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft nicht einmal versucht hat, den damaligen Vorstandschef Stefan Ortseifen wegen Untreue durch seine fatalen Finanzjonglierereien anzuklagen. Rechtskräftig verurteilt wurde er deshalb nur wegen Kursmanipulation.
Man darf gespannt sein, was aus den diversen Strafverfahren wird, die Staatsanwaltschaften hier und dort gegen Vorstände von Staats- und Landesbanken führen – seit Jahren. Aber auch die Terabyte an digitalen Daten, die bei Razzien beschlagnahmt wurden, sind hoffentlich irgendwann von Kriminalpolizisten, Strafverfolgern und Richtern ausgewertet. Bis dahin bleibt Aktionären wenigstens die Hoffnung auf Schadensersatz – und die ist durch den neuen Spruch aus Karlsruhe ein bisschen größer geworden. Für die Steuerzahler, die den Löwenanteil der Rettung angeblich systemrelevanter Kreditinstitute stemmen mussten, ist das allerdings keinerlei Trost.
Der Bundesgerichtshof stützte sich jetzt auf eine Vorschrift, die erst vor zehn Jahren in das Wertpapierhandelsgesetz aufgenommen wurde. Daher das kleine „b” hinter der Paragraphen-Nummer 37. Diese Haftung für falsche oder unterlassene Information des Kapitalmarkts hatte der Bundestag im Zuge des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes verabschiedet. Durch Schaffung einer ausdrücklichen Haftungsgrundlage sollten Emittenten zusätzlich dazu motiviert werden, ihre Pflicht zur prompten Veröffentlichung wichtiger Unternehmensereignisse („Ad-hoc-Meldungen”) zu erfüllen. Vorausgegangen waren Aufstieg und Fall des Börsensegments „Neuer Markt” mit seinem Hype um Internetaktien. Viele schrumpften alsbald zu „Penny-Stocks”; ein paar der Entrepreneure erwiesen sich sogar als veritable Betrüger – und landeten im besten Fall hinter Gittern.
Die obersten Zivilrichter stellten nun klar: Die verlogene Pressemitteilung Ortseifens fällt unter § 37b WpHG. Mit einem kleinen Umweg: Diese habe nämlich gezeigt, dass die IKB-Verantwortlichen die Bedeutung der Schieflage auf der amerikanischen Hypothekenmarkt erkannt hatten, argumentieren die Richter. Dort hatten die Banker-Zocker Milliarden verspekuliert und mussten (vor allem mit öffentlichen Geldern) gerettet werden. Dann treffe sie aber die Schuld daran, nicht unverzüglich den Kapitalmarkt gewarnt zu haben.
Eine riesige Prozesslawine wird nun wohl nicht auf die IKB zurollen. Schließlich müssen Geschädigte nachweisen, dass sie gerade wegen der unterlassenen Ad-hoc-Meldung ihre Aktien gekauft haben. Das wird nun wenigen gelingen – vor allem jenen, die (wie der Kläger in dem aktuellen Fall) in einem kurzen Zeitfenster danach ihre Anteile erworben haben. (Hier war es eine knappe Woche.) Aber auf diesen „Kausalitätsbeweis” kann nun einmal gerechterweise nicht verzichtet werden: Wer eine Aktie sowieso gekauft hätte, kann nicht hinterher die Justiz bemühen und den Emittenten verklagen, weil seine Kurshoffnungen nicht aufgegangen sind. Die Pflichtverletzung muss die Ursache des Schadens sein. Doch kann dieses Grundsatzurteil durchaus auch Bedeutung für andere Finanzinstitute haben, die ihre Lage zu lange beschönigt haben.
Noch zwei weitere Dinge stellten die Bundesrichter vom Bankensenat zugleich klar. So haben Anleger ein Wahlrecht, wie sie ihren Anspruch geltend machen wollen. Entweder geben sie die Wertpapiere zurück und lassen sich den damaligen Kaufpreis erstatten. Oder sie behalten ihre Aktien und verlangen die Differenz zu jenem (niedrigeren) Börsenkurs, der sich bei korrekter Veröffentlichung der unangenehmen Insiderinformationen eingestellt hätte. Da kann man der Justiz allerdings nur viel Spaß bei der Berechnung des fiktiven Marktpreises wünschen. Ihre Freude werden daran vor allem betriebswirtschaftliche Gutachter haben, die von den Kammern für Handelssachen so oft bemüht werden, damit sie die Höhe von Abfindungen und Entschädigungen etwa nach einem Zwangsausschluss (Squeeze Out) überprüfen. Kaffeesatzleserei auf höherem Niveau.
Und zweitens: Der Straftatbestand der Marktmanipulation ist kein „Schutzgesetz” im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Damit können Schadensersatzklagen nicht auf dessen allgemeine Deliktsregeln gestützt werden (§ 823 Absatz 2 BGB). Dies war eine Gretchenfrage, die Anlegerschützer und Anlegeranwälte mit Leidenschaft diskutiert haben. Das Karlsruher Verdikt ist eine Enttäuschung für sie.
Die Strafvorschrift schütze nur den Kapitalmarkt als solchen, sagt der BGH. Tatsächlich soll sie dort für Fairness, Gerechtigkeit und Gleichbehandlung – und damit für die „Funktionsfähigkeit” des Aktienhandels – sorgen. Zwingend muss man diese feinsinnige, aber künstliche Abgrenzung tatsächlich nicht finden: Wer mit erfundenen Gerüchten oder unterlassenen Pflichtmeldungen Kurse künstlich puscht oder niederdrückt, schädigt automatisch eine Reihe von Anlegern. Wenn die Strafjustiz eine solche Straftat nachgewiesen hat, sollte man Aktionären die Berufung darauf nicht von vornherein abschneiden.
Neues Futter für solche Prozesse dürften die Strafverfahren gegen ehemalige Funktionäre der „Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger” (SdK) wegen des Verdachts krimineller Deals und Kursbeeinflussungen liefern. Das Münchner Oberlandesgericht hat jedenfalls kürzlich die Untersuchungshaft des ehemaligen Vorstandsvizes Markus Straub verlängert.