Auf dem Weg in die Anständigkeit half früher der gesunde Menschenverstand. Inzwischen hat die Wirtschaft Programme, die für regelgerechtes Verhalten der Mitarbeiter sorgen sollen. Sie laufen auch in Deutschland unter dem englischen Fachbegriff “Compliance”. Oberster Zweck ist die Bekämpfung der Korruption, dazu werden Mitarbeiter und Führungskräfte durch tagelange Schulungen geschleust, Compliance-Beauftrage berufen und Systeme für Hinweisgeber eingerichtet.
Wirtschaftsanwälte bekommen glänzende Augen angesichts dieses lukrativen Betätigungsfeldes, das immer umfangreicher wird. Längst geht es nicht mehr nur um Korruption, Kartellabsprachen oder Lustreisen. Auch Betriebsräte wollen ihre Lieblingsthemen in dieser Wundertüte unterbringen. Die Verletzung der Tarifverträge oder des Arbeitszeitgesetzes falle ebenso darunter, schließlich seien auch das Regeln, die eingehalten werden wollen, argumentieren sie.
Der Enthusiasmus ist grenzenlos. Doch ist Argwohn angebracht, ob Compliance in den engen Grenzen der derzeitigen Rechtslage wirklich die versprochenen Wunder vollbringen kann. Denn wann immer sich ein Trend rasant ausbreitet, kommt es zu Konflikten mit Althergebrachtem – und vieles spricht dafür, dass das Trendthema Compliance den Kampf zumindest auf einigen Feldern verliert.
Geradezu exemplarisch lässt sich dies am Datenschutz beobachten. Anfangs warfen sich einige Konzerne mit so viel Verve in die Korruptionsbekämpfung, dass sie im Überschwang der Rasterfahndung die Rechte ihrer Mitarbeiter komplett vergaßen. Manches davon war überzogen und schon nach der damaligen Rechtslage verboten. Doch ähnlich überzogen reagierten die Öffentlichkeit und der Gesetzgeber. Kurz vor dem Ende ihrer Legislaturperiode brachte die große Koalition Änderungen des Datenschutzes auf den Weg, um die Mitarbeiter vor den Aufräumarbeiten der eigenen Arbeitgeber zu schützen. Das freilich ging nur, indem die Spielräume der Unternehmen deutlich eingeschränkt wurden – zu Lasten der Kriminalitätsbekämpfung.
Noch größer sind die Schwierigkeiten, die sich im Konflikt mit dem deutschen Kündigungsschutz ergeben. Die beiden Rechtsgebiete mit offensichtlich widerstreitenden Schutzzielen haben bisher weder der Gesetzgeber noch die Rechtsprechung in einen fairen Ausgleich gebracht. Im Gegenteil scheinen die Gerichte derzeit die Compliance-Bemühungen der Unternehmen einem überzogenen Kündigungsschutz opfern zu wollen. Das führt zu skurrilen Ergebnissen. Selbst die Entlassung eines Mitarbeiters, der als Leiter der Buchhaltungsabteilung in sage und schreibe 67 Fällen Beträge über mehr als 44.000 Euro veruntreut hatte, gelang dem Arbeitgeber erst im fünften Anlauf. Mal war die Frist versäumt, mal der Betriebsrat nicht ordentlich angehört. Erst als der Kollege zu einer Haftstrafe verurteilt worden war, segneten die Arbeitsrichter die Kündigung ab.
Von Gesetzes wegen sind die Anforderungen des deutschen Kündigungsschutzes ohnehin schon hoch, doch Arbeitsrichter verschärfen die Situation mitunter sogar noch zusätzlich. Das Bundesarbeitsgericht kassierte jüngst die Kündigung eines Mitarbeiters, der Geschäftspartner bestochen hatte, weil das Unternehmen nach Auffassung der Richter nicht alles getan hatte, um den Mitarbeiter von Schmiergeldzahlungen abzuhalten. So konnte sich der Arbeitnehmer damit herausreden, dass der Vorgesetzte das Verhalten gebilligt hatte, obwohl es klare Richtlinien über die Zuwendungen an Kundenmitarbeiter im Unternehmen gab. Statt einer fristlosen Kündigung gab es eine üppige Abfindung von mehr als 50.000 Euro.
Das klingt absurd, ist aber kein Einzelfall. Selbst gestandene Konzernjustitiare geben angesichts der Unwägbarkeiten von Arbeitsgerichtsprozessen kleinlaut zu, dass sie die Gefahr einer juristischen Auseinandersetzung selbst mit überführten Arbeitnehmern fürchten und sich lieber kostspielig, aber geräuschlos trennen. Das Unternehmen wird damit gleich ein zweites Mal geschröpft. Auch das Signal an die restliche Belegschaft ist fatal – und steht ganz im Gegensatz zu dem, was eigentlich verbreitet werden sollte: Kriminelles Verhalten wird nicht toleriert! Das absurde Ergebnis: Ohne funktionierendes Compliance-System erlauben Arbeitsgerichte keine Kündigung. Ohne Kündigung gibt es kein funktionierendes Compliance-System.
Ähnlich heikel sind deshalb auch Amnestieprogramme, die einige Unternehmen eingerichtet haben. Der Grundgedanke ist nachvollziehbar. Mitarbeiter sollen eine Chance haben, im Unternehmen zu bleiben. Denn wem bei einer Verfehlung der achtkantige Rauswurf droht, der tut sich schwer, sich ehrlich zu machen und Schwachstellen im Unternehmen aufzudecken. Doch bleibt der schale Beigeschmack, dass der Zweck alle Mittel heiligt. Wer einen Kulturwandel will, darf sich nicht auf faule Kompromisse einlassen. Sinnvolle Compliance-Systeme sind nicht zum Nulltarif zu haben; eine Lösung, die selbst die schwarzen Schafe glücklich macht, kann es nicht geben. Gerichte sollten deshalb den geringen Spielraum des Kündigungsschutzes nicht weiter einengen. Und Unternehmen sollten anfangen, ihn auch zu nutzen.
Wie sieht es aus,wenn sich der Vorstandavorsitzende sich nicht an die Regeln hält bzw halten muss?
Der Vorstand legt fest was Regelverstöße sind und was nicht und für wen sie zutreffen bzw ggf angewendet werden(Weisungsrecht!)
Er selbst braucht sich nicht an die Regeln halten(unternehmerische Freiheit).
Damit ist alles geklärt.
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Ganz so ist es nicht.
auch der Vorstandsvorsitzende ist nur ein Angestellter des Unternehmens und kann genauso fristlos gefeuert werden, wenn er sich mal ein fremdes Mettbrötchen zwischen die Kiemen haut (oder einen anderen der zunehmend zahlloser werdenden möglichen Compliance-Verstöße begeht).
Das Problem ist aber, dass dafür der Aufsichtsrat zuständig ist, mit dem in der Regel niemand aus dem Unternehmen reden darf als eben der Vorstandsvorsitzende selber.
Außerdem sitzen im aufsichtsrat zumeist auch nur Vorstände und Ex-Vorstände, die sich bei Gelegenheit gerne selber mal an fremden Brötchen gütlich tun; wozu wird man denn sonst Vorstand? Und außerdem ist es ja nicht ihr Geld, sondern das der Aktionäre; man erinnere sich an Mannesmann.
Nein, so lange der VV den ARs ihre erfolgsabhängige Tantieme einfährt, kann er sich manches herausnehmen, auch zum Schaden des Unternehmens und seiner Eigentümer; das nennt man principle-agent-Konflikt, und den gabe es schon vor Compliance.
Unternehmenskultur des Respekts vorleben
Compliancesysteme können keine Wunder vollbringen. Compliance ist ein Modebegriff für den Stellenwert von exlistierenden Regelwerken und Werten in einem Unternehmen. Der wirtschaftlich aktuell erfolgreiche Versuch der Juristen sich dieses Themas zu bemächtigen und zusätzliche Systeme einzuführen, lenkt von der täglich erlebbaren Wirkungslosigkeit dieser Maßnahmen ab. Kartellverfahren, Datenschutzskandale und Korruption in Firmen mit aufwändigen Complianceabteilungen oder Kodizes mit biblischen Umfängen belegen dies.
Unternehmensführungen, die eine Unternehmenskultur des Respekts gegenüber Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern und der öffentlichen Gemeinschaft vorleben, zeigen allen Personen innerhalb und außerhalb für welche Regelwerke und Werte die Firma steht. Mit der Festlegung welche Regelwerke für den Geschäftsalltag relevant sind und welche Rechtsposition das Unternehmen bei all den Widersprüchen in der Gesetzeslage einnimmt, stellt sich die Geschäftsleitung vor ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das schafft Vertrauen die Unternehmenskultur zu leben, nicht der Beauftragte, der Ombudsmann, ein weiter Kodex.
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Das ist richtig, aber nur die halbe Wahrheit.
Es gibt zwei Arten von Compliance-Verstößen: die, bei denen Mitarbeiter der Firma schaden, weil sie nur an sich denken, und die, bei denen Mitarbeiter der Firma schaden, weil sie nur an sie denken. Gegen letztere hilft die von Ihnen zu Recht beschworene Vorbildkultur nicht, sie fördert sie sogar eher noch.
Denn Übereifer und eine gewisse Voreingenommenheit für die firmeneigene Sicht der Dinge sind eine explosive Mischung; der Weg zur hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen. Außerdem ist niemand perfekt, auch nicht in seiner Rolle als Vorbild; damit wird der Compliance-Verstoß läßlich.
Wichtig ist, dass der Mitarbeiter genau weiß, was er tun darf und was er lassen muss, dass eine gewisse nicht zu geringe Gefahr besteht, dass Verstöße entdeckt werden, und dass eine Entdeckung mit hinreichender Sicherheit ernste Konsequenzen nach sich zieht. Insofern haben sie recht, dass Fische vom Kopf her stinken.
Wer das aus eigener Erfahrung kennt...
Wer das als Arbeitgeber aus eigener Erfahrung kennt, geht zum Gütetermin nicht einmal mehr hin. Stattdessen erteilt er seinem Anwalt oder Justitiar eine umfassende Vollmacht. Als Mittelständler musste ich auch schon mit ansehen, wie eine dem Diebstahl überführte, jüngere Mitarbeiterin letztlich mit einer “symbolischen” Abfindung ausschied, nur weil ihr weiterer Berufsweg ansonsten verbaut gewesen wäre. Es ging nicht um 50.000 Euro aber auch nicht um Pfandmarken. Ich hoffe es war Ihr eine Lehre, aber ich wage nicht zu ermessen, was unsere anderen Angestellten dabei gedacht haben.